»Da habt Ihr recht getan, Herrin. Ich werde ihre Ängste lange genug besänftigen, um unsere wichtige Aufgabe zur Vollendung führen zu können. Danach wird es Eure Freude sein, verkünden zu dürfen, dass alles zum Wohle Eures Volkes geschah …«
»Und es wird mich noch umso mehr dafür lieben«, flüsterte Azshara, und ihre Augen wurden schmaler, als sie sich die dankbare Menge vorstellte.
»Falls es Euch überhaupt noch mehr lieben kann als es dies bereits tut, meine glorreiche Königin.«
Azshara belohnte sein Kompliment mit einem kurzen Senken ihrer Mandelaugen, dann erhob sie sich mit der weichen Eleganz, zu der nur sie fähig war, aus dem Sessel. Ihre Kammerzofen ergriffen schnell die Schleppe des Kleides, damit es sie in keiner Weise in ihren Bewegungen behinderte. »Ich werde die wunderbare Erklärung bald abgeben, Lord Xavius«, verkündete sie und wandte sich von dem Berater ab. »Sorg dafür, dass alles bereit ist, wenn ich dies tue.«
»Ich werde alle Stunden meines Wachseins dieser Mission widmen«, antwortete er und verbeugte sich vor ihrer bereits durch die Tür entschwindenden Gestalt. »Und sie wird die Träume meines Schlummers beherrschen.«
Doch in dem Augenblick, da sie und ihre Begleiterinnen fort waren, legte sich ein tiefes Stirnrunzeln auf das kalte Gesicht des Beraters. Er winkte einen der steingesichtigen Soldaten, die ständig am Eingang der Kammer Wache standen, zu sich.
»Sollte ich das nächste Mal nicht vorher benachrichtigt werden, wenn sich Ihre Majestät entschließt, uns zu besuchen, verlierst du deinen Kopf. Hast du verstanden?«
»Jawohl, Herr«, erwiderte der Wachmann, und sein Gesicht zeigte weiterhin keine Regung.
»Außerdem erwarte ich, dass man mich noch vor Ihrer Majestät über die Rückkehr von Hauptmann Varo’then informiert. Seine Mission ist nichts, womit sie sich ihre Hände schmutzig machen sollte. Sorge dafür, dass der Hauptmann – und was auch immer er mit sich führt – sofort zu mir gebracht wird.«
»Jawohl, Herr.«
Xavius schickte den Wachmann wieder fort und kehrte zu seiner Aufgabe zurück, den Zauber der Hochgeborenen zu überwachen.
Ein Netz tanzender, magischer Energien umspielte nun die feurige Sphäre, die sich weiterhin immer wieder neu erschuf. Während Xavius sie betrachtete, faltete sich die Kugel nach innen, fast so, als wolle sie sich selbst verschlingen.
»Faszinierend …«, flüsterte er. Aus solcher Nähe konnte der Lord-Berater die starken Emanationen spüren, die kaum zu fesselnden Energien, die aus der Quelle aller magischen Macht der Nachtelfen beschworen worden waren. Es war Xavius gewesen, der als Erster geahnt hatte, dass sein Volk bisher nur die Oberfläche des Potenzials dieser dunklen Wasser berührt hatte. Je mehr er sie studierte, desto mehr wurde die Quelle der Ewigkeit ihrem Namen gerecht, und desto mehr erkannte Xavius, dass ihre Kräfte unendlich waren. Die physischen Dimensionen der Quelle waren nur ein Trick des begrenzten Geistes … die wahre Quelle existierte in tausend Dimensionen, an Tausenden von Orten gleichzeitig.
Und aus jedem Aspekt der Quelle, aus jeder ihrer Inkarnationen, würde der Hochgeborene lernen herauszuziehen, was auch immer ihm gefiel.
Das hier geballte Potenzial brachte sogar seinen Geist ins Wanken.
Energien und Farben, die selbst die anderen nicht sehen konnten, tanzten und fochten vor Xavius’ magischem Blick. Sie zogen ihn mit ihrer verlockenden, elementaren Macht an. Der Lord-Berater trank den phantastischen Anblick vor sich wie einen berauschenden Wein …
Doch plötzlich fühlte er, wie aus dem Innern der Sphäre – aus einer Tiefe jenseits der physischen Welt – etwas zurückstarrte.
Dieses Mal wusste der Nachtelf, dass er sich nicht getäuscht hatte. Xavius spürte eine ferne Präsenz. Doch trotz der unglaublichen Entfernung war die Macht, die von ihr ausging, schwindelerregend.
Er versuchte, sich zurückzuziehen, doch es war bereits zu spät. Tief innerhalb der missbrauchten Energien der Quelle, wurde der Geist des Beraters plötzlich über die Grenzen der Realität gezogen, über die Grenzen der Ewigkeit hinaus … bis …
Ich habe lange nach dir gesucht … sprach die Stimme. Sie war Leben, sie war Tod, sie war Schöpfung und Zerstörung … und unbegrenzte Macht.
Selbst wenn er es gewollt hätte, Xavius wäre nicht in der Lage gewesen, seinen Blick von dem Abgrund loszureißen, der sich im Zentrum der Energien auftat. Andere Augen zogen den Lord-Berater nun in ihren Bann … die Augen seines neuen Gottes.
Und jetzt bist du zu mir gekommen …
Die Wasser brodelten als würden sie kochen. Gigantische Wellen erhoben sich und stürzten zusammen. Immer und immer wieder. Blitze erhellten den Himmel über dem dunklen Quell.
Dann kamen die Flüsterstimmen.
Die ersten Nachtelfen, die sie hörten, meinten, bei den Geräuschen handele es sich nur um den heulenden Wind. Sie ignorierten sie bald vollkommen und machten sich vor allem Sorgen um die mögliche Zerstörung ihrer noblen Häuser.
Ein paar, deren scharfe Sinne sensibler für die unirdischen Energien der Quelle waren, verstanden sie als das, was sie waren: Stimmen, die aus der Quelle selbst kamen. Doch was die Stimmen sagten, das konnten die Meisten nicht verstehen.
Es waren ein oder zwei Nachtelfen, die die Stimmen klar hören konnten und sich wahrhaft fürchteten … und doch nicht zu den anderen über ihre Furcht sprachen, damit man sie nicht für verrückt erklärte und aus der Gemeinschaft verbannte. So ignorierten sie die einzige Warnung, die sie jemals erhalten würden.
Die Stimmen sprachen von nichts anderem als dem Hunger. Sie hungerten nach allem. Nach Leben, Energie, Seelen … Sie wollten zu dieser Welt durchbrechen, ins unberührte Reich der Nachtelfen.
Und sobald sie dort angekommen waren, würden sie es verschlingen …
7
Die Nachtelfen wurden nervös, und in Rhonins Augen machte sie das zu einer noch größeren Bedrohung.
Es hatte viel mit der Region des Waldes zu tun, in die sie soeben einritten. Rhonin fand, dass sich diese Gegend anders anfühlte als die dunklen Gebiete, die sie bisher durchquert hatten. Hier schienen die Nachtelfen nicht die Herren zu sein, sondern unerwünschte Eindringlinge.
Der Morgen näherte sich rasch. Er und Krasus, der immer noch bewusstlos zu sein schien, lagen gefesselt über dem Rücken eines Panthers, und Rhonin fühlte sich, als würde ihm jeder etwas zu heftige Schritt der großen Katze fast die Rippen brechen. Aber er zwang sich, keinen Laut von sich zu geben, keinen Muskel zu rühren, damit die Nachtelfen nicht merkten, dass er bereits wach war.
Doch welchen Unterschied hätte es gemacht, wenn sie es wüssten? Er hatte bereits mehrmals versucht, einen Zauber zu weben, aber all seine Bemühungen hatten ihm nur schädelspaltende Kopfschmerzen eingetragen. Die Nachtelfen hatten ein kleines, smaragdgrünes Amulett um seinen Hals gelegt, ein vollkommen harmlos aussehendes Ding, das die Quelle seines Frustes war. Wann immer er versuchte, sich auf einen Zauber zu konzentrieren, wurden seine Gedanken vollkommen durcheinander gewirbelt, und seine Schläfen pochten. Er konnte nicht einmal den Talisman von seinem Hals schütteln. Die Nachtelfen hatten ihn gut gesichert. Auch Krasus trug ein solches Amulett, obwohl es nicht den Eindruck machte, als hätten die Nachtelfen irgendetwas von ihm zu befürchten. Rhonin hatte wie sie gesehen, was jedes Mal passiert war, wenn sein früherer Mentor versucht hatte, ihm im Kampf beizustehen. Krasus hatte seine Kräfte sogar noch weniger unter Kontrolle als Rhonin – eine Erkenntnis, die den jungen Zauberer über die Maßen verstörte.
»Dies ist nicht der Pfad, auf dem wir gekommen sind«, knurrte der narbengesichtige Anführer, den seine Untergebenen mit Varo’then ansprachen. »Hier stimmt etwas nicht …«
»Aber wir haben den gleichen Weg genommen wie vorher, mein Hauptmann«, antwortete einer der anderen Nachtelfen. »Wir sind nirgendwo vom Pfad abgewich …«