Koltharius’ von den Vögeln fast in den Wahnsinn getriebenes Reittier achtete nicht auf den Weg.
Zuerst kam die flinke Katze leicht aus dem Gleichgewicht, dann stolperte sie, als ihre Krallen sich mehr und mehr in den Wurzeln verstrickten. Ein schmerzhaftes Jaulen entrang sich ihrer Kehle, als sie zur Seite stürzte. Ihr Reiter versuchte, sich festzuhalten, doch damit verschlimmerte er nur seine Lage.
Der riesige Panther wand sich, und Koltharius geriet zwischen die Katze und zwei riesige Baumstämme, die den Nachtelf erbarmungslos zerquetschten. Seine Rüstung zerknüllte wie Papier unter der gewaltigen Kraft. Dem Panther erging es unter dem Angriff der Wurzeln, die sich um seinen Hals schlangen, wenig besser, und mit einem trockenen Knacklaut brach sein Genick.
Rhonins Retter liefen weiter, als sei nichts geschehen. Noch ein paar weitere Minuten lang hörte der Zauberer den Kampf der Nachtelfen, aber dann verschwanden die Geräusche zuletzt in der Ferne, als habe Varo’then seiner geschlagenen Truppe schließlich den Rückzug befohlen.
Weiter und weiter trugen ihn die kleinen Kreaturen. Er bemerkte eine Bewegung zu seiner Rechten und erkannte etwas, das die bewegungslose Gestalt des Drachenmagiers zu sein schien. Offenbar wurde er in der gleichen Weise getragen wie Rhonin.
Was mochten ihre Retter mit ihnen vorhaben? Hatte man sie den Händen der Nachtelfen entrissen, um sie einem vielleicht noch schrecklicheren Schicksal zuzuführen?
Die Waldgeister wurden langsamer und kamen schließlich am Rande einer Lichtung zum Halt. Obwohl dies aufgrund des niedrigen Sonnenstandes eigentlich hätte unmöglich sein sollen, erhellten die zarten Ausläufer des Tageslichts bereits den Bereich. Unsichtbare Singvögel zwitscherten fröhlich. Myriaden von Blumen in hundert Farben blühten in üppiger Fülle, und hohes Gras wiegte sanft im Wind, als wolle es den Neuankömmlingen lockend zuwinken.
Wieder rückte ein Gesicht aus Blättern in sein Blickfeld. Die Lücke des Mundes weitete sich zu einem breiten Lachen, und zu seiner Überraschung erkannte Rhonin eine kleine, vollkommen weiße Blume, die darin blühte.
Eine Pollenwolke schoss vor und legte sich auf Nase und Mund des Menschen.
Rhonin hustete. Sein Blick verschwamm. Er fühlte, wie die Geschöpfe sich wieder bewegten und ihn ins Sonnenlicht trugen. Doch bevor ein einziger Strahl sein Gesicht berühren konnte, verlor der Zauberer das Bewusstsein.
Rhonin hatte es nicht bemerkt, aber Krasus war während der meisten Zeit nicht bewusstlos gewesen. Schwach, ja, fast bereit, sich der Finsternis zu überlassen, durchaus – aber der Drachenmagier hatte gegen die körperliche und mentale Schwäche angekämpft, und mochte er auch nicht gesiegt haben, so hatte er doch auch keine Niederlage erlitten.
Krasus hatte die buschähnlichen Beobachter ebenfalls bemerkt und sofort als Diener des Waldes erkannt. Mit Sinnen, die noch immer sensibler waren als die seines menschlichen Gefährten, hatte Krasus begriffen, dass die Nachtelfen mit Absicht an diesen Ort gelenkt worden waren. Irgendeine Macht wollte etwas von den Soldaten, und es bedurfte keiner allzu großen logischen Anstrengung, um anzunehmen, dass es sich dabei um ihn und Rhonin handelte.
Und so hatte sich der Drachenmagier während des gesamten Kampfes vollkommen still verhalten. Er hatte sich gezwungen, nichts zu tun, als der Trupp angegriffen wurde und die Kreaturen des Waldes ihn und Rhonin unter den Augen der Elfen mit sich nahmen. Krasus spürte keine Bosheit in ihren Befreiern, aber das bedeutete nicht, dass dem Paar kein späterer Schaden erwachsen konnte. Während der gesamten Reise durch den Wald war der Drachenmagier im Geheimen wachsam geblieben und hatte sich der Hoffnung hingegeben, dieses Mal eine größere Hilfe sein zu können als bei der letzten Auseinandersetzung.
Aber als sie die sonnenbeschienene Lichtung erreicht hatten, zeigte sich, dass er sich verkalkuliert hatte. Das Buschgesicht war zu schnell erschienen, hatte ihn zu unerwartet angehaucht. Wie Rhonin verlor auch Krasus das Bewusstsein.
Aber anders als Rhonin schlief er nur wenige Minuten.
Als er erwachte, fand er zu seiner allergrößten Verblüffung einen kleinen, roten Vogel, der auf seinem Knie hockte. Dieser freundliche Anblick überraschte den Drachenmagier so sehr, dass er aufkeuchte. Der winzige Vogel flog erschreckt auf und verschwand in den Zweigen über dem Magier.
Mit großer Vorsicht studierte Krasus seine Umgebung. Allem Anschein nach lagen er und Rhonin in der Mitte einer mystischen Lichtung, einem Bereich starker Magie, der mindestens so alt war wie die Drachen. Dass die Sonne so hell schien, dass die Blumen, das Gras und die Vögel einen solchen Frieden ausstrahlten, war kein Zufall. Dies war das persönliche Allerheiligste eines Wesens, das Krasus eigentlich hätte kennen müssen – und doch wollte ihm nicht einfallen, wer es sein mochte.
Und das war ein Problem, über das er seinem Kameraden nicht alles gesagt hatte. In Krasus’ Erinnerung klafften gigantische Lücken. Er hatte die Nachtelfen als das erkannt, was sie waren, doch andere Dinge, viele von ihnen vollkommen banal, waren verschwunden. Wenn er versuchte, sich auf sie zu konzentrieren, fand der Drachenmagier nichts als Leere. Er war so schwach im Geiste geworden wie er es auch in seinem Körper war.
Aber warum? Warum hatten seine Fähigkeiten so viel stärker gelitten als die von Rhonin? Mochte der Mensch auch ein Magier von beeindruckenden Fähigkeiten sein, so war er doch immer noch ein leicht verwundbarer Sterblicher. Wenn irgendjemand von ihrem wilden Flug durch Zeit und Raum schwer hätte geschwächt sein sollen, so hätte es eigentlich der Geringere der beiden Reisenden sein müssen.
In dem Augenblick, als er dies dachte, übermannte Krasus ein Gefühl der Schuld. Was auch immer der Grund dafür sein mochte, dass Rhonin das Chaos besser überstanden hatte, brachte es nur erbärmliche Schande über Krasus, wenn er sich wünschte, ihr Schicksal wäre vertauscht. Rhonin hatte sich bereits mehrmals beinahe für seinen früheren Mentor geopfert.
Trotz seiner großen Schwäche und des anhaltenden Schmerzes kam Krasus auf die Beine. Von den Geschöpfen, die sie hierher gebracht hatten, war nichts zu sehen. Wahrscheinlich waren sie wieder Teil des Waldes geworden und widmeten sich den Bedürfnissen ihrer grünen Welt, bis ihr Herr ihnen das nächste Mal eine besondere Aufgabe erteilte. Dass sie nur die Einfachsten der Waldwächter gewesen waren, darüber war sich Krasus vollkommen im Klaren. Die Nachtelfen stellten eine relativ armselige Bedrohung für den Wald dar.
Aber was wollte die Macht, die hier herrschte, von zwei verirrten Wanderern?
Rhonin schlief noch immer tief und fest, und wenn er an seine eigene Reaktion auf die Pollen dachte, dann rechnete Krasus nicht damit, dass er so bald wieder erwachen würde. Da keine offensichtliche Bedrohung in Sicht war, ließ er den Menschen schlafen und entschied sich, die Grenzen ihrer Freiheit auszuloten.
Das dichte Blumenfeld umgab das weiche, offene Gras wie einen Zaun, und es schien, als neige sich die gleiche Anzahl an Pflanzen nach innen wie nach außen. Krasus näherte sich den Blumen und beobachtete sie misstrauisch.
Als er bis auf einen Schritt an sie herangetreten war, wandten sie ihm die Köpfe zu und öffneten ihre Blätter ganz.
Sofort trat der Drachenmagier zurück … und die Blumen nahmen wieder ihr normale Erscheinung an. Eine Wand aus effektiven Wächtern. Er und Rhonin waren vor jeder Gefahr, die von außen kommen mochte, geschützt, während man sie gleichzeitig davon abhielt, dem Wald irgendwelchen Schaden zuzufügen.
In seiner gegenwärtigen Verfassung dachte Krasus nicht einmal darüber nach, über die Blumen hinweg zu springen. Zudem hatte er ohnehin den Verdacht, dass er, täte er dies, nur einen weiteren, versteckten Wächter wecken würde – und wahrscheinlich einen, der weniger zurückhaltend war.
Er sah nur eine Möglichkeit. Um seine Kräfte zu schonen, setzte er sich und kreuzte die Beine. Dann atmete Krasus tief ein, studierte die Lichtung ein letztes Mal … und sagte in die Luft hinein: