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Das Banner von Lord Kur’talos Ravencrest.

Der Elfenkommandant ritt vor seiner Truppe her. Sein Reittier war größer, seidiger und offensichtlich das weibliche Alpha-Tier der Meute. Ravencrest selbst war groß und schlank und wirkte sehr königlich. Er ritt, als könne ihn nichts von seiner Pflicht abhalten – was immer diese auch sein mochte. Ein goldener Mantel bauschte sich hinter ihm, und sein hoher Helm mit dem roten Kamm zeigte ebenfalls das Raben-Symbol.

Vogelartig war auch die beste Art, seine Gesichtszüge zu beschreiben: lang, schmal, mit einer schlanken Nase, die an einen nach unten gerichteten Schnabel erinnerte. Der buschige Bart und die strengen Augen verliehen ihm einen Ausdruck von Weisheit und Macht. Abgesehen von den Hochgeborenen gehörte Ravencrest zu jenen Männer, die den größten Einfluss auf die Königin hatten. Sie hatte in der Vergangenheit oft auf seinen Rat gehört.

Malfurion verfluchte sich selbst dafür, dass er nicht eher an Ravencrest gedacht hatte. Doch jetzt war keine gute Gelegenheit, den Edelmann anzusprechen. Ravencrest und seine Elitegarde ritten durch die Straßen, als befänden sie sich auf einer Mission von großer Dringlichkeit, und Malfurion fragte sich sofort, ob seine Zin-Azshari betreffenden Ängste sich bereits materialisiert haben mochten. Aber wenn dies der Fall wäre, wäre sicher die ganze Stadt in Unruhe gewesen. Die Kräfte, die sich in der Nähe der Hauptstadt manifestierten, kündigten eine Katastrophe von monumentalem Ausmaß an, die schnell auch Suramar erreichen würde.

Als die Reiter verschwunden waren, ging auch Malfurion weiter. So viele Leute, die sich auf so engem Raum zusammendrängten, erweckten in dem jungen Nachtelf ein klaustrophobisches Gefühl, nachdem er lange Zeit im Wald verbracht hatte. Aber Malfurion kämpfte diese Empfindungen nieder, denn er wusste, er würde bald Tyrande sehen. So unsicher er sich in letzter Zeit auch fühlte, wenn er in ihrer Nähe war, ihre Gegenwart beruhigte seinen Geist auch mehr als irgendetwas anderes dies vermocht hätte, nicht einmal seine Meditationen.

Er wusste, er würde auch seinen Bruder besuchen müssen, aber die Idee gefiel ihm heute Nacht nicht so wie sonst. Es war Tyrande, die er sehen, mit der er ein wenig Zeit verbringen wollte. Illidan war später immer noch da.

Beiläufig bemerkte Malfurion, dass sich eine Reihe von Leuten um etwas auf dem Marktplatz versammelt hatten, aber sein Wunsch, Tyrande zu sehen, ließ ihn das dortige Geschehen ignorieren. Er hoffte, er würde sie schnell finden und nicht eine Akolythin nach der anderen fragen müssen. Obwohl die Dienerinnen der Elune nichts dagegen hatten, wenn Freunde und Verwandte eine ihrer Schwestern besuchen wollten, war Malfurion heute aus irgendeinem Grund nervöser als sonst. Und diese Nervosität hatte wenig mit seinen Sorgen um Zin-Azshari zu tun, viel mehr mit dem seltsamen Unbehagen, das er nun fühlte, wann immer er sich in der Nähe seiner Freundin aus Kindertagen aufhielt.

Als er den Tempel betrat, beobachteten ihn zwei Wachen. Anstelle von Roben trugen sie Kilts und leuchtende, silberne Brustpanzer, in deren Zentrum ein Halbmond-Muster prangte. Wie alle Diener der Elune waren sie Frauen und gut trainiert in den Künsten der Verteidigung und der Schlacht. Tyrande selbst konnte geschickter mit dem Bogen umgehen als Malfurion oder Illidan. Die friedlichen Lehren von Mutter Mond verboten nicht, dass ihre treuesten Kinder lernten, sich zur Wehr zu setzen.

»Können wir dir helfen, Bruder?«, fragte die rechts stehende Frau höflich. Sie und ihre Kameradin standen in Habachtstellung, und ihre Speere waren bereit, sich sofort auf ihn zu richten, sollten die Wächterinnen dies für notwendig erachten.

»Ich komme, um die Novizin Tyrande zu besuchen. Sie und ich sind gute Freunde. Mein Name ist –«

»Malfurion Stormrage«, fiel die zweite Frau, die in etwa in seinem Alter war, ihm ins Wort. Sie lächelte. »Tyrande teilt ihre Novizenkammer mit mir und zwei anderen Frauen. Ich habe euch beide gelegentlich zusammen gesehen.«

»Ist es möglich, mit ihr zu sprechen?«

»Wenn sie ihre Meditationen beendet hat, sollte sie um diese Stunde Zeit haben. Ich werde jemanden fragen. Du kannst in der Kammer des Mondes warten.«

Die Kammer des Mondes war der offizielle Name für das dachlose Zentrum des Tempels, in dem viele der großen Rituale abgehalten wurden. Wenn der Bezirk nicht von der Hohepriesterin benutzt wurde, ermutigte der Tempel jeden dazu, diesen friedlichen Ort zu genießen.

Malfurion fühlte die Berührung von Mutter Mond, sobald er den rechteckigen Raum betrat. Ein Garten mit nachtblühenden Pflanzen umgrenzte den Bereich, und im Zentrum erhob sich ein kleines Podium, das die Hohepriesterin für ihre Ansprachen benutzte. Auf dem Steinpfad, der zu dem Podest führte, stellte ein Mosaik die jährlichen Zyklen des Mondes dar. Malfurion hatte bei seinen früheren Besuchen an diesem Ort bemerkt, dass es egal war, wo am Himmel der Mond gerade schwebte, stets wurde die Kammer durch sein weiches Licht vollständig erhellt.

Er schritt auf das Zentrum zu und setzte sich auf eine der Steinbänke, die von den Dienerinnen und Gläubigen benutzt wurden. Obwohl ihn die Umgebung sehr beruhigte, musste Malfurion doch schnell erkennen, dass er zunehmend ungeduldig wurde, während er auf Tyrande wartete. Außerdem machte er sich Sorgen, sein unangekündigtes Erscheinen könnte ihr missfallen. Bisher hatten sie sich immer nur getroffen, wenn sie sich vorher verabredet hatten. Dies war das erste Mal, dass er so dreist war, ohne Vorwarnung in ihre Welt einzutreten.

»Malfurion …«

Für einen Moment verschwanden all seine Sorgen, als er aufblickte und Tyrande ins Mondlicht treten sah. Ihr silbernes Gewand nahm ein mystisches Leuchten an, und in Malfurions Augen hätte selbst Mutter Mond nicht herrlicher aussehen können. Tyrandes Haar hing lose herab. Es lag um ihr bezauberndes Gesicht und endete gerade über dem Dekolleté. Das Licht der Nacht betonte ihre Augen, und als die Novizin lächelte, war es, als beleuchte sie selbst die Kammer des Mondes.

Tyrande kam auf ihn zu, und Malfurion erhob sich von der Bank, um ihr entgegen zu gehen. Er war sich sicher, dass seine Wangen sich verdunkelten, doch er konnte nichts tun, außer zu hoffen, dass Tyrande es nicht bemerkte.

»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte die Novizin in plötzlicher Sorge. »Ist etwas geschehen?«

»Es geht mir gut. Ich hoffe, ich habe dich nicht gestört.«

Ihr Lächeln kehrte zurück, schöner denn je. »Du könntest mich niemals stören, Malfurion. Ich bin sogar sehr froh, dass du gekommen bist. Ich wollte dich auch sehen.«

Wenn sie seine dunkel gewordenen Wangen zuvor noch nicht bemerkt hatte, so tat sie es gewiss jetzt. Dennoch drängte Malfurion weiter: »Tyrande, können wir draußen spazieren gehen?«

»Wenn dir das lieber ist, natürlich.«

Als sie die Kammer verließen, begann er zu sprechen. »Du weißt, dass ich diese immer wiederkehrenden Träume habe …«

»Ich erinnere mich.«

»Ich habe mit Cenarius darüber gesprochen, nachdem du mit Illidan gegangen warst, und wir haben zu ergründen versucht, warum sie sich ständig wiederholen.«

In ihrer Stimme klang Sorge auf. »Und habt ihr etwas herausfinden können?«

Malfurion nickte, doch er hielt seine Zunge im Zaum, während sie an den beiden Wachtposten vorbei gingen und den Tempel verließen. Erst als sie die äußeren Stufen hinabstiegen, fuhr er fort.

»Ich habe Fortschritte gemacht, Tyrande. Größere Fortschritte, als du oder Illidan erkennen konntet. Cenarius hat mir einen Weg in die reine Welt des Geistes gezeigt … den Grünen Traum nannte er sie. Aber es war mehr als das. Durch diese Erfahrung … durch diese Erfahrung war ich in der Lage, die wirkliche Welt auf eine Weise zu sehen, wie ich sie nie zuvor geschaut hatte …«