Die Kreaturen besaßen die Größe von Pferden, und auf ihren Köpfen bogen sich niedrig sitzende Hörner nach unten und nach vorne. Ihre schuppige Haut hatte eine tödlich rote Farbe, die durch Sprenkel von Schwarz betont wurde, und auf dem Rücken schaukelte ein Kamm wildzotteligen, braunen Fells. Es waren hagere, aber muskulöse Raubtiere, und jede ihrer dreizehigen Pranken endete in scharfen Krallen, mehr als einen halben Fuß lang. Die Hinterbeine der Kreaturen waren etwas kürzer als die vorderen Gliedmaßen, aber Xavius zweifelte nicht im Geringsten an der Schnelligkeit und Behändigkeit dieser Bestien. Selbst die Kleinsten ihrer Bewegungen verrieten Jäger, die überaus geschickt darin waren, ihre Beute zu fangen.
Oben auf dem Rücken der Monster ragten zwei lange, peitschenähnliche Tentakel hervor, die in kleinen, gierigen Saug-Mäulern endeten. Die Fangarme wiegten sich vor und zurück, und es war, als gelte ihre ganze Aufmerksamkeit den versammelten Zauberern.
Die Köpfe der Kreaturen erinnerten an eine absonderliche Mischung aus Wolf und Reptil. Aus langen, wilden Schnauzen ragten Dutzende scharfer Zähne hervor. Die Augen waren schmal und vollkommen weiß, doch von einer tückischen Schläue erfüllt, die mehr als reinen Tiergeist vermuten ließ.
Dann trat hinter ihnen die riesige Gestalt ihres Herrn aus dem Portal.
Er trug eine Rüstung aus geschmolzenem Stahl, und in seiner gewaltigen Hand hielt er eine Peitsche, um die herum Blitze aufzuckten, wann immer sie sich bewegte. Seine Brust und die Schultern, die so viel breiter waren als der Rest des Oberkörpers, ließen selbst den mächtigsten Krieger im Vergleich zu ihm winzig erscheinen. Wo immer die Rüstung seine Gestalt nicht verbarg, züngelten Flammen von seiner schuppigen, unirdischen Haut auf.
Ein flammendes Antlitz blickte auf die Nachtelfen herab. Es erinnerte am ehesten an einen düsteren Schädel mit gewaltigen, geschwungenen Hörnern. Trotzdem erkannten die Hochgeborenen in ihm den himmlischen Bote, der gesandt worden war, um ihnen bei ihrem Traum von einem perfekten Paradies zur Seite zu stehen.
»Wissset, dasss ich der Diener euresss Gottesss bin …«, zischte er, und die Flammen, die seine Augen waren, loderten heiß auf, während er sprach. »Ich bin gekommen, um euch zzzu helfen, den Weg für ssseine Heerscharen und sssein glanzzzvollesss Ssselbssst zzzu öffnen!«
Eine der Bestien heulte auf, aber ein Schnappen der Peitsche ließ helle Blitze über ihren Rücken krachen und brachte sie sofort zum Verstummen.
»Ich bin der Herr der Hunde …«, fuhr die titanische Gestalt fort, deren feuriger Blick nun auf den knienden Xavius gerichtet war. »Ich bin Hakkar …«
10
Schließlich erwachte Rhonin.
Er tat es nur widerwillig, denn während seines gesamten magischen Schlummers war sein Geist mit Träumen erfüllt gewesen, von den sich die Meisten um Vereesa und die Zwillinge gedreht hatten. Doch im Unterschied zu den Visionen auf der Schreckensinsel waren dies glückliche Bilder eines Lebens gewesen, das er einst für seine Zukunft gehalten hatte.
Sein Erwachen erinnerte ihn schmerzhaft daran, dass er möglicherweise nicht lange genug leben würde, um seine Familie je wiederzusehen.
Rhonin öffnete die Augen und erblickte eine vertraute, wenn auch vielleicht nicht ganz willkommene Gestalt. Krasus beugte sich über ihn, und ein Anflug von Sorge zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Das ärgerte den Menschen nur noch mehr, denn seiner Meinung nach war es die Schuld des Drachenmagiers, dass er jetzt hier war.
Zuerst fragte sich Rhonin, warum sein Sehvermögen etwas eingeschränkt wirkte, aber dann erkannte er, dass er Krasus nicht im Licht der Sonne sah. Ein voller Mond beschien die Lichtung mit einer Intensität, die unmöglich natürlich sein konnte.
Mit wachsender Neugier begann er, sich aufzurichten … und musste erkennen, dass sein Körper dagegen aufbegehrte, völlig steif war.
»Langsam, Rhonin. Du hast mehr als einen Tag geschlafen.
Dein Körper braucht ein oder zwei Minuten, um sich deinem Geist beim Erwachen anzuschließen.«
»Wo … sind wir?« Der junge Zauberer blickte sich um. »Ich erinnere mich an diese Lichtung … wir wurden hierher getragen …«
»Wir sind Gäste des Herrn dieses Ortes. Wir befinden uns nicht in Gefahr, Rhonin, aber ich muss dir sagen, dass wir diese Lichtung nicht verlassen können.«
Rhonin setzte sich auf und begutachtete die Umgebung. Er fühlte eine seltsame Präsenz, doch nichts, was an ein Gefängnis erinnert hätte. Trotzdem hatte er inzwischen gelernt, sich auf Krasus’ Einschätzungen einer Lage zu verlassen.
»Und was würde passieren, wenn wir doch versuchten zu gehen?«
Sein Gefährte zeigte auf die Blumen. »Sie würden uns aufhalten.«
»Die Pflanzen?«
»Vertrau mir, Rhonin. Ich weiß, wovon ich spreche.«
Einerseits neugierig, was die Blumen gegen ihn unternehmen wollten, entschied sich der Zauberer am Ende doch, kein unnötiges Risiko einzugehen. Krasus war offenbar der Ansicht, dass keine Gefahr bestand, so lange sie nur blieben, wo sie waren. Doch nun, da sie beide bei Bewusstsein waren, konnten sie vielleicht einen Fluchtplan entwickeln.
Sein knurrender Magen erinnerte Rhonin daran, dass er einen Tag oder noch länger geschlafen hatte, ohne etwas zu sich zu nehmen.
Bevor er noch ein Wort sagen konnte, reichte ihm Krasus eine Schüssel mit Früchten und einen Krug Wasser. Der Mensch verschlang die Früchte schnell und gierig, und obwohl sie seinen Hunger nicht vollkommen stillten, wurde er zumindest nicht länger durch seinen knurrenden Magen gestört.
»Unser Gastgeber hat seit heute Morgen kein neues Essen mehr gebracht. Ich rechne sehr bald mit ihm … vor allem, da er wahrscheinlich weiß, dass du erwacht bist.«
»Er weiß es?« So etwas hörte Rhonin gar nicht gern. Der Mann, der sie gefangen hielt, schien mehr Kontrolle auszuüben, als dem Zauberer lieb war. »Wer ist dieser Kerl?«
Krasus’ Gesicht sah aus, als sei ihm die Antwort aus irgendeinem Grund peinlich. »Er heißt Cenarius. Sagt dir dieser Name etwas?«
Cenarius … Der Name schien vertraut, doch nur sehr vage. Cenarius. Ein Begriff aus seinen Studien, jedoch nicht direkt mit Magie verbunden. Er musste an Geschichten denken, Mythen, an …
… einen Waldgott?
Rhonins Augen verengten sich. »Wir sind die Gäste eines Waldgottes?«
»Eines Halbgottes, um genau zu sein … und damit immer noch eine Macht, die selbst mein Volk respektiert.«
»Cenarius …«
»Ihr sprecht von mir, und hier bin ich!«, kicherte eine Stimme von überall her. »Ich heiße Euch willkommen, Zauberer, den man Rhonin nennt!«
Eine gewaltige, nichtmenschliche Gestalt trat in das Mondlicht. Sie schien halb Elf, halb Hirsch zu sein und überragte sogar den großen, dünnen Krasus. Rhonin starrte mit offenem Erstaunen auf das Geweih, das bärtige Gesicht und den seltsamen Körper.
»Ihr habt lange geschlafen, junges Wesen, und so bezweifle ich, dass das Essen, das ich Euch früher brachte, für Euren Hunger gereicht hat.« Er machte eine Geste, die hinter die beiden Zauberer gerichtet war. »Hier ist mehr für euch beide.«
Rhonin blickte über seine Schulter. Wo die leere Schüssel gestanden hatte, war jetzt eine neue, und sie war bis oben hin mit Früchten gefüllt. Außerdem lag auf einem hölzernen Teller direkt daneben ein dickes Stück Fleisch, das, dem Geruch nach zu urteilen, genauso zubereitet war, wie der Magier es am liebsten mochte. Rhonin zweifelte nicht daran, dass auch der Wasserkrug wieder gefüllt war.
»Ich danke Euch«, begann der menschliche Zauberer und versuchte, sich durch das neben ihm stehende Essen nicht ablenken zu lassen. »Aber ich wollte Euch eigentlich fragen …«
»Die Zeit für Fragen wird kommen. Für den Augenblick wäre ich nachlässig, würde ich Euch nicht zunächst essen lassen.«
Krasus nahm Rhonin am Arm. Mit einem Kopfnicken schloss sich der Magier seinem früheren Mentor an, und beide aßen sich satt. Rhonin zögerte zuerst, als er zu dem Stück Fleisch kam. Nicht, dass er es nicht wollte, aber es überraschte ihn, dass ein Waldbewohner wie Cenarius ein Wesen in seiner Obhut opferte, um zwei Fremde zu speisen.