»Milord, ich verstehe nicht …«
Weiter kam er nicht. Seine Augen waren von dem gefangen, was ihn aus der Kugel anblickte.
»Jetzt versteht Ihr«, sagte Xavius, und seine magischen Augen verengten sich zu einem Ausdruck der Befriedigung.
Varo’then fühlte den Gott, fühlte, wie die wundersame Präsenz jede Schicht seiner Persönlichkeit abschälte. Der Gott innerhalb der feurigen Sphäre blickte in die tiefsten Tiefen seiner Seele … und freute sich über das, was er dort fand.
Auch du wirst mir ein guter Diener sein …
Und Varo’then ließ sich auf ein Knie nieder und ehrte ihn.
»Er wird bald zu uns kommen, Hauptmann«, erklärte Lord Xavius, als der Soldat sich erhob. »Doch so großartig ist er, dass erst der Weg gestärkt werden muss, damit er seine überwältigende Präsenz tragen kann! Er hat diesen edlen Wächter gesandt, um den Pfad für andere aus seiner Heerschar zu öffnen, die ebenfalls unsere Bemühungen unterstützen werden, das Portal zu verstärken … und damit die Erfüllung all unserer Träume einzuleiten!«
Varo’then nickte und fühlte sich gleichzeitig erfreut und beschämt. »Milord, mein Versagen bei der Gefangennahme dieser Fremden, die ich in der Nähe der Störung fand …«
Er wurde von der zischenden Stimme Hakkars unterbrochen. »Dein Missserfolg kann korrigiert werden. Man wird sssie fangen … Der Grossse Gott issst sssehr interesssiert an dem, wasss Lord Xaviusss über diessse – Störung – erzzzählt hat und möchte die mögliche Verbindung der Fremden zzzu ihr ergründen.«
»Aber wie wollt ihr sie finden? Dieser Wald ist das Reich des Halbgottes Cenarius! Ich bin mir sicher, dass er es war, der uns angriff!«
»Cenarius ist nur ein Waldgott«, erinnerte ihn der Berater. »Hinter uns stehen weit größere Mächte als er.«
Hakkar wandte sich von den Nachtelfen ab und schnappte mit seiner Peitsche auf einen offenen Bereich vor sich. Als die sehnige Waffe knallte, traf ein grünlicher Blitz den Steinboden.
Der getroffene Bereich begann hell aufzuleuchten. Das grüne Lodern wurde schnell größer und aus ihm begann etwas zu erwachsen.
Die beiden Feibestien heulten, und ihre fürchterlichen Tentakel zuckten zu dem Leuchten hin, doch Hakkar hielt sie zurück.
Eine vierbeinige Gestalt bildetet sich, wurde größer, wurde breiter. Sie nahm ein Erscheinungsbild an, das Hauptmann Varo’then bereits vertraut war, und gab ein markerschütterndes Heulen von sich.
Der neue Hund schüttelte sich einmal, dann schloss er sich den anderen an. Während die Nachtelfen wie hypnotisiert zusahen, wiederholte Hakkar den Zauber mit seiner Peitsche und rief eine vierte monströse Bestie, die sich zu ihren Artgenossen stellte.
Dann ließ er die Peitsche im Kreis wirbeln und schuf ein rundes Muster, das heller und heller aufloderte, bis ein Loch in der Luft vor ihm erschien, ein Loch, so groß wie seine eigene fürchterliche Gestalt – und doppelt so breit.
Hakkar bellte einen Befehl in irgendeiner dunklen Sprache.
Die höllischen Feibestien sprangen eine nach der anderen durch das Loch und verschwanden. Als die Letzte der Kreaturen fort war, löste sich auch das Loch selbst auf.
»Sie wisssen, wasss sssie sssuchen müsssen«, informierte Hakkar seine fassungslosen Gefährten. »Und sssie werden finden, wasss sssie sssuchen …« Der feurige Gigant rollte seine Peitsche zusammen, und sein dunkler Blick wandte sich dem Zauberwerk der Nachtelfen zu. »Und jetzzzt beginnen wir damit, unsssere eigene Aufgabe zzzu erfüllen …«
11
Krasus hatte einen ganzen Tag gebraucht, bis er bemerkte, dass er und Rhonin beobachtet wurden.
Es hatte noch einen weiteren halben Tag gedauert, um zu dem Schluss zu gelangen, dass der Beobachter nichts mit Cenarius zu tun hatte.
Wer es war, der die Fähigkeit besaß, seine Gegenwart vor dem mächtigen Halbgott zu verbergen, konnte der Drachenmagier nicht sagen.
Einer von Cenarius’ Gegenstücken? Nicht sehr wahrscheinlich. Der Herr des Waldes war gewiss zu vertraut mit ihren Schlichen oder den Tricks ihrer Diener.
Die Nachtelfen? Krasus verwarf auch dies sofort, ebenso die Möglichkeit, dass irgendein anderes sterbliches Volk den Lauscher gesandt haben könnte.
So blieb ihm nur noch eine logische Schussfolgerung … dass derjenige, der Cenarius und seine beiden »Gäste« ausspionierte, ein Mitglied von Krasus’ eigenem Volk war.
Dort, woher er kam, sandten die Drachen Beobachter aus, um jene im Auge zu behalten, in denen sie das Potenzial spürten, die Welt zu verändern, sei es nun zum Guten oder zum Schlechten. Menschen, Elfen, Zwerge, Orcs – unter jedem Volk bewegten sich Spione. Die Drachen betrachteten diese Vorgehensweise als ein notwendiges Übel. Wenn man die jüngeren Völker sich selbst überließ, neigten sie zu Katastrophen. Und auch in dieser Periode der Vergangenheit gab es mit Sicherheit irgendeine Art von Spionen. Krasus zweifelte nicht daran, dass einige von ihnen ein misstrauisches Auge auf Zin-Azshari warfen … aber es war typisch für die Seinen, nichts zu unternehmen, bis sie sich absolut sicher waren, dass eine Katastrophe tatsächlich unmittelbar bevorstand.
In diesem Fall würde es dann bereits zu spät zum Einschreiten sein.
Vor Cenarius hatte er seine Geheimnisse wahren können, aber wenn er es mit einem seiner eigenen Brüder zu tun hatte, selbst einem aus dieser Vergangenheit, dann, so entschied Krasus, musste er ihm preisgeben, was er wusste. Wenn irgendjemand die potenzielle Katastrophe verhindern konnte, die seine und Rhonins Anwesenheit in dieser Zeit vielleicht bereits ausgelöst hatte, dann waren es die Drachen … und auch nur dann, wenn sie bereit waren zuzuhören.
Er wartete ab, bis sein menschlicher Gefährte schlief und die Wahrscheinlichkeit, dass Cenarius plötzlich zurückkehrte, gering war. Stille, unsichtbare Waldgeister kümmerten sich um die Bedürfnisse von Krasus und Rhonin. Essen erschien zu bestimmten Zeiten, und die Reste verschwanden, sobald das Paar fertig gespeist hatte. Andere Bedürfnisse menschlicher Natur wurden in ähnlicher Weise behandelt. So konnte Cenarius seine mysteriösen Gespräche mit seinen Gegenstücken weiterführen – die, da es sich um Gottheiten handelte, Tage, Wochen, Monate oder sogar noch länger dauern konnten –, ohne sich sorgen zu müssen, dass seine Gäste in seiner Abwesenheit verhungerten.
Egal in welchem Zyklus sich der Mond gerade befand, auf der Lichtung war es stets so hell wie am Tag. Sobald er sicher war, dass Rhonin fest schlief, erhob sich Krasus leise und schritt auf die Barriere der Blumen zu.
Selbst jetzt, da es Nacht war, richteten sie ihre Blütenköpfe sofort auf ihn. Der Drachenmagier trat so nahe an sie heran, wie er konnte, ohne sie zu aufzuwecken, und spähte in den Wald, der hinter ihnen lag. Eindringlich studierte er die dunklen Bäume. Er kannte die Geheimnisse der Tarnung, die seine Art benutzte, besser als jeder andere, besser noch als ein Halbgott. Was auch immer Cenarius möglicherweise übersehen hatte, Krasus würde es finden.
Zuerst erschienen ihm die Bäume alle gleich. Er musterte jeden von ihnen der Reihe nach, dann ein weiteres Mal, Baum für Baum. Noch immer hatte er nichts entdeckt. Sein Körper bettelte um Schlaf, doch Krasus weigerte sich, seiner natürlichen Schwäche nachzugeben. Wenn er dies einmal tat, so fürchtete er, würde er sich nie wieder davon erholen.
Plötzlich blieb sein Blick an einer hoch aufragenden Eiche mit einem besonders dicken Stamm hängen.
Der müde Zauberer fasste sie scharf ins Auge und legte einen mentalen Schutz um seine Gedanken. Dann konzentrierte er sich auf den Baum.
Ich kenne dich … Ich weiß, was du bist, Beobachter …
Nichts geschah. Keine Antwort. Einen kurzen Moment lang fragte sich Krasus, ob er sich geirrt haben könnte, doch Jahrhunderte der Erfahrung widersprachen dem.
Er unternahm einen weiteren Versuch. Ich kenne dich … Getarnt als Teil des Baumes beobachtest du uns und den Herrn des Waldes. Du fragst dich, wer wir sind, warum wir hier sind.