Wütend schnippte er mit den Fingern in Richtung des verschütteten Weins. Glasscherben begannen zu schweben, während der Wein zusammenfloss und die Form der Karaffe annahm, in der er sich befunden hatte. Das Glas begann, sich um den Wein zu formen …
Aber nur eine Sekunde später verteilte sich wieder alles auf dem Teppich und verursachte noch mehr Scherereien als zuvor.
Der alte Zauberer starrte darauf. Grimmig das Gesicht verzogen schnippte er erneut mit seinen Fingern.
Dieses Mal hielten sich Glas und Wein an den Befehl, den er ihnen gegeben hatte, bis nicht einmal mehr die Ahnung eines Flecks zurückblieb. Allerdings bewegten sie sich zögernd und benötigten wesentlich mehr Zeit, als der Zauberer der Mondgarde erwartet hätte.
Der alte Nachtelf kehrte zu seiner Karte zurück und versuchte sich auf das bevorstehende Ereignis zu konzentrieren. Aber sein Blick schweifte immer wieder zur Karaffe. Irgendwann richtete er den Finger darauf … senkte ihn jedoch unverrichteter Dinge wieder und drehte seinen Sessel anschließend so, dass er die Ursache seiner schlechten Laune nicht mehr ständig betrachten konnte.
Am Rande aller größeren Siedlungen patrouillierten bewaffnete Wachen und beschützten die Nachtelfen vor möglichen Feinden. Lord Ravencrest und andere Männer wie er beobachten das Land jenseits der Reichsgrenzen, fürchteten sie doch, dass die Zwerge und andere Völker unablässig Ränke schmiedeten, um sich den Wohlstand der Nachtelfen einzuverleiben. Sie blickten nicht nach innen – denn wer aus ihrem eigenen Volk hätte sie schon bedroht? –, sondern gestatteten jeder Siedlung, sich selbst um ihre Sicherheit zu kümmern und für das Wohlergehen ihrer Bürger zu sorgen. In Galhara, einer großen Stadt, die in einiger Entfernung von Zin-Azshari auf der anderen Seite der Quelle lag, begannen die Zauberer mit dem nächtlichen Ritual der Neuausrichrung ihrer Smaragdkristalle, die die Stadtgrenze markierten. Wenn die Kristalle richtig aufeinander eingestimmt waren, wehrten sie auch magische Angriffe ab. Niemand konnte sich daran erinnern, dass man sie jemals eingesetzt hatte, aber ihre bloße Existenz beruhigte das Volk.
Obwohl es Hunderte Kristalle gab, war es nicht schwer, sie auszurichten. Sie alle zogen ihre Kraft direkt aus der Quelle der Ewigkeit, und die Zauberer brauchten nur den Stand der Sterne zu berechnen, um die Kraftlinien, die von einem Kristall zum anderen liefen, zu justieren. Dazu musste man den Kristall, der auf einer hohen Obsidianstange ruhte, einfach nur kurz drehen. Die Zauberer konnten mehrere von ihnen in nur wenigen Minuten einstellen.
Doch als ein wenig mehr als die Hälfte ausgerichtet war, begannen die Kristalle matter zu leuchten und verdunkelten sich am Ende sogar. Die Zauberer von Galhara besaßen zwar nicht die Erfahrung der Mondgarde, aber sie verstanden ihr Handwerk immerhin gut genug, um zu wissen, dass Derartiges nicht hätte passieren dürfen. Sofort überprüften sie die Ausrichtung, fanden jedoch keinen Fehler.
»Sie ziehen keine Kraft mehr aus der Quelle«, behauptete ein junger Magier schließlich. »Etwas versucht, sie von ihrer Macht abzuschirmen.«
Er hatte diese Worte kaum ausgesprochen, als die Kristalle ihre normale Aktivität jedoch auch schon wieder aufnahmen. Seine älteren Kollegen sahen den Jüngeren amüsiert an und versuchten sich daran zu erinnern, ob sie in ihrer Jugend auch solch absurde Thesen aufgestellt hatten.
Und das Leben der Nachtelfen ging weiter, als hätte es keine warnenden Signale gegeben …
»Esss issst fehlgeschlagen!«, schrie Hakkar. Er hätte den Hochgeborenen, der neben ihm stand, beinahe ausgepeitscht, zog sein Werkzeug jedoch im letzten Moment zurück. Aus tödlich dunklen Augen starrte er Lord Xavius an. »Wir haben versagt …«
Die Feibestien an der Seite des Herrn der Hunde kommentierten seine Worte mit einem bösartigen Knurren.
Xavius war ebenso wütend. Er betrachtete das von den Hochgeborenen und Hakkar gemeinsam vollendete Werk und sah darin nur vertane Zeit … obwohl er und der Herr der Hunde ursprünglich geglaubt hatten, der Plan der Königin könne funktionieren.
Offenbar besaßen sie aber nicht das nötige Wissen und die Macht, um ihn umzusetzen.
Dass die Mühen der Hochgeborenen zumindest dafür gesorgt hatten, eine Anzahl von Feiwachen durch das Portal zu leiten, hob seine Laune nicht im Geringsten. Das war nur ein schwacher Abglanz des Erhofften, ein Rinnsal im Vergleich zu dem mächtigen Strom, den sie benötigten, um den Erhabenen zu sich zu holen.
»Was sollen wir tun?«, fragte der Nachtelf.
Zum ersten Mal las er Unsicherheit im grässlichen Antlitz des Herrn der Hunde. Der riesige Krieger blickte sehnsüchtig zum Portal, wo die Hochgeborenen weiterhin versuchten, es zu stärken und zu weiten. »Wir müssssen ihn fragen.«
Der Berater schluckte, aber bevor sein monströses Gegenüber seine Absicht in die Tat umsetzen konnte, drängte sich Lord Xavius an ihm vorbei und beugte sein Knie selbst vor dem Portal nieder. Er würde vor seinem Gott für alle Fehler gerade stehen.
Sein Knie hatte den Boden noch nicht berührt, als er bereits die Stimme in seinem Kopf hörte.
Ist das Portal gefestigt?
»Nein, Erhabener … die Arbeit schreitet nicht so rasch voran, wie wir erhofft hatten.«
Für einen kurzen Moment glaubte der Nachtelf von irrsinniger Wut übermannt zu werden, dann verging das Gefühl. Xavius war überzeugt, dass er sich die Anwandlung nur eingebildet hatte und lauschte den nächsten Worten des Gottes.
Du suchst nach etwas … so rede.
Lord Xavius erläuterte den Plan, der darauf zielte, alle außerhalb des Palasts von der Macht der Quelle abzuschotten – und gestand den Fehlschlag ein, den sie bei der Umsetzung erlitten hatten. Er hielt den Kopf gesenkt, demonstrierte Demut vor einer Macht, gegen die selbst die geballte Kraft aller Nachtelfen nicht wirkungsvoller als die eines Insekts war.
Ich habe bereits darüber nachgedacht, antwortete der Gott schließlich. Der, den ich zuerst entsandte, hat seine Pflicht nicht erfüllt …
Hinter Xavius stieß der Herr der Hunde einen kurzen, verzweifelt klingenden Laut aus.
Ein anderer wird dir gesandt werden. Du musst sicherstellen, dass das Portal bereit für ihn ist.
»Ein anderer, Herr?«
Ich werde dir jetzt einen meiner … einen der Kommandanten meiner Armee schicken. Er wird dafür sorgen, dass geschieht, was geschehen muss … und zwar rasch.
Die Stimme verschwand aus Xavius’ Kopf. Er taumelte einen Moment, denn der Rückzug des Gottes erfolgte so plötzlich und unerwartet, dass er sich fühlte, als habe man ihm einen Arm abgeschlagen. Ein Hochgeborener half ihm auf die Beine.
Xavius blickte zu Hakkar, der mehr als unglücklich wirkte, während der Berater selbst die Nachrichten für wundervoll hielt. »Er schickt uns einen seiner Kommandanten! Weißt du, welchen?«
Der Herr der Hunde rollte besorgt seine Peitsche auf. Neben ihm duckten sich die beiden Feibestien. »Ja, ich weiß, welchen, Lord Nachtelf.«
»Wir müssen alles vorbereiten. Er wird bald eintreffen!«
Hakkar wirkte niedergeschlagen, trat jedoch mit Xavius zu den Hochgeborenen und begann den neuen Zauber zu weben. Die beiden stellten den anderen ihr Wissen und ihre Fähigkeiten zur Verfügung und stärkten auf diese Weise so gut sie es vermochten die Kräfte, die das Portal öffneten.
Das brennende Tor gewann an Breite. Bunte Funken sprühten plötzlich daraus hervor. Sie pulsierten, schienen zu atmen. Das Portal dehnte sich aus. Ein brüllendes Geräusch, wie Donner, begleitete die Veränderung.
Schweiß lief über Xavius’ Gesicht und über seinen Körper, aber das kümmerte ihn nicht. Der Ruhm, nach dem er strebte, verlieh ihm Stärke. Mehr noch als der Herr der Hunde setzte er sich ein, um den Zauber nicht nur zu halten, sondern zu vergrößern.
Das Portal wuchs, bis es die Decke berührte. Dann spie es eine große, dunkle Gestalt aus, deren Anblick so furchtbar und gleichzeitig so wundervoll war, dass Xavius beinahe seinem Gott entgegen geschrien hätte, wie dankbar er ihm dafür war. Vor ihm stand einer der Himmelskommandanten, eine Gestalt, neben der Hakkar so unwürdig wirkte, wie Xavius selbst sich im Schatten des Herrn der Hunde fühlte.