Brox stimmte sofort zu. »Die Schamanin … sie wird helfen.« Sein Tonfall wurde zurückhaltender. »Dein Zwilling auch …«
Rhonin sorgte sich immer noch um Krasus, aber da er nicht wusste, wo er seinen ehemaligen Mentor finden sollte, schien der Vorschlag des Nachtelfen sinnvoll. Mit Malfurion an der Spitze zog das Trio los. Der Weg durch den Wald erwies sich als überraschend einfach, vor allem, wenn man ihn mit dem Weg verglich, den sich der Orc und der Mensch zuvor hatten bahnen müssen. Die Landschaft schien sich zu bemühen, Malfurions Reise so angenehm wie möglich zu gestalten. Rhonin wusste ein wenig über Druiden und erkannte, dass Malfurion einer sein musste.
»Der Halbgott – Cenarius … hat er dich die Sprache der Bäume und das Wirken von Zaubern gelehrt?«
»Ja, ich scheine der Erste zu sein, der seine Art von Magie wirklich versteht. Selbst mein Bruder zieht die Macht der Quelle dem Weg des Waldes vor.«
Die Erwähnung der Quelle löste in Rhonin ein Gefühl von Erwartung und … Begierde aus. Er unterdrückte diese Anwandlungen. Bei der Quelle, von der sein Begleiter sprach, musste es sich um die Quelle der Ewigkeit handeln, die legendäre Quelle der Macht. Waren sie ihr nahe? Waren seine Zauber deshalb so stark geworden?
Solche Kräfte zu erhalten … und so leicht …
»Es ist nicht mehr weit«, sagte Malfurion kurze Zeit später. »Ich erkenne den knorrigen Alten.«
Der »Alte«, von dem er sprach, war ein knorriger mächtiger Baum, von dem Rhonin nur einen dunklen Umriss erkannte. Etwas anderes erregte jedoch die Aufmerksamkeit des Zauberers.
»Höre ich Wasser fließen?«
Der Nachtelf klang fröhlicher. »Es läuft in der Nähe meines Zuhauses vorbei. Nur noch ein paar Minuten, dann …«
Bevor er seinen Satz zu Ende sprechen konnte, füllte sich der Wald mit Gestalten in Rüstungen. Brox grunzte und zog seine Axt. Rhonin bereite einen Zauber vor und war überzeugt, dass es sich um die gleichen hinterhältigen Angreifer handelte, die ihn und Krasus gefasst hatten.
Malfurion wirkte vollkommen überrascht über das Auftauchen der Krieger. Er wollte ihnen seine Hand entgegen strecken, zögerte dann jedoch.
Malfurions Zögern ließ auch Rhonin innehalten. Das erwies sich als Fehler, denn im nächsten Moment fiel ein flirrendes rotes Netz über jeden in der kleinen Gruppe. Rhonin spürte, wie seine Muskeln steif wurden und alle Kraft daraus verschwand. Er konnte sich nicht länger bewegen, nicht länger handeln, nur mehr zusehen.
»Hervorragende Arbeit, Junge«, dröhnte eine befehlsgewohnte Stimme. »Das ist der Tiermensch, den wir gesucht haben – zusammen mit denen, die ihm bei seiner Flucht geholfen haben.«
Jemand antwortete so leise, dass Rhonin die Worte nicht verstand. Mehrere Reiter, von denen zwei leuchtende Smaragdstöcke trugen, lösten sich aus der Gruppe der Soldaten. An ihrer Spitze ritt ein bärtiger Nachtelf, der das Kommando zu führen schien. Neben ihm …
Rhonins Augen weiteten sich. Eine andere Reaktion ließ sein momentaner Zustand nicht zu. Seiner Überraschung über den Mann, der neben dem Kommandanten ritt, war das jedoch kaum angemessen.
Er trug andere Kleidung und hatte die Haare zu einem Zopf zusammen gebunden, dennoch gab es nicht den geringsten Zweifel, dass sein ernstes Gesicht das von Malfurion war.
18
Mannoroth war zufrieden, und das stimmte auch Lord Xavius optimistisch.
»Es ist also gut?«, fragte der Nachtelf den Himmelskommandanten. So viel hing davon ab, dass ihre Pläne aufgingen.
Mannoroth nickte mit seinem schweren, Stoßzahn bewehrten Schädel. Seine Flügel streckten sich zum Zeichen der Zustimmung. »Ja, sehr gut sogar … Sargeras wird Gefallen daran finden.«
Sargeras. Erneut hatte der Himmelskommandant den wahren Namen des Erhabenen genannt. Xavius’ magische Augen leuchteten auf, als er ihn stumm wiederholte. Sargeras.
»Wir werden das Portal öffnen, sobald der Zauber steht. Zuerst wird die Armee erscheinen, dann, wenn alles vorbereitet ist, mein Herr selbst …«
Hakkar kam herbei. Der gestrafte Herr der Hunde fiel vor Mannoroth auf die Knie. »Verzeiht die Störung, aber einer meiner Jäger issst zurückgekehrt.«
»Nur einer?«
»Ssso scheint esss.«
»Und was hast du von ihm erfahren?« Unter Mannoroths dunklem Blick schien der Herr der Hunde zu schrumpfen.
»Ssssie haben zwei mit dem fremden Geruch gefunden, von dem Lord Nachtelf sprach, und einen von ssseiner Art, der bei ihnen issst. Doch bei der Jagd trafen sssie auch ein Wesssen mit großer Macht … sssehr großer Macht.«
Zum ersten Mal verriet Mannoroths Mimik ein wenig von seiner Unsicherheit. Xavius bemerkte es und fragte sich, was ein so wundersames Wesen verstören konnte. »Könnte sie …?«
Hakkar schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Vielleicht ein Hauch von ihrer Kraft, ein Wächter, der zurückgeblieben issst.«
Die beiden sprachen von etwas Bedeutungsvollem, aber der Berater wusste nicht, von was. Er wagte es, sie zu unterbrechen. »Gibt es eine Beschreibung dieses Wesens, von dem ihr sprecht?«
»Ja.« Hakkar drehte seine Hand, bis die Innenfläche nach oben zeigte. Über ihr erstand ein kleines Bild. Es zuckte hin und her und verschwamm immer wieder, aber nach einer Weile ließ sich die Gestalt darin klar erkennen.
»Gesssehen durch die Augen einer Feibessstie. Ein Wesssen mit Hörnern, ssso grosss wie eine Felbessstie.«
Lord Xavius runzelte die Stirn. »Dann stimmt die Legende … es gibt den Herrn des Waldes tatsächlich.«
»Du kennst diese Kreatur?«, fragte Mannoroth.
»In uralten Mythen taucht der Herr des Waldes auf, der Halbgott Cenarius. Er soll ein Kind von Mutter Mond und …«
»Das reicht.« Das Maul mit den Hauern verzog sich ungehalten. »Wir werden uns mit ihm befassen.« An Hakkar gewandt, sagte er: »Zeig uns die anderen.«
Der Herr der Hunde gehorchte und ließ vor ihnen die Bilder eines grünhäutigen, primitiven Kriegers, einen jungen Nachtelfs und einer seltsamen Gestalt mit feuerrotem Schopf, in eine Robe gekleidet, entstehen.
»Ein merkwürdiges Trio«, bemerkte Xavius.
Mannoroth nickte. »Der Krieger sieht vielversprechend aus … ich möchte mehr über sein Volk erfahren und das Potenzial, das es in sich birgt …«
»Eine solche Bestie? Ist das Euer Ernst? Sie wirkt ja grotesker als ein Zwerg.«
Die geflügelte Gestalt widersprach nicht, sondern betrachtete den Dritten aus der Gruppe. »Eine dürre Kreatur, aber mit wachem Blick. Ein Wesen der Magie, glaube ich. Fast wie ein Nachtelf.« Er ging über Xavius’ Protest hinweg. »Aber nicht ganz.« Das gewaltige Reptilienwesen wandte sich von Hakkar ab und begann in der Kammer auf und ab zu gehen. Mannoroth dachte über die Dinge nach, die er gerade erfahren hatte.
»Wir könnten weitere Feibessstien ausssenden, um ssssie zu finden«, schlug der Herr der Hunde vor.
»Aber nur zusammen mit Feiwachen. Dieses Mal ist das Ziel eine Gefangennahme.«
»Gefangennahme?«, wiederholten der Berater und der Herr der Hunde gleichzeitig.
Die tief liegenden Augen verengten sich. »Sie müssen erforscht werden, wir müssen ihre Stärken und Schwächen erkunden, für den Fall, dass es noch mehr von ihnen gibt …«
»Können wir die Feiwache entbehren?«
»Es werden bald sehr viele Wächter kommen. Lord Nachtelf, sind Eure Hochgeborenen bereit?«
Xavius warf einen Blick auf die Zauberer und nickte. »Sie sind bereit, alles zu tun, was getan werden muss, um unseren ruhmreichen Traum in Erfüllung gehen zu lassen, die Welt zu säubern von allen, die …«
»Die Welt wird gesäubert werden, Lord Nachtelf, dessen könnt Ihr sicher sein.« Mannoroth sah Hakkar an. »Ich überlasse dir die Jagd, Hundeherr. Versage nicht noch einmal.«
Mit gesenktem Haupt entfernte sich Hakkar.
»Und nun, Lord Nachtelf …«, fuhr das gewaltige Wesen fort, »… lasst uns die Zukunft Eures Volkes angehen!« Mannoroth streckte seine Flügel, wie er es immer zu tun schien, wenn er wohliges Behagen verspürte. »Eine Zukunft, wie Ihr sie Euch nicht in Euren kühnsten Träumen vorstellen könnt …«