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»Und die dort unten waren in Lord Xavius’ Augen nicht … vollkommen?«

»So sah es der enge Vertraute des Erhabenen, der Himmelskommandant Mannoroth.«

Azshara hatte den beeindruckenden Mannoroth nur kurz gesprochen und war wie ihr Berater von dem hohen Diener des Erhabenen überwältigt gewesen.

Die Königin nickte: »Wenn Mannoroth sagt, es müsse geschehen, dann muss es geschehen. Für ein ruhmreiches Ziel müssen Opfer gebracht werden. Das habe ich stets gesagt.«

Varo’then neigte den Kopf. »Eure Weisheit ist grenzenlos.«

Die Königin nahm dieses Kompliment mit der gleichen königlichen Gelassenheit entgegen, mit der sie die vielen anderen Komplimente, die sie täglich erhielt, hinnahm. Mit einem Blick auf das Massaker unter ihr, fragte Azshara: »Wird es noch lange dauern? Wird auch der Erhabene bald eintreffen?«

»Das wird er, meine Königin … und man sagt, dass Mannoroth ihn Sargeras nennt.«

»Sargeras …« Königin Azshara spürte den Namen auf ihrer Zunge und auf ihren Lippen. »Sargeras … ein trefflicher Name für einen Gott.« Sie legte eine Hand auf ihre Brust. »Ich hoffe, man wird mir früh genug Bescheid geben, wenn er zu uns kommt. Ich wäre sehr enttäuscht, wenn ich ihn nicht selbst begrüßen könnte.«

»Ich werde persönlich darauf achten, dass man Euch so früh wie möglich informiert«, versicherte Varo’then und verbeugte sich. »Vergebt mir, meine Königin, aber die Pflicht ruft mich.«

Sie entließ ihn mit einer lässigen Handbewegung, war immer noch fasziniert vom Anblick der Stadt und dem wahren Namen des Gottes. Der Hauptmann ließ sie mit ihrer Leibwache allein.

In ihrer Phantasie stellte sich Azshara die neue Welt vor, die auf den Grundmauern der alten entstehen würde. Eine noch großartigere Stadt, ein wahres Monument ihres Ruhmes. Sie würde nicht mehr den Namen Zin-Azshari tragen, auch wenn dies eine noble Geste ihres Volks gewesen war. Nein, das nächste Mal würde sie einfach Azshara genannt werden. Das war Königin Azsharas Domizil sehr viel angemessener. Sie sprach es zweimal laut aus und genoss den Klang des Wortes. Sie hätte diese Änderung bereits vor langer Zeit durchsetzen sollen, doch das war jetzt nicht mehr wichtig.

Dann kam ihr ein weiterer, interessanterer Gedanke. Natürlich war sie die Vollkommenste ihres Volkes, aber es gab da einen, der noch ruhmreicher, noch gewaltiger war … und schon bald würde er eintreffen.

Sein Name war Sargeras.

»Sargeras«, flüsterte sie. »Sargeras, der Gott …« Ein beinahe kindliches Lächeln huschte über ihr Gesicht. »… und seine Gemahlin Azshara …«

Im Abstand von nur wenigen Minuten trafen Boten in Black Rook Hold ein. Alle wollten sofort mit dem Herrn der Festung sprechen, denn jeder brachte wichtige Neuigkeiten.

Und mit jeder Nachricht, die Lord Ravencrest erhielt, wurde die Lagebeschreibung düsterer.

Die Zauberei war den Nachtelfen praktisch gestohlen worden. Sogar die Begabtesten vermochten nur noch wenig auszurichten. Hinzu kam, dass Zauber, die darauf beruhten, dass der Quelle ständig Kraft entzogen wurde, plötzlich nicht mehr funktionierten, was mancherorts katastrophale Folgen hatte. Allenthalben brach Panik aus. Man konnte nichts weiter tun, als gegen das Chaos anzukämpfen.

Vom wichtigsten Ort des Landes, der Region rund um Zin-Azshari, hatte man nichts gehört.

Bis zu dieser Stunde.

Der Bote, der von den Wachen eingelassen wurde, konnte kaum noch stehen. Seine Rüstung hatte man ihm teilweise vom Körper gerissen, und blutige Wunden übersäten seinen Körper. Er taumelte vor Lord Ravencrest und kniete nieder.

»Hat er Speise und Trank bekommen?«, fragte der Adlige. Als niemand eine Antwort wusste, erteilte er einem Soldaten, der an der Tür stand, einen entsprechenden Befehl. Nur Sekunden später erhielt der Ankömmling zu essen und zu trinken.

Zu den ungeduldig Wartenden zählten auch Rhonin und seine Gefährten. Sie waren zwar keine Gefangenen mehr, konnten ihren neuen Status jedoch schwer einschätzen. Keine Verbündeten wohl, aber auch keine Außenseiter. Der Zauberer hatte sich zum Schweigen entschlossen und hielt sich im hinteren Teil des Raumes auf. Damit wollte er dafür sorgen, dass er nicht erneut wie ein Gefangenen behandelt wurde.

»Kannst du jetzt sprechen?«, fragte Ravencrest den Boten, nachdem er ein paar Früchte gegessen und fast einen halben Schlauch voll Wasser ausgetrunken hatte.

»Ja … vergebt mir, Herr … dass ich vorher nicht dazu in der Lage war.«

»Wenn ich deinen Zustand betrachte, kann ich kaum glauben, dass du es überhaupt bis hierher geschafft hast …«

Der Nachtelf, der vor ihm kniete, warf einen Blick auf die anderen Versammelten. Rhonin bemerkte den gehetzten Ausdruck in seinen Augen. »Ich kann selbst kaum glauben, dass ich hier bin … Milord.« Er hustete. »Milord – ich komme, um euch von etwas … etwas zu berichten, das ich … für das Ende der Welt halte.«

Seine stammelnde Art zu sprechen und sein leiernder Tonfall unterstrichen noch das Grauen seiner Worte. Tödliche Stille erfüllte die Kammer. Rhonin dachte an das, was Malfurion gesagt hatte. Es hat begonnen. Selbst Malfurion hatte nicht verstanden, was er damit zum Ausdruck hatte bringen wollen, spürte nur, dass etwas Furchtbares im Anmarsch war.

»Was soll das heißen?«, drängte Ravencrest und beugte sich vor. »Bringst du schlechte Nachrichten aus Zin-Azshari? Wer hat dir aufgetragen, uns von dieser Gefahr zu berichten?«

»Milord, ich komme aus Zin-Azshari.«

»Unmöglich!«, unterbrach Latosius. »Man würde drei bis fünf Nächte brauchen, um hierher zu gelangen, und Zauber stehen nicht zur Verfügung.«

»Ich weiß besser, was zur Verfügung steht als du!«, raunzte der Soldat, ohne auf den höheren Rang des Mondgardisten zu achten. An Lord Ravencrest gewandt, sagte er: »Ich wurde geschickt, um Hilfe zu erbitten. Alle, die noch dazu in der Lage waren, haben ihre Kräfte zusammengeschlossen, um mich hierher zu bringen. Sie sind vermutlich bereits tot …« Er schluckte. »Ich habe vielleicht als Einziger überlebt …«

»Die Stadt, Junge! Was ist mit der Stadt?«

»Milord … Zin-Azshari liegt in Schutt und Asche. Die Stadt wurde von blutdürstigen Ungeheuern überrannt, von Kreaturen wie aus einem Alptraum.«

Die Schilderung der Geschehnisse sprudelte aus dem Boten heraus, wie Blut aus einer nicht zu verschließenden Wunde. Die Nachtelfen der Hauptstadt waren ebenso wie alle anderen von dem plötzlichen und unerklärlichen Verlust ihrer Kräfte überrascht worden. Viele waren zum Palast gezogen, um eine Erklärung zu verlangen. Hunderte hatten sich schließlich dort versammelt.

Und dann war aus den Toren des Palasts warnungslos eine endlos scheinende Horde monströser Krieger gestürmt, einige mit Hörnern, andere mit Flügeln, die sich begierig auf die wartende Menge stürzte. Innerhalb von Sekunden starben Dutzende. Panik breitete sich aus, und viele wurden von anderen, die zu fliehen versuchten, niedergetrampelt.

»Wir sind gerannt, Milord, wir alle. Ich kann nur für die sprechen, die in meine Richtung liefen, doch selbst die stärksten Krieger blieben nicht stehen.«

Doch die Dämonenhorde folgte ihnen, berichtete der Bote weiter, und meuchelte, wer ihnen unter die Klauen kam. Kleineren Gruppen gelang die Flucht aus der Stadt, doch selbst dort hetzten die Ungeheuer sie weiter.

Niemand unterbrach den Entkräfteten. Niemand behauptete, er leide unter Wahnvorstellungen. Sie alle lasen die Wahrheit in seinen Augen und in seiner Stimme.

Der Bote beschrieb dann, wie er hierher gelangt war. Einige Mondgardisten und Offiziere hatten über eine mögliche Verteidigung oder einen Schlachtplan diskutiert. Man hatte entschieden, dass Black Rook Hold informiert werden musste, und das Los war auf diesen Soldaten gefallen.

»Sie haben mich gewarnt, sagten, der Zauber würde vielleicht nicht wirken wie geplant. Im schlimmsten Fall wäre ich auf dem Grund der Quelle oder wieder in der Stadt heraus gekommen …« Er hob die Schultern. »Ich sah keine Alternative …«