Die Welt stand auf dem Kopf.
Mannoroth spürte den Verlust. Mannoroth spürte die Leere, noch bevor es begann.
Der riesige, monströse Kommandant stoppte am hinteren Ende seiner Horde und wandte sein hässliches Gesicht dem Turm zu.
Einem Turm, der nicht mehr existierte.
»Neeeeeeiiiiiiiiinnnn!«
Rhonin spürte es. Er spürte den plötzlichen Anstieg der Kräfte, die Euphorie der Macht. Er glaubte, er könnte Welten erbauen, die Sterne vom Himmel holen oder sie nach seinem Wunsch neu im Firmament ordnen. Er war unüberwindbar und allmächtig.
Der Zauber, der die Quelle der Ewigkeit blockiert hatte, existierte nicht mehr.
Sofort blickte er zu Illidan, wollte wissen, ob der junge Nachtelf Vergleichbares spürte. Rhonin hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen, denn Illidan erlebte offensichtlich auch einen Kraftschub. Tatsächlich wirkte nicht nur die Mondgarde neu erstarkt, sondern die gesamte Armee.
Die Quelle und die Nachtelfen sind eins, erkannte der Magier. Selbst die, die keine Zauber woben, waren irgendwie mit ihm verbunden. Sie hatten nicht begriffen, was sie verloren, als sie von ihm getrennt wurden. Jetzt bemerkte Rhonin bei jedem Einzelnen – angefangen bei Lord Ravencrest bis hin zum niedrigsten Soldaten – neue Zuversicht und Entschlossenheit. Sie glaubten, niemand könne sie schlagen.
Nicht einmal die Brennende Legion.
Krieger stießen in Hörner. Die Nachtelfen brachen in einen gemeinsamen Kampfschrei aus, der dem der Dämonen in nichts nachstand. Die vordersten Reihen der Legion gerieten ins Stocken. Sie waren unsicher, was diese jähe Veränderung zu bedeuten haben mochte.
»Schlagt los!«, brüllte Lord Ravencrest.
Die Verteidiger stürmten vor. Die Dämonen gerieten unvermittelt in arge Bedrängnis. Feibestien wurden abgeschlachtet, bevor sie in die Sicherheit der Horde zurückfanden. Stoßzahn bewehrte Krieger sanken zu Boden, als die Klingen der Nachtelfen ihre Ziele fanden. Der Vormarsch der Legion geriet ins Stocken.
Illidan führte die Mondgarde gegen die Angreifer, leitete sie mit seinen Zaubern. Der Boden begann unter den Füßen der Brennenden Legion zu beben, warf Dämonen umher, als seien sie nichts. Einige der geflügelten Wächter der Verdammnis gingen in Flammen auf, als sie sich in die Lüfte schwangen. Sie wurden zu brennenden Geschossen, die zum Chaos in ihren eigenen Rängen beitrugen.
Rhonin stürzte sich ebenfalls in die Schlacht. Er dachte an all die, die an diesem Tag gestorben waren und all die, die im weiteren Verlauf des Krieges noch sterben würden. Dann griff er die Verantwortlichen an. Ein Eredar-Kriegszauberer, der dumm genug war, sich ihm zu stellen, wurde von seiner eigenen Robe umschlungen und zerquetscht. Dann schoss der Zauberer einige blaue Lichtblitze ab, die systematisch die anderen Kriegszauberer verfolgten und von den ehemaligen Feinden nur Asche übrig ließen.
Zum ersten Mal brach echter Tumult unter den gefürchteten Kriegern aus. Das war nicht die erwartete Schlacht, das erwartete Blutbad. Hier gab es nichts zu gewinnen außer dem eigenen Tod, eine Aussicht, die selbst den Dämonen Angst einflößte.
Ihre Linien lösten sich auf. Die Nachtelfen stießen weiter vor.
»Wir haben sie!«, brüllte Lord Ravencrest. »Lasst sie nicht entkommen!«
Die Verteidiger nahmen seinen Ruf auf. Trotz der gewaltigen Größe der Angreifer, marschierten sie ihnen nun angstfrei entgegen.
Rhonin und Illidan bereiteten den Weg für den Sieg. Der Zauberer sah auf und bemerkte drei Infernale, die sich auf die Verteidiger stürzen wollten. Wie immer rollten sich die Dämonen zu Feuerbällen zusammen, um wie Kanonenkugeln zwischen ihren Gegnern einzuschlagen.
Dieses Mal brachte Rhonin eine von Illidans Taktiken zum Einsatz. Mit der Kraft, die er aus der Quelle zog, baute er eine große goldene Barriere am Himmel auf, der die Infernalen nicht entgehen konnten. Die Barriere war jedoch mehr als nur eine Wand, denn Rhonin beabsichtigte etwas anderes. Er formte sie nach seinen Vorstellungen und ließ die Dämonen von der Barriere zurückprallen und in jene Richtung fliegen, die er sich wünschte.
Zurück zwischen ihre eigenen Krieger.
Selbst die Lichtblitze, die er gerade erschaffen hatte, richteten weit weniger Schaden an als die gezielt zurückgeschleuderten Infernalen. Mehr als zwei Dutzend von ihnen schlugen an unterschiedlichen Punkten der Legion auf und rissen gewaltige rauchende Krater. Die Körper der Feinde flogen überall durch die Luft, krachten in andere hinein und erhöhten so die Verluste auf das Zehnfache.
Irgendwo von der Seite her hörte der Zauberer triumphierendes Lachen. Illidan applaudierte dem Menschen und wies auf den zurückgeworfenen Feind.
An der linken Flanke der Brennenden Legion sackte ein Teil der Armee plötzlich ab. Der Boden unter ihnen war so nachgiebig wie eine Flüssigkeit geworden, und die schweren gepanzerten Soldaten sanken hilflos unter die Oberfläche. Einige kämpften noch ums Überleben, aber schließlich gingen alle unter, die das Pech hatten, in Illidans Zauber zu geraten.
Mit einer Geste härtete der junge Nachtelf den Boden wieder und tilgte jede Spur seiner Feinde. Dann wandte er sich Rhonin zu und verneigte sich theatralisch.
Rhonin blickte ernst zurück und nickte. Man konnte sagen, was man wollte, aber Illidan brachte vollen Einsatz gegen die Dämonen.
Schließlich tat die Brennende Legion das Einzige, was sie unter einem solch brutalen Ansturm noch tun konnte: Sie setzte zum Rückzug an.
Kein Horn wurde geblasen, keine Rufe gellten. Die Dämonen wichen einfach zurück. Sie erhielten zumindest einen Hauch von Ordnung aufrecht, aber mehr konnten ihre Kommandanten nicht mehr erreichen. Trotzdem bewegten sie sich nicht schnell genug für die Verteidiger, die den Schwung ihres Sieges nutzten.
Vor allem die Mondgarde genoss die unerwartete Wendung. Sie konzentrierte sich auf die Feibestien, verwandelte einige in knorrige Bäume und andere in Ratten. Einige gingen einfach in Flammen auf, als sie mit eingezogenen Schwänzen versuchten, die fragwürdige Sicherheit der Legion zu erreichen.
Hier und da bildete sich Widerstand, wurde von den entschlossenen Soldaten jedoch rasch niedergerungen. Überall lagen Feibestien. Rhonin war überzeugt, dass jeder Nachtelf an die zahllosen Toten dachte, die die Brennende Legion hinterlassen hatte. Viele hatten Freunde und Verwandte unter den Opfern von Zin-Azshari zu beklagen.
Allerdings störte es den Zauberer, in wessen Namen die Soldaten immer noch kämpften. Selbst jetzt rief Ravencrest ihren Namen, um die Truppen weiter zu motivieren.
»Für Azshara! Für die Königin! Wir reiten zu ihrer Rettung!«
Rhonin kannte Malfurions Verdacht, die Königin betreffend. Die meisten anderen glaubten, dass nur ihr Berater und die Hochgeborenen Schuld an dem Massaker trugen. Der Zauberer tröstete sich mit dem Gedanken, dass die Wahrheit herauskommen würde, sobald sie den Palast erreichten.
Immer weiter zog sich die Brennende Legion zurück, erreichte bereits die Grenzen der zerstörten Hauptstadt. Ihre Krieger starben durch Klingen, sie starben durch Zauber – ganz gleich, sie starben. Ohne Unterbrechung wogte die Schlacht in der Dunkelheit, bis der Boden unter den Leichen der Gefallenen nicht mehr zu sehen war.
Vielleicht wäre es so weitergegangen, vielleicht hätten sie den Kampf nach Zin-Azshari und bis zum Palast getragen, aber als der Tag die Nacht verdrängte, wurden auch die Verteidiger müde. Sie hatten alles gegeben, was sie zu leisten vermochten, und Lord Ravencrest erkannte, dass er sie nur unter großen Risiken noch länger antreiben konnte. Er zögerte – dann gab er das Signal zur Waffenruhe.
Als Illidan Hörnerschall hörte, reagierte er verärgert. Er wollte die Mondgarde dazu bringen, ihm zu folgen, aber obwohl einige dazu bereit schienen, waren doch alle zu erschöpft.
Rhonin war ebenfalls fast am Ende seiner Kräfte. Er konnte zwar noch immer zerstörerische Zauber wirken, aber sein Körper war schweißgebadet, und in seinem Kopf drehte sich alles, wenn er sich zu schnell bewegte. Es fiel ihm immer schwerer, sich zu konzentrieren.