Und es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden...
Skar gab jede Vorsicht auf, ging weiter und trat mit einem entschlossenen Schritt aus den Schatten des Waldes hervor. Er wußte jetzt, daß ein Anschleichen unmöglich war. Der Satai änderte alles.
Die Reaktion der um das Feuer sitzenden Schatten bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. Die drei Quorrl sprangen erschrocken hoch und griffen nach ihren Waffen; eine der plumpen Gestalten verlor gar auf dem schlüpferigen Boden das Gleichgewicht und wäre um ein Haar rücklings ins Feuer gestürzt. Nur der Mann mit dem Stirnband der Satai blieb reglos und scheinbar unbeeindruckt sitzen. Er hob nicht einmal den Blick, aber auf seinen Lippen erschien ein dünnes, nicht sehr humorvolles Lächeln. Seine rechte Hand lag scheinbar gelöst in der Nähe des Schwertgriffes, der unter seinem Fellmantel hervorlugte.
Skar begriff, daß er seine Schritte schon lange gehört hatte, bevor er aus den Schatten heraustrat. Er war ein Satai!
Zwei der drei Quorrl sprangen mit erhobenen Waffen auf ihn zu, und in der Dunkelheit bei den Pferden bewegte sich ein weiterer Schatten. Ein dumpfes, kehliges Knurren erklang. Metall klirrte.
Skar wehrte sich nicht, als die beiden Quorrl ihn packten und grob auf die Knie stießen. Eine Schwertklinge berührte seinen Hals. Skar spürte einen leichten, brennenden Schmerz, dann lief warmes Blut an seiner Kehle herunter. Er unterdrückte den Impuls, sich zu wehren.
»Laßt ihn!«
Die Stimme des Satai war nicht sehr laut, aber von schneidender Schärfe. Der Quorrl, der seinen Arm gepackt und auf den Rücken gedreht hatte, ließ seine Hand los. Aber das Schwert blieb, wo es war, und der Quorrl drückte mit unbarmherziger Kraft zu. Skar bog den Kopf so weit in den Nacken, wie er nur konnte, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, aber die Schneide folgte der Bewegung und ritzte seine Haut abermals.
»Tötet mich... nicht!« stöhnte er. »Bitte!«
Die unnatürliche Haltung, zu der ihn die Waffe zwang, ließ seine Stimme verzerrt klingen. Er hoffte zumindest, daß die Quorrl den Ton darin für Angst hielten.
Tatsächlich nahm der Druck der tödlichen Waffe um eine Winzigkeit ab; nicht genug, ihn etwa auf Gedanken an Widerstand oder Flucht kommen zu lassen, aber doch so weit, daß er zumindest wieder atmen konnte.
»Wer bist du, Kerl?« fauchte eine gutturale Stimme. »Was schleichst du hier herum?«
Skar antwortete nicht, sondern starrte den Quorrl nur aus weit aufgerissenen Augen an, der sich über ihn gebeugt hatte. Es war ein Riese, selbst für einen Quorrl - gute zweieinhalb Meter groß und mit Schultern, die den pelzgefütterten Mantel zu sprengen schienen, unter dem sie verborgen waren. Seine Augen waren klein und kalt und starr wie die von Fischen, und als er sprach, blitzte hinter seinen nur angedeuteten Lippen ein Gebiß, das einen Haifisch vor Neid hätte erbleichen lassen. Er unterstrich seine Worte mit einem ärgerlichen Ruck am Schwertgriff. An Skars Hals erschien ein dritter, blutender Schnitt.
»Laß ihn, Trash.« Der Mann mit dem Stirnband der Satai stand auf, kam mit zwei schnellen Schritten um das Feuer herum und drückte den Arm des Quorrl beiseite. Aufmerksam sah er Skar an. Er lächelte, aber seine Augen blieben dabei kalt wie die des Quorrl. Vielleicht noch kälter.
Skar richtete sich vorsichtig auf, hob die Hand und tastete mit spitzen Fingern über die blutigen Schnitte an seiner Kehle. »Ich... danke Euch, Herr«, sagte er stöhnend. »Ich wollte Euch nicht bestehlen, wirklich. Bitte tötet mich nicht.«
»So?« Der Satai lächelte erneut, ließ sich vor Skar in die Hocke sinken und musterte ihn eingehend von Kopf bis Fuß. »Was wolltest du dann?« fragte er. »Du schleichst schon eine ganze Weile hier herum, nicht wahr? Hattest du keine Angst, daß wir den Hund auf dich hetzen?«
»Den Hund?« Skar versuchte, seinen Schrecken möglichst überzeugend zu spielen - was ihm einigermaßen schwerfiel, denn er hatte sehr wohl registriert, daß der Satai in der Einzahl gesprochen hatte. »Ich... ich weiß nichts von Hunden. Ich sah das Feuer und... und hörte eure Stimmen, und da...«
»Und da dachtest du, du könntest ein bißchen Essen stehlen, wie?« unterbrach ihn der Satai. Er lächelte, löste die Hand vom Schwert und machte eine auffordernde Geste. »Gib es ruhig zu. Hunger ist keine Schande.«
Skar schüttelte hastig den Kopf, lächelte verlegen und tastete wieder über die Schnitte an seinem Hals. Die Wunden waren nicht sehr tief, aber sie taten weh. »Ich habe Hunger«, gestand er. »Aber ich stehle nicht. Und schon gar nicht von einem Mann wie Euch. Ihr seid... Satai?« Zögernd deutete er auf das Stirnband unter dem kurzgeschnittenen schwarzen Haar.
»Und wenn?« Die Augen des Satai wurden schmal. Skar begriff, daß er ihn töten würde, wenn er auch nur eine falsche Antwort gab.
»Seid Ihr Satai?« beharrte er.
In den Blick der dunklen Augen mischte sich Ungeduld.
»Nimm an, ich wäre es, Kerl«, sagte er. »Was dann?«
»Dann ist alles gut«, erwiderte Skar mit übertrieben geschauspielerter Erleichterung. »Die Satai sind meine Freunde. Ihr werdet mir helfen.«
»Deine Freunde, so?« Etwas an der Art, in der der Mann das Wort Freunde betonte, gefiel Skar nicht. Er stöhnte, krümmte sich wie unter Schmerzen und verlagerte dabei unmerklich sein Gleichgewicht. Seine rechte Hand spreizte sich und suchte festen Halt im Boden. Gleichzeitig spannte er die Muskeln im linken Oberschenkel an.
»Was ist mit dir?« fragte der Satai. »Bist du verletzt? Wer bist du? Wo kommst du her? Und wieso läufst du fast nackt durch den Schnee?«
Skars Antwort bestand in einem dumpfen Stöhnen.
Der Satai schüttelte ärgerlich den Kopf und stand auf. »Bringt ihn ans Feuer«, befahl er. »Und gebt ihm eine Decke oder einen Mantel, bevor seine Zunge ganz einfriert.«
Skar entspannte sich. Der gefährliche Moment war vorüber, das spürte er. Der Satai hatte ihn nicht durchschaut - was Skar aber nun keineswegs dazu verleitete, ihn etwa zu unterschätzen. Aber zumindest würden sie ihn nicht gleich töten. Wenn er erst einmal zwischen ihnen saß, vielleicht in Reichweite einer Waffe... Der Mann mit dem schwarzen Haar war zweifellos wirklich ein Satai, aber das bedeutete nicht, daß er unverwundbar war.
Grob wurde er auf die Füße gezerrt und zum Feuer geschleift. Trash stieß ihn so derb nieder, daß er um ein Haar in die Flammen gefallen wäre. Skar fing den Sturz ungeschickt ab, rappelte sich hoch und kroch so dicht an das prasselnde Feuer heran, wie er nur konnte, ohne sich zu verbrennen. Die Wärme tat gut, aber sie tat auch weh: seine Finger begannen zu prickeln und zu stechen, während er sie über die Flammen hielt, und dort, wo ihn Syrrs Stein getroffen hatte, erwachte ein dumpfhämmernder Schmerz in seinem Kiefer.
Eine Weile ließen sie ihn vollkommen in Ruhe. Der Satai nahm ihm gegenüber Platz, auf der anderen Seite des Feuers, während Trash und ein zweiter Quorrl sich ein Stück neben und hinter ihn setzten, so, daß sie ihn mühelos packen und niederringen konnten, sollte er zu fliehen versuchen. Der dritte Quorrl schließlich blieb am Waldrand stehen, als fürchte er, daß sich in der Dunkelheit noch mehr uneingeladene Gäste verbargen.
Schließlich ließ Skar sich zurücksinken, verbarg die Hände unter den Achselhöhlen und sah erst die beiden Quorrl zu seinen Seiten, dann den Satai mit einer Mischung aus Erleichterung und Furcht an.
»Ich... ich danke Euch, Herr«, sagte er. »Eine Stunde länger, und ich wäre erfroren.« Das Sprechen bereitete ihm Mühe. Seine Lippen waren noch immer taub, und die Wärme des Feuers ließ den Schmerz in seinem abgebrochenen Zahn zu neuer Wut aufflammen. Irgend etwas, eine Mischung aus Furcht und Erregung und immer größer werdender Unsicherheit, hatte sich in seinem Magen zu einem Klumpen geballt. Was, dachte er, wenn alles ganz anders war? Wenn er einen Fehler beging, einen entsetzlichen, nicht wieder gut zu machenden Fehler?