Der Satai hob die Hand. »Bringt ihm eine Decke«, sagte er. »Und heißen Wein.«
Widerspruchslos erhob sich einer der Quorrl, ging zu den Pferden hinüber und kam nach Augenblicken mit einem zusammengerollten Fellmantel zurück. Skar nahm ihn dankbar entgegen, rollte ihn mit zitternden Fingern auseinander und versuchte, ihn überzustreifen, ohne sich zu erheben. Er stellte sich dabei bewußt ungeschickt an, was Trash zu einem leisen, hämischen Lachen veranlaßte.
Der Satai lachte nicht. Zwischen seinen Brauen entstand eine tief eingegrabene Falte. Mißtrauen blitzte in seinem Blick auf. Aber er schwieg, bis sich Skar in den Mantel gewickelt und den Becher mit dampfendem Wein entgegengenommen hatte, den ihm der Quorrl reichte. Skar stöhnte vor Schmerz, als das heiße Getränk seinen lädierten Zahn berührte.
»Jetzt sprich!« sagte der Satai schließlich. »Wie ist dein Name? Wo kommst du her? Und was ist mit dir passiert?«
»Mein Name ist S... jar«, antwortete Skar. Das unmerkliche Stocken in seinen Worten mußte dem Satai auffallen, denn in seinem Blick blitzte es abermals mißtrauisch auf, aber er sagte nichts, sondern machte nur eine ungeduldige Geste, weiterzusprechen. »Ich bin fremd hier«, sagte er. »Ich wollte hinauf nach Thbarg, vielleicht an die Küste, aber ich wurde überfallen.«
»Überfallen? Von wem?«
Skar zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht, Herr«, sagte er. Er stöhnte, hob die Hand an seine schmerzende Wange und verzog das Gesicht zu einer Grimasse der Qual. »Es waren sieben oder acht. Straßenräuber, denke ich. Gesindel, das von dem lebt, was es von ehrlichen Männern wie mir stiehlt. Meinen Begleiter haben sie mit einem Speer durchbohrt, und mir selbst fast den Schädel eingeschlagen.«
»Und dann haben sie dich einfach so laufen lassen?«
Skar schüttelte hastig den Kopf. »Nein. Sie... sie haben mich ausgezogen und an einen Baum gebunden, damit ich erfrieren soll. Aber ich hatte Glück. Ich konnte die Fesseln lösen und entkommen. Ihre Wache hat geschlafen.«
»Soll das heißen, daß sie dich verfolgen?« fragte Trash mißtrauisch.
»Nein«, antwortete Skar, ganz bewußt eine Spur zu schnell, um überzeugend zu wirken. »Sie... sie halten mich sicher für tot. Ich bin den ganzen Tag gelaufen, nur um nicht zu erfrieren, und -«
»Wir sollten ihn davonjagen«, sagte Trash, an den Satai gewandt. »Bevor sie seine Spur aufnehmen und hierher kommen.« Der Satai lächelte dünn. »Und?« fragte er. »Hast du Angst vor ein paar Wegelagerern?«
»Sie werden bestimmt nicht kommen, Herr!« sagte Skar hastig. »Und wenn, werden sie einen Mann wie Euch nicht angreifen. Ihr seid Satai!« Bei den letzten Worten bemühte er sich, seine Stimme bewundernd klingen zu lassen; und gleichzeitig auch mit einer Spur jener Unverschämtheit, die sich nur die Schwachen den Starken gegenüber erlauben durften. Und tatsächlich schien sich der Satai geschmeichelt zu fühlen, denn auf seinen Lippen erschien ein dünnes Lächeln.
Aber nur für einen Moment. Dann wurde er übergangslos wieder ernst.
»Und was erwartest du nun von uns?« fragte er. »Vielleicht eine Eskorte bis Denwar? Oder würde es reichen, wenn wir die Wegelagerer verfolgen und niedermachen?« Der Spott in seiner Stimme war unüberhörbar, aber Skar versuchte, den Ärger zu ignorieren, den seine Worte in ihm wachriefen.
»Wenn Ihr mir... Kleider geben könntet«, sagte er zögernd. »Und vielleicht etwas Proviant. Ich bin ein reicher Mann«, fügte er hastig hinzu. »Auch wenn es im Moment nicht so aussieht. Ich habe Verwandte in Denwar, die Euch entschädigen würden, sehr großzügig sogar.« Er deutete zum Waldrand. »Ihr habt zwei Pferde. Vielleicht könntet ihr mir eines verkaufen?«
Der Satai starrte ihn an - und begann schallend zu lachen. »Du bist ein Narr, Sjar - oder wie immer du heißen magst«, sagte er, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. »Ich bin Satai, kein Pfandleiher! Den Mantel da und Essen kannst du haben, aber du wirst wohl zu Fuß nach Denwar laufen müssen.«
»Ihr braucht die Pferde«, stellte Skar betrübt fest. »Ihr trefft Euch hier mit Freunden?«
Wieder lachte der Satai, und diesmal stimmten auch die beiden Quorrl in sein Gelächter ein. »Nicht unbedingt«, antwortete er amüsiert. »Sagen wir - wir sind auf der Jagd. Nach einem ganz besonderen Wild.« Er lachte abermals, beugte sich vor, um einen glühenden Ast aus dem Feuer zu angeln und damit zu spielen, und sah Skar mit schräggehaltenem Kopf an. »Du bist ein bißchen neugierig, findest du nicht, mein Freund?«
Skar antwortete nicht. Er hatte genug gehört - im Grunde mehr, als er hören wollte. Syrr und ihr Bruder hatten die Wahrheit gesagt.
Aber sie hatten ihm nicht gesagt, daß es Satai waren, die sie verfolgten...
Es fiel ihm noch immer schwer, die Tatsachen zu akzeptieren. Er hatte von abtrünnigen Satai gehört, die sich vom Orden und seinen Regeln losgesagt hatten - oder ausgeschlossen worden waren - und auf eigene Faust durch die Welt zogen, als Söldner für Geld oder auch einfach auf der Suche nach Abenteuern. Aber ein Satai, der mit Quorrl gemeinsame Sache machte?
Skar versuchte erst gar nicht, eine Lösung für dieses Rätsel zu finden. Aber er wußte, was er zu tun hatte. Der Satai hatte sein eigenes Todesurteil ausgesprochen, ohne es zu ahnen. Selbst wenn es anders gewesen wäre, wenn es Syrr und Talin nicht gegeben hätte - Skar hätte ihn töten müssen.
»Warum antwortest du nicht, Sjar?« fragte der Satai. »Hat es dir die Sprache verschlagen? Oder gibt es vielleicht irgend etwas, was du uns noch zu erzählen vergessen hast?«
»Ich... überlege«, gestand Skar mit einem verlegenen Lächeln. Er beugte sich ein wenig weiter vor, als suche er die Nähe des Feuers, und spannte sich. Anders als der Satai saß er nicht mit untergeschlagenen Beinen da, sondern in einer an sich unbequemen, halb hockenden Stellung. »Es ist ein weiter Weg bis Denwar, ohne Pferd. Habt Ihr wenigstens ein Paar Stiefel für mich? Und ein Schwert?«
Der Satai starrte ihn an, als zweifele er an seinem Verstand. Seine Hand spielte weiter mit dem brennenden Ast. Die Linke lag auf dem Schwert, aber in falscher Haltung. Er würde Zeit brauchen, die Waffe zu ziehen. Bruchteile von Sekunden nur, aber Skar würde sie ihm nicht geben.
»Bist du verrückt geworden?« sagte er. »Wir haben keine Stiefel für dich.«
»Oh«, sagte Skar enttäuscht. Dann lächelte er. »Aber das macht nichts. Dann nehme ich deine.«
Er sprang.
Seine Bewegung kam selbst für den Satai zu schnell. Skar stieß sich mit aller Gewalt ab, flog mit weit ausgestreckten Armen wie ein lebendes Geschoß über das Feuer und packte ihn bei den Schultern. Der Satai schrie auf und prallte zurück; sein Knie kam hoch, um sich in Skars Leib zu bohren und ihn von sich herab zu schleudern. Aber Skar versuchte nicht, ihn zu Boden zu reißen und bei der Kehle zu packen, womit er wohl gerechnet hatte. Seine Hände ließen die Schultern des Satai los, kaum daß sie sie berührt hatten. Das Knie des Satai bohrte sich schmerzhaft in seinen Magen, aber Skar nutzte die Kraft des Hiebes im Gegenteil aus - er warf sich mitten im Sprung herum; seine Linke glitt zum Schwert des Satai herab und packte es, während die andere Hand tiefe blutige Furchen in seine Wange zog und sich in sein Haar krallte. Die Kraft seines Sprunges war noch immer groß genug, ihn weiter zu tragen. Er spürte, wie sein Leib und seine Oberschenkel über das Gesicht des Satai schrammten. Dann prallte sein Knie mit der ganzen Gewalt des Sprunges gegen das Kinn des anderen, warf seinen Kopf in den Nacken und brach sein Genick.
Skar fiel von dem Toten herunter, noch immer vom Schwung seines Sprunges getragen, rollte im weichen Schnee ab und riß sich die Schulter an einem Stein auf, der darunter verborgen war. Aber noch in der gleichen Bewegung zerrte er das Schwert des Satai vollends aus der Scheide.