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Dann riß die Monsterklaue seine Brust auf.

Skar spürte keinen Schmerz. Aber er sah, wie die hornige Klaue des Daij-Djan seine Haut teilte, Muskeln und Sehnen durchdrang und schließlich die Knochen beiseite schob. Kein Blut. In ihm war kein Blut, sondern nur etwas, das so schwarz und wabernd wie der Daij-Djan war und das pulsierte, aber nicht im Takt seines Herzens. Gib es mir! Gib es mir, und du darfst leben! Das Sternending wühlte weiter, grub sich in seine Brust hinein und suchte, tastete nach etwas, das tief in ihm verborgen war und rief, auf den Daij-Djan wartete (als Freund oder als Feind?), und plötzlich spürte Skar doch Schmerz, einen entsetzlichen, grauenhaften Schmerz, der um so schlimmer war, weil er noch immer nicht schreien konnte.

Der Daij-Djan verschwand.

Seine Hand war fort, Skars Brust unverletzt, aber er war noch immer nicht allein. Wo das Ungeheuer gestanden hatte, stand nun eine schmale, in weiße glatte Gewänder gehüllte Gestalt, ein alter Mann mit grauem Haar und ohne Gesicht. Seine Hand berührte Skar, genau dort, wo einen Herzschlag zuvor noch die Klaue des Daij-Djan gewesen war, aber statt Pein brachte sie Linderung; Skar konnte die wohltuende Betäubung fühlen, die sich in seinem Körper ausbreitete, schnell und fließend und sehr warm. Dann veränderte sich auch der alte Mann, und statt seiner saß plötzlich Syrr an seinem Bett, und Skar erwachte.

Der Daij-Djan war verschwunden, ebenso wie der Gesichtslose Prediger, aber Syrr war noch da.

Sie saß auf der Kante seines Bettes, halb nach vorne gebeugt, das Körpergewicht mit nur einem Arm abgestützt und so, daß sie ihn nicht berührte. Sie sah sehr müde aus. Ihr Haar hing ihr in dünnen, verklebten Strähnen in die Stirn, sie war blaß, und ihre Augen waren rot und entzündet; mit dicken, schweren Tränensäcken unterlegt, als hätte sie stundenlang in die Sonne gestarrt. Skar begriff plötzlich, daß sie die halbe Nacht neben ihm gesessen und gewacht haben mußte.

Obwohl das Mädchen nicht in seine Richtung sah, schien sie seinen Blick zu spüren. Sie blickte auf, fuhr mit deutlichen Anzeichen von Erschrecken zusammen und beugte sich vor. »Du bist wach!« rief sie. Ihre Stimme klang unendlich erleichtert - was einigermaßen sonderbar war für jemanden, der ihm noch vor Tagesfrist den Schädel einzuschlagen versucht hatte. Aber die Freude in ihrem Blick war echt. Und auch Skar verspürte eine fast absurde Erleichterung, sie zu sehen. Er hätte sie hassen oder zumindest zornig sein müssen, aber weder das eine noch das andere war der Fall. Vielleicht war es einfach die Tatsache, daß er nicht mehr allein war. Sie war ein Mensch, und sie hatte den Dämon aus seinen Träumen vertrieben, einfach dadurch, daß sie da war.

»Wie... kommst du hierher?« murmelte er. Das Sprechen bereitete ihm Mühe. Seine eigene Stimme klang in seinen Ohren wie die eines alten Mannes, brüchig und ohne Kraft. Seine Zunge lag wie ein geschwollener Klumpen aus Schmerz in seinem Mund. Er hatte Durst.

Syrr richtete sich für einen Moment auf und sah zur Tür zurück. Für die Dauer eines Lidzuckens erschien ein angespannter Ausdruck auf ihren Zügen. Dann sah sie wieder auf ihn herab. Als sie weitersprach, flüsterte sie, und redete sehr schnell. »Talin und ich sind nicht allein«, sagte sie hastig. »Sag niemandem, wer du bist, Skar. Sie werden dich töten, wenn du dich zu erkennen gibst. Hast du das verstanden?«

Skar verstand ganz und gar nicht, aber er dachte an den Satai, der bei den Quorrl gewesen war, und an Syrrs und Talins völlig unverständliche Reaktion, als er sich zu erkennen gegeben hatte. Er nickte.

»Gut.« Syrr seufzte erleichtert. »Merke es dir. Ich erkläre dir alles später. Aber es ist wichtig - auch für Talin und mich.« Skar versuchte ihr zuzulächeln - er war nicht sicher, ob es ihm auch gelang, aber Syrr erwiderte sein Lächeln - stemmte sich umständlich auf die Ellbogen hoch und schlug die Decke zur Seite. Bedachte er, wie elend er sich fühlte, ging es sogar überraschend gut. Es gab zwar kaum einen Quadratzoll auf seinem Körper, der nicht weh tat, aber die Schmerzen waren erträglich, und sogar seine Schwäche war nicht mehr so entsetzlich wie am Abend zuvor. Der Schlaf hatte ihm gut getan.

Dann sah er, daß es nicht nur der Schlaf gewesen war. Jemand hatte ihn gesäubert und die zahllosen Schnitte und Risse in seiner Haut verbunden. Sein rechtes Bein war geschient; ungeschickt mit einem Stock und Streifen, die offenbar aus einem alten Sack herausgerissen worden waren, aber sehr fest. Er hatte kaum noch Schmerzen. Aber er spürte das Bein auch kaum mehr. Vom Knie abwärts war es taub. Als er versuchte, die Zehen zu bewegen, ging es nicht.

»Hast du... mich verbunden?« fragte er mühsam.

Syrr schüttelte den Kopf, zog die Decke wieder über seinen Leib und drückte ihn mit sanfter Gewalt in die Kissen zurück. »Nein. Ich dachte...« Sie brach ab, als hinter der Tür Schritte polterten. Skar drehte den Kopf in den Kissen und sah an ihr vorbei.

Die Tür wurde unsanft aufgestoßen, und ein breitschultriger, in schmutzige Felle gehüllter Mann von vielleicht fünfzig Jahren betrat den Raum. Wie Syrr sah er müde aus. In seinem Haar, seinen buschigen Brauen und dem kurzgeschnittenen schwarz-grauen Bart klebte Schnee. Skar spürte die Kälte, die er mit ins Haus brachte, selbst unter seiner Decke.

Syrr stand auf und trat einen Schritt zur Seite, um dem Fremden Platz zu machen. Der Blick, den sie Skar dabei zuwarf, war fast beschwörend. Er hatte das sichere Gefühl, daß sie Angst vor dem Fremden hatte. »Das... das ist Enwass«, sagte sie stockend. »Talin und ich haben ihn getroffen, als wir -«

»Ich kann selbst reden«, unterbrach sie der Fremde. Er machte sich dabei nicht einmal die Mühe, Syrr anzusehen, sondern scheuchte sie mit einer unwilligen Handbewegung zur Seite, trat dicht an Skars Lager heran, betrachtete eine Weile sein geschientes Bein und musterte dann eingehend seinen Körper, nicht in der Art, in der man einen Menschen ansieht, sondern kalt und abschätzend, als betrachte er eine Ware, die er vielleicht kaufen wollte. Erst dann sah er Skar ins Gesicht.

»Wer bist du?« fragte er.

Skar schwieg. Die Augen des Mannes waren schmal; ihr Blick war müde, aber gleichzeitig hart. Entweder, überlegte Skar, war er von Natur aus ein grausamer Mann, oder einer, der zuviel erlebt hatte, um noch irgend jemandem zu trauen. Er wußte nicht, welcher Möglichkeit er den Vorzug geben sollte.

»Hast du dir auch die Zunge gebrochen ?« fuhr er fort, als Skar keine Anstalten machte, zu antworten.

»Skar«, antwortete Skar. »Mein Name ist Skar. Und wer bist du?«

»Die Fragen stelle ich«, versetzte der Enwass. »Dein Name ist also Skar? Und was bist du?«

Skar zögerte. Ohne Syrr anzusehen, spürte er, wie sie sich versteifte, und ihr Blick noch beschwörender wurde. Schließlich rettete er sich in ein gequält wirkendes Lächeln.

»Das möchte ich selbst gerne wissen«, antwortete er. »Anscheinend jemand, der ein gewisses Geschick darin entwickelt hat, von einer Schwierigkeit in die nächste zu stolpern.«