Выбрать главу

»Die Quorrl geben keine Ruhe, bis sie uns alle haben«, antwortete Enwass abwehrend. »Du scheinst noch nicht zu verstehen, wer wir sind, Skar.«

»Nicht genau«, gestand Skar. »Wer seid ihr?«

»Flüchtlinge«, antwortete Enwass. Er sprach das Wort sehr bitter aus. »Ich war ein reicher Mann, ehe der Krieg ausbrach, Skar. Ich hatte einen Hof und Vieh und Gold, jedenfalls genug, um mir und den Meinen ein sorgenfreies Leben zu gönnen. Was du hier siehst -« er machte eine Bewegung, die das ganze Floß einschloß, »- ist alles, was mir geblieben ist. Meine Familie, ein paar meiner Knechte mit ihren Frauen und Kindern...« Er seufzte. »Wir sind geflohen, und wir sind nicht die einzigen, Skar. Es gibt Tausende wie uns, die versuchen, die freien Länder zu erreichen. Und die Quorrl machen sich einen Spaß daraus, sie zu jagen.«

»Das beantwortet meine Frage nicht«, sagte Skar.

Enwass runzelte unwillig die Stirn. »Doch«, behauptete er. »Das tut es. Du bist ein Krieger.«

»O ja«, murmelte Skar. »Und was für einer.«

»Du bist ein Kieger«, unterbrach ihn Enwass ärgerlich. »Du bist verwundet, aber es sind fünf Tage, bis wir die Berge erreichen. Bis dahin wirst du wieder gesund sein. Wenigstens gesund genug, um uns zu helfen.« Er lächelte. »Ich bin nicht so uneigennützig, wie du glaubst, Skar.«

Etwas in der Art, in der er diese Worte aussprach, gefiel Skar nicht. Dann begriff er.

»Du denkst, wir werden kämpfen müssen.«

»Ich fürchte.« Enwass nickte besorgt. »Und du wirst uns zeigen, wie. Du bist ein Krieger. Es... sind viele, die so fliehen wie wir. Tausende. Selbst für die Quorrl zu viele. Aber sie lauern an den Grenzen, und sie töten viele von denen, die versuchen, sie zu überschreiten. Wir sind einfache Bauern und Knechte, Skar. Du bist ein Krieger. Syrr und der Junge haben uns gesagt, was du getan hast. Wir brauchen einen Mann wie dich. Selbst wenn du nicht kämpfen kannst, kannst du uns sagen, was zu tun ist.« Skar starrte ihn an. »Du... du meinst das nicht ernst«, murmelte er. Ein müdes, sehr trauriges Lächeln huschte über sein Gesicht und erlosch wieder. »Erzähle«, sagte er matt. »Erzähle mir alles, was du über die Quorrl weißt, und über die Situation an der Grenze.«

»Du hilfst uns also?«

Skar hob rasch und abwehrend die Hand. In Enwass' Stimme war ein neuer Ton, der ihm nicht gefiel. Er wußte aus bitterer Erfahrung, wie leicht es war, falsche Hoffnungen zu wecken. »Soweit ich es kann, Enwass«, sagte er ernst. »Und das ist nicht sehr viel.« Er deutete auf sein bandagiertes Bein. »Erwarte keine Wunder von mir. Mit dem Schwert oder der bloßen Hand gegen einen Feind zu kämpfen, ist eine Sache. Was du von mir verlangst, eine -«

»Ich verlange nichts«, unterbrach ihn Enwass. »Wir stellen keine Forderungen, Skar. Sag uns, was zu tun ist, das ist alles.«

»Und wenn es falsch ist?« fragte Skar ernst. »Ich bin kein Zauberer, Enwass.«

Aber Enwass ließ seinen Einwand nicht gelten. Skar begriff plötzlich, daß er keinen Einwand gelten lassen würde, in diesem Moment, ganz egal, wie gut oder zutreffend er war, aus dem einfachen Grund, weil er sich jedes Wort genau überlegt hatte. Für Enwass war die Sache ganz einfach: Sie brauchten einen Krieger, und er war einer.

»Es kann gar nicht so falsch sein wie das, was wir ohne dich täten, Skar«, sagte er überzeugt. »Ich bin Bauer, du bist Krieger. Und es ist Krieg.« Er lächelte. »Ich könnte verkrüppelt sein und mit hohem Fieber daliegen, und trotzdem würdest du mich um Rat fragen, müßtest du meinen Hof bewirtschaften, oder?« Der Vergleich hinkte, und Enwass mußte es ebensogut wissen wie er. Aber Skar widersprach nicht mehr. Er würde seine Schulden bezahlen. Und er wollte nicht, daß Enwass ihn noch deutlicher daran erinnern mußte.

Aber was erwartete Enwass von ihm? Daß er aus dem verstörten, eingeschüchterten Haufen verängstigter Männer, Frauen und Kinder, der Enwass' Familie letztlich war, eine Armee machte, in zwei oder drei Tagen? Enwass mußte so gut wie er wissen, daß das unmöglich war. Er konnte nicht Krieger aus Bauern und Knechten machen, schon gar nicht in drei Tagen. Vielleicht, überlegt Skar, suchte er einfach nur ein Paar Schultern, auf die er einen Teil der Last bürden konnte, die er tragen mußte. Enwass war ein starker Mann, aber die Situation war neu für ihn - er war zweifellos darin erfahren, Verantwortung zu tragen, für das Wohl und Wehe der Seinen, für den Hof, die Kinder, die nächste Ernte, die Steuern, die Sicherheit vor Jahreszeiten, Räubern und Tieren... Aber jetzt mußte er sich um das Leben seiner Leute sorgen, und das war etwas ganz anderes.

Und es gab eine Menge grundsätzlicher Dinge, die er ihnen zeigen konnte. Er würde Enwass' Söhne anweisen, das Segel zu streichen und die Bespannung zu ändern, wodurch das Floß ein gehöriges Stück schneller wurde, die Ladung so umzuverteilen, daß das Floß nicht nur gerade im Wasser lag, sondern die Kisten und Bündel auch eine niedrige Wehr längs des hölzernen Rechtecks bildeten, hinter die sie sich zur Not kauern konnten, sollten sie beschossen werden, den Männern zeigen, wie sie aus den Dingen, die sie bei sich führten, einfache Schilde und Panzer fertigen konnten - und vor allen Dingen diesem jungen Narren den Morgenstern abnehmen, ehe er sich selbst oder seinem Nebenmann damit den Schädel einschlug. Ja, er konnte einiges tun - er konnte ihnen sogar zeigen, wie sie ihre Waffen zu benutzen hatten; zumindest grundsätzlich.

Nicht, daß es etwas nutzen würde, wenn sie wirklich angegriffen wurden. Skar gab sich in diesem Punkt keinen Illusionen hin - möglicherweise würden sie mit einer kleinen Gruppe von Quorrl fertig werden, auf die sie zufällig stießen - mit Trash und seinen Kriegern nicht, wenn sie sie einholten.

Und Skar zweifelte eigentlich nicht daran, daß das geschehen würde: Er hatte den Haß in den Augen des Quorrl gesehen. Trash würde nicht aufgeben, ehe nicht einer von ihnen tot war, das wußte er. Er hoffte nur, die Konfrontation so lange hinausschieben zu können, bis Enwass und seine Familie in Sicherheit waren. »Gut«, sagte er schließlich. »Ich werde tun, was ich kann, Enwass.« Er deutete nach Süden, in die Richtung, in die der Fluß das Boot trieb. »Erzähle.«

9.

Talin war der erste, der die Verfolger bemerkte. Es war am dritten Abend nach Skars erstem Erwachen auf dem Floß - dem vierten, den sie nach Süden fuhren -, und über einen Teil der Landschaft hatte sich bereits die Dämmerung gesenkt, so daß sie die Reiter, wären sie auch nur zehn Minuten später aufgetaucht, wahrscheinlich gar nicht mehr entdeckt hätten - beziehungsweise erst dann, wenn es zu spät war. Aber auch so hatte Skar Mühe, in der Handvoll auf und ab hüpfender Schatten auf dem Horizont das zu erkennen, was Talin mit vor Angst überschnappender Stimme geschrien hatte: Quorrl.

Aber sie waren es. Und Skar mußte den zweieinhalb Meter großen Riesen an ihrer Spitze nicht erkennen, um zu wissen, wer es war. Trash, dachte er bitter. Es konnte kein anderer als Trash sein. Er hätte dem Fischgesicht den Arm abschlagen sollen, statt ein paar Finger. Oder gleich besser den Kopf.

Skar war nicht wirklich erschrocken. Er hatte gewußt, daß Trash ihn verfolgen würde, und nicht allein. Aber er war zornig, zornig auf sich selbst, sich so lange der Illusion hingegeben zu haben, das Unvermeidliche doch noch irgendwie vermeiden zu können, und enttäuscht, enttäuscht von einem Schicksal, das grausam genug gewesen war, sie bis auf eine Tagesreise an die rettende Grenze herankommen zu lassen. Er hatte gewußt, daß er Trash wiedersehen würde. Aber er hätte es lieber gesehen, dem Quorrl und seinen Kameraden allein entgegenzutreten.

»Wie viele sind es?« fragte Enwass, der gleich Skar bei Talins Schrei aufgesprungen und ans hintere Ende des Floßes geeilt war. Er klang ein bißchen besorgt, wenn auch lange nicht in dem Maße, das Skar erwartet hatte.