Skar zuckte die Achseln und warf einen Blick auf das Dutzend Gesichter, das hinter Enwass und Talin aufgetaucht war - natürlich hatte nicht nur er den Schrei des Jungen gehört, und natürlich waren alle herbeigeeilt, um die Quorrl zu sehen, selbst Syrr, die sich allerdings viel mehr für ihren Bruder als für Trash und seine Reiter zu interessieren schien.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er mit einiger Verspätung auf Enwass' Frage. Das Licht wurde jetzt rasch schwächer - er sah zwar noch immer Bewegung dort hinten, zwei oder drei Meilen links und hinter dem Floß, aber es konnten ebensogut zwei wie zwanzig Reiter sein. »Ein Dutzend«, vermutete er schließlich. »Vielleicht mehr.«
»So viele?«
»Ich habe zwei von ihnen erschlagen«, erinnerte ihn Skar. »Und den Satai. Trash müßte lebensmüde oder ziemlich dumm sein, sollte er mich allein verfolgen, oder nur mit wenigen Männern.« Er seufzte. »Und ich fürchte, er ist keines von beiden.«
»Woher willst du wissen, daß es Trash ist?« mischte sich Talin ein. »Enwass hat erzählt, daß es hier von Quorrl nur so wimmelt!«
Skar lächelte sanft. »Ja. Aber diese da -«, er deutete auf die Schatten, die die Dunkelheit nun immer schneller aufsog, »- kommen von Norden. Sie verfolgen uns, Talin - genauer gesagt, mich. Wären es die Quorrl, von denen Enwass gesprochen hat, würden sie uns irgendwo am Ufer auflauern. Aber ich fürchte, das werden sie spätestens morgen früh ohnehin tun.«
»Dann werden wir sie bekämpfen!« sagte Talin überzeugt. »Wir sind so viele wie sie, und -«
»Sei still«, sagte Skar ruhig.
Talin setzte dazu an, erneut zu widersprechen, aber Skar warf ihm einen so strengen Blick zu, daß er es vorzog, zu schweigen, um sich nicht einen neuen und diesmal wahrscheinlich sehr viel schärferen Verweis einzuhandeln. Skar tauschte einen raschen, wissenden Blick mit Syrr, die unbemerkt hinter ihren Bruder getreten war, seufzte erneut und wandte sich an Enwass.
»Es sind die Quorrl, von denen ich erzählt habe«, wiederholte er. »Ich bin sicher. Es tut mir leid, Enwass. Aber ich habe dich gewarnt. Wenn...« Er zögerte, blickte wieder zu den verschwimmenden Schatten der Schuppenreiter zurück und setzte neu an: »Vielleicht wäre es besser, wenn ihr mich an Land gehen laßt. Ich bin es, den sie haben wollen, nicht ihr.«
Enwass schwieg. In seinem Gesicht arbeitete es - wahrscheinlich bereute er spätestens in diesem Moment, Skar mitgenommen zu haben. Aber dann schüttelte er entschieden den Kopf. »Unsinn«, sagte er. »Selbst wenn es so ist, wie du sagst, ist es zu spät.« Er lachte, ganz bewußt abfällig. »Glaubst du wirklich, sie würden sich damit zufrieden geben, dich zu erschlagen, Skar?« Skar glaubte es nicht, aber er schwieg, und nach einer Weile fuhr Enwass fort, so laut, daß jedermann an Bord des Floßes seine Worte verstehen mußte: »Es hat wenig Sinn, jetzt über einmal gemachte Fehler zu jammern, Skar. Sie haben uns gesehen, und sie werden sich eine Beute wie uns nicht entgehen lassen, ganz gleich, ob es nun Trashs Leute sind oder andere Quorrl. Wenn du bei uns bleibst, haben wir vielleicht eine Chance, sie zurückzuschlagen. Wenn du jetzt zu ihnen gehst, schlachten sie uns ab.« Er seufzte, lächelte flüchtig und deutete auf Talin. »So leid es mir tut, Skar, aber der Junge hat recht. Wir werden kämpfen müssen.«
»Kämpfen?« Etwas in Skar sträubte sich gegen die bloße Vorstellung. Er hatte keine Angst vor den Quorrl - er hatte niemals Angst vor einem Kampf gehabt, auch wenn er sich stets darüber im klaren gewesen war, daß er keineswegs unverwundbar oder gar unsterblich war - ganz im Gegenteil hätte er sich sogar gute Chancen ausgerechnet, Trash und seinen Leuten zu entkommen, wäre er allein. Die Quorrl waren stark, aber nicht sehr schnell, und selbst ein kluger Quorrl war immer noch dumm.
Aber er war nicht allein, und das änderte alles.
Wären Enwass und seine Leute nicht gewesen, hätte Skar sich durchaus zugetraut, den Quorrl zu entkommen oder sie - wenn es sein mußte - einen nach dem anderen zu erledigen. Ein einzelner Mann war einer Gruppe von Verfolgern immer überlegen, wenn er entschlossen und schnell genug war. So aber blieb ihm weder die Flucht noch die alte Satai-Taktik, einen zahlenmäßig überlegenen Gegner zu verwirren und einzeln auszuschalten. Versuchte er es auch nur, würden sich Trash und seine Begleiter an Enwass und seiner Familie rächen.
Nein, die einzige Wahl, die ihm blieb, war der offene Kampf. Und das bedeutete, daß er praktisch keine Chance hatte. »Was tun wir, Skar?« fragte Enwass.
Skar schwieg. Allein der Gedanke, mit einem Dutzend Männer und Frauen, die in ihrem ganzen Leben noch keine Waffe in der Hand gehabt hatten, gegen eine zahlenmäßig wahrscheinlich auch noch überlegene Quorrl-Armee antreten zu sollen, erschien ihm schlichtweg lächerlich. Aber noch während er diesen Gedanken dachte, begann etwas in ihm zu arbeiten; ein Teil seines Bewußtseins, von dem er nicht gewußt hatte, daß es noch existierte. Er fühlte sich noch immer verwirrt, bestürzt und halbwegs gelähmt vor Schrecken und Enttäuschung - aber ein anderer Teil von ihm, der vollkommen unabhängig vom Rest seines Denkens zu funktionieren schien, erwachte plötzlich: der Satai. Zum Teufel - er war ein Krieger, und das hier war Krieg. Wenn Trash und seine Kreaturen den Kampf haben wollten, sollten sie ihn bekommen!
»Werden sie uns angreifen?« fragte Enwass.
»Hier auf dem Fluß?« Skar schüttelte impulsiv den Kopf. »Kaum. Sie werden versuchen, uns zu überholen, während der Nacht, um uns dann morgen irgendwo aufzulauern.«
Enwass sah ihn fragend an. »Wie kommst du darauf?«
»Ich würde es tun«, antwortete Skar achselzuckend. Er machte eine Bewegung mit beiden Händen zu den Ufern hin. »Der Fluß ist zu breit, als daß sie uns mit ihren Bögen erwischen könnten. Wahrscheinlich werden sie versuchen, eine Stelle zu finden, an der sie uns auflauern können - eine Flußenge, eine Stromschnelle, Sandbänke...« Er zuckte abermals die Achseln. »Gibt es so etwas in der Nähe?«
Enwass überlegte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf. »Ich glaube nicht«, sagte er.
»Du glaubst?«
»Keiner von uns war jemals hier«, verteidigte sich Enwass. »Unser Hof liegt im Norden, fast auf der Höhe von Denwar. Aber ich wüßte von Stromschnellen oder Untiefen, gäbe es welche«, fügte er hastig hinzu, und in einem Ton, der Skar nicht überzeugte. »Ich habe mit Männern gesprochen, die den Fluß befahren haben, vor dem Krieg.«
»Dann werden sie versuchen, eine Stelle zu finden, an der das Eis dick genug ist, die Pferde zu tragen«, sagte Skar. Er deutete nach Norden. Es war dunkler geworden, in den wenigen Augenblicken, die sie dagestanden und geredet hatten. Die hereinbrechende Nacht hatte die Umrisse der Quorrl vollends verschluckt. »Wahrscheinlich rechnen sie nicht damit, daß wir sie gesehen haben. Wir sollten sie in diesem Glauben lassen. Es ist unser einziger Vorteil. Wir müssen ihn nutzen.«
»Und wie?« fragte Enwass zweifelnd. »Willst du hingehen und es ihnen sagen?«
Skar war für einen Moment unschlüssig, ob er über Enwass' Worte lachen oder wütend sein sollte. Er entschied sich für das erste.
»Zündet ein Feuer an«, befahl er. »Nur ein kleines - so, als wolltet ihr Wasser kochen oder euch wärmen.«
»Ein Feuer?« wiederholte Enwass stirnrunzelnd. »Aber wir... haben nie Feuer gemacht!«
»Das weiß ich«, erwiderte Skar ungeduldig. »Aber Trash weiß es nicht. Wenn sie den Feuerschein sehen, halten sie uns vielleicht für ahnungslos.«
»Oder für so dumm, wie es wäre, ein Feuer zu machen!« mischte sich Enwass' Sohn ein. »Bist du von Sinnen? Warum nähen wir uns nicht gleich Zielscheiben auf Brust und Rücken?« Skar schenkte ihm einen bösen Blick und wandte sich wieder an Enwass. »Wir müssen den Eindruck erwecken, vollkommen arglos zu sein«, sagte er noch einmal. »Macht das Feuer an. Und benehmt euch wie immer - nur für den Fall, daß sie Späher auf uns ansetzen.« Mit einem Ruck drehte er sich um und hob aufmerksamkeitheischend die Arme. »Sie dürfen nicht wissen, daß wir sie bemerkt haben«, wiederholte er eindringlich. »Vielleicht haben wir eine Chance, aber nur dann, wenn ihr tut, was ich sage.«