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Für einen Moment wurde es sehr still, und nicht zum ersten Mal in seinem Leben spürte Skar, was für ein unangenehmes Gefühl es war, im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu stehen. Der Blick eines Dutzend Augenpaare heftete sich auf sein Gesicht, und wohin Skar auch sah, erkannte er die gleichen Gefühle: Angst, Panik, die nur noch mühsam unterdrückt wurde, aber auch eine dumpfe Resignation, die beinahe schlimmer war. Ein Teil von ihnen - vielleicht alle, Enwass eingeschlossen - hatte schon aufgegeben. Vielleicht hatten sie von Anfang an nicht daran geglaubt, überhaupt eine Chance zu haben, dachte Skar. Aber er sah auch Hoffnung, eine Hoffnung, deren Grund er war und die er nicht erfüllen konnte. Für einen Moment fragte er sich, ob er nicht einen entsetzlichen Fehler begangen hatte. Dieses Dutzend Menschen hier hatte ihn aufgenommen und gepflegt, und jetzt verlangten sie eine Gegenleistung, die er nicht erbringen konnte.

Gott, er kannte ja nicht einmal ihre Namen! Enwass hatte sie ihm genannt, schon am ersten Morgen, aber er hatte nicht hingehört - er hatte sie nicht wissen wollen, weil Namen Personen aus ihnen gemacht, der Verantwortung noch mehr Gewicht verliehen hätten, die ihm aufgebürdet worden war. Er hatte geahnt, daß dieser Moment kommen würde, aber er hatte die Augen davor verschlossen, einfach, weil er Angst davor hatte, so große Angst wie sie, wenn auch aus gänzlich anderen Gründen. Es war närrisch gewesen, sich auch nur für einen Augenblick einzubilden, diesen Mägden und Knechten das Kämpfen beizubringen, in nur drei Tagen! Er hätte sich von ihnen trennen sollen, im gleichen Moment, in dem er wieder aus eigener Kraft laufen konnte! Aber was sollte er ihnen sagen ? Daß sie keine Chance hatten und ebensogut das Floß ans Flußufer lenken und dort auf die Quorrl warten konnten?

Unmöglich.

»Hört mir zu!« sagte er überflüssigerweise. »Ich weiß nicht, ob wir... ob wir eine Chance haben, aber wir werden es versuchen. Es sind viele - wahrscheinlich mehr als wir, und jeder einzelne von ihnen ist ein Krieger. Ein paar von euch«, fügte er sehr ernst hinzu, »werden sterben, wenn es zum Kampf kommt. Vielleicht alle.«

Er wartete vergeblich auf eine Antwort; irgendeine Reaktion. Niemand sprach, nicht einmal der Ausdruck in ihren Blicken änderte sich. Selbst ein Vorwurf wäre ihm in diesem Moment lieber gewesen als dieses entsetzliche Schweigen; aber niemand sprach. Sogar Talin war still.

Sie hatten nicht einmal verstanden, was er gesagt hatte, dachte er matt. Und selbst wenn - was hätten sie antworten sollen? Skar sprach nicht weiter, sondern drehte sich noch einmal nach Norden und blickte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Die Quorrl waren mittlerweile vollends mit der Nacht verschmolzen, und das Rauschen des Flusses übertönte die Hufschläge ihrer Pferde. Es war, als hätte es sie nie gegeben. Und doch hatte Skar für einen winzigen Moment das Gefühl, etwas zu sehen.

Nicht die Quorrl. Etwas anderes. Etwas Kleines und Böses und Schwarzes, das ihnen lautlos folgte.

Dann verschwand auch dieser Eindruck. Und wahrscheinlich war es nur ein Streich gewesen, den ihm seine Nerven gespielt hatten.

Er vertrieb den Gedanken, drehte sich wieder zu Enwass und seinen Leuten um und begann mit sehr ruhiger, sehr leiser Stimme seinen Plan zu entwickeln...

10.

Skar schätzte, daß es Mitternacht war, ehe sie eine geeignete Stelle gefunden hatten, um anzulegen. Der Fluß machte hier eine scharfe Biegung nach rechts, und die Strömung und das dichte Ufergestrüpp hatten verhindert, daß sich Eis bildete. Es gab zwar auch hier eine dünne, vielfach gesprungene weiße Schicht auf dem Wasser, die aber unter dem Gewicht des Floßes zerbrach wie Glas - übrigens auch ebenso laut, wie Skar mit einem raschen Gefühl von Besorgnis registrierte - so daß das schwerfällige Gefährt das Ufer erreichen konnte.

Wie in den Nächten zuvor war es sehr dunkel. Der Himmel hing tief und war voll schwerer, grauer Wolken, aus denen in scheinbar willkürlichen Abständen Schnee und eisiger Hagel auf das Land herabregneten, und das Ufer erhob sich wie eine schwarze, mit harten Linien gemalte gerade Linie vor dem Horizont. Die wenigen Büsche waren nackt und wirkten in der Dunkelheit wie bizarre Gebilde aus Draht, und mit der Nacht hatte das Heulen des Windes an Macht und Kälte zugenommen. Skar blickte nach Süden. Der Fluß verlor sich schon nach wenigen Dutzend Metern in der Dunkelheit, und wo das Bayfour-Gebirge sein sollte, gähnte ein finsteres Loch mit zackigen Rändern in der Nacht. Dabei war der Weg nicht einmal sehr weit - wenig mehr als eine Tagesreise, selbst bei der relativ niedrigen Geschwindigkeit ihres schwerfälligen Floßes. Für einen Moment kam es Skar vor wie bitterer Hohn, daß sie so weit gekommen waren, nur um hier zu sterben.

Das Floß stieß mit einem unsanften Ruck gegen das Ufer. Die Erschütterung riß Skar aus seinen Gedanken und Enwass aus seiner Erstarrung. Er rief einen halblauten Befehl, sprang mit einem kraftvollen Satz an Land und verlor auf dem Gemisch aus Schnee und Morast am Ufer um ein Haar das Gleichgewicht, fand aber im letzten Moment seine Balance wieder und streckte die Arme aus, um das Tau aufzufangen, das ihm einer seiner Söhne zuwarf. Skar beobachtete reglos, wie er das Floß an einem vorspringenden Felsen vertäute und prüfend mit aller Kraft am Seil riß, ehe er sich umwandte und den anderen ein Zeichen gab, ebenfalls an Land zu kommen.

Skars Sinne begannen mit der gewohnten, beinahe schon überpräzisen Art zu arbeiten, mit der sie es immer taten, wenn er bewußt in einen Kampf ging. Obwohl er sich noch immer schwach und matt fühlte und die zahllosen Wunden und Schrammen an seinem Körper noch längst nicht verheilt waren, fühlte er sich gleichzeitig beinahe wohl. Der Teil von ihm, der beim Anblick der Quorrl erwacht war, wurde immer stärker. Skar erschrak fast vor sich selbst. Nicht so sehr vor dem Gefühl der Zuversicht und Stärke, das er mit einem Male verspürte - das war normal, denn es war nichts anderes als das Ergebnis eines lebenslangen Trainings: Er war Satai, und er vermochte Reserven zu aktivieren, von denen die meisten anderen Menschen nicht einmal wußten, daß sie sie besaßen, ebenso, wie er seine Empfindungen und Ängste beinahe nach Belieben auszuschalten oder zumindest zu steuern imstande war. Und es war das erste Mal seit seinem Erwachen im Tempel, daß er wirklich bewußt in einen Kampf ging: In jener Nacht vor dem Tempel war es anders gewesen: Er war viel zu verwirrt und verstört gewesen, um überhaupt zu begreifen, was geschah, und eigentlich hatte er nichts anderes getan als um sein Leben zu kämpfen; auch wenn er zufällig der Angreifer gewesen war.

Jetzt war es... anders.

Skar schauderte ein wenig, als er begriff, daß sich etwas in ihm auf den Kampf freute...

»Was hast du, Skar?«

Skar fuhr zusammen, blickte in Syrrs Gesicht und begriff voller Schrecken, daß sich seine Empfindungen ziemlich deutlich auf seinem Gesicht abgezeichnet haben mußten. »Nichts«, sagte er ausweichend. »Es ist... nichts. Ich bin ein wenig nervös. Mein Bein schmerzt«, fügte er hinzu. Es war die Wahrheit, aber Syrr sah nicht einmal an ihm herab, sondern blickte ihm unverwandt in die Augen. Skar mußte sich gegen das unbehagliche Gefühl wehren, daß sie seine Gedanken las wie ein offenes Buch. »Glaubst du, daß... daß wir eine Chance haben?« fragte sie plötzlich.

Sie sprach sehr leise, flüsterte fast, und eine ganz leichte Spur von Angst vibrierte in ihrer Stimme. Aber es war eine völlig andere Art der Angst, als er sie auf den Gesichtern von Enwass und seinen Leuten gelesen hatte.