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Das war alles, was er denken konnte. Bilder schossen durch seinen Kopf: der Dronte, der Jahrmillionenalte Schrecken der Meere, in dessen schwarzem Leib der Same des Bösen darauf wartete, erneut geweckt zu werden. Helth, der Vede, das erste Opfer des Daij-Djan, Vela, die mehr, millionenmal mehr getan hatte, als sie auch nur ahnte. Dann sah er sich selbst, eine einsame, schmerzverkrümmte Gestalt im Herzen der Stadt Combat, wie er das uralte Siegel brach, das Tor öffnete, das niemals geöffnet werden durfte, gegen Regeln verstieß, die er nicht einmal begriff, und - War es wirklich so gewesen? Sein Blick tastete über das entsetzliche Bild, das sich ihm am Flußufer bot, glitt wie eine suchende Hand, die vor dem zurückschreckte, was sie ertastete, über die verstummelten Leiber der Quorrl, und er sah einen anderen, viel entsetzlicheren Schrecken: Er sah Tausende und Abertausende der schwarzen Mörder über das Land ausschwärmen, sah die Tore des Chaos sich öffnen und die Welt abermals in dem Feuer und Blut versinken, aus dem sie schon einmal auferstanden war.

War es seine Schuld? Hatten Vela und er all dies getan, ohne es zu wollen, ohne es nur zu wissen, aber mit unbarmherziger Konsequenz?

Oder war es ganz anders? Waren sie vielleicht nur Werkzeuge gewesen, willenlose Puppen, nicht viel anders als der Daij-Djan, die Sternenbestie, Figuren, die sich nur einbildeten, einen freien Willen zu haben auf einem Schachbrett der Götter?

Geräusche drangen in seine Gedanken; Laute, die ihm sonderbar fremd und bedeutungslos erschienen, auf die aber ein winziger, noch zu klarem Denken fähiger Teil seines Bewußtseins reagierte, weil er sie erkannte und auch die Gefahr registrierte, die sie bedeuteten: Fast ohne sein Zutun griff seine Hand nach oben, streifte das schmale Satai-Stirnband ab und verstaute es unter seinem Gürtel, wo es niemand sehen konnte. Er wollte aufstehen, aber noch immer fehlte ihm die Kraft dazu, und so drehte er nur schwerfällig Oberkörper und Kopf und blickte wieder zum Fluß hinunter.

In der Mitte des glitzernden Bandes, dort, wo noch kein Eis war, schaukelte ein rechteckiger Schatten, ein finsterer Umriß, von dem kleinere, hektische Schatten ausschwärmten. Erschrockene Rufe wurden laut. Das Eis knisterte bedrohlich, als Enwass und seine Leute vom Floß heruntersprangen und auf das Ufer zueilten. Skar sah Metall in der Dunkelheit blitzen. Einer der Männer beugte sich über den Leichnam eines Quorrl, der auf das Eis hinausgeflohen war, ohne dem lautlosen Tod dadurch entkommen zu können, und prallte mit einem entsetzten Keuchen zurück, dann mischten sich weitere, entsetzte Stimmen in den schrillen Chor des Schreckens. Eine Fackel glomm wie ein rotes blinzelndes Auge auf dem Floß auf, dann eine zweite, dritte... Der kleine, klar gebliebene Teil Skars signalisierte ihm, wie gefährlich das Verhalten von Enwass' Leuten war - nicht alle Quorrl waren tot. Gut die Hälfte der Schuppenkrieger war entkommen. Wenn sie das Feuer sahen und die Stimmen hörten... Skar lächelte bitter. Nein, dachte er, sie würden nicht zurückkommen. Wahrscheinlich würden sie reiten, bis ihre Pferde tot unter ihnen zusammenbrachen, und dann weiterrennen, bis sie einfach nicht mehr konnten. Nein - wenn es eine Gefahr gab, so war sie völlig anderer Art. Und sie galt nicht Enwass und seiner Familie...

Enwass' Leute schwärmten auf dem Ufer aus, und Skar hörte ihre ungläubigen Schreie und Rufe, während sie von Quorrl zu Quorrl eilten und sahen, in welch entsetzlichem Zustand die Leichen waren. Ganz flüchtig nur dachte er über die Antwort nach, die er ihnen auf ihre Fragen geben sollte, aber der Gedanke entschlüpfte ihm, ehe er ihn wirklich zu Ende denken konnte. Er griff nach seinem Schwert, zog die Klinge aus Trashs Schuppenpanzer heraus und säuberte sie ganz automatisch im Schnee. Die Leichtigkeit, mit der der Stahl aus dem Körper des gigantischen Lebewesens herausglitt, schockierte ihn. Es sollte nicht so leicht sein zu töten, dachte er.

Jemand eilte auf ihn zu: Ein massiger Schatten, der mit weit ausgreifenden Schritten den Hang heraufkam und zu dem sich nach Augenblicken zwei weitere, kleinere Schatten gesellten. Erst als sie ihm bis auf fünf Schritte nahe gekommen waren, erkannte er Enwass, dicht gefolgt von Syrr und ihrem Bruder Talin. Er schob sein Schwert in den Gürtel zurück und stand auf. Nach der Schwäche, die er noch vor Augenblicken verspürt hatte, ging es erstaunlich leicht.

Enwass sagte kein Wort, als er bei ihm anlangte. Sein Blick heftete sich für Bruchteile von Sekunden auf das blutige Etwas, das einmal Trash gewesen war, und Skar glaubte ein unendlich tiefes Entsetzen in seinen Augen zu sehen. Aber als er ihn ansah, war davon nichts mehr zu erkennen. Enwass' Gesicht war wie eine Maske aus Metall.

»Du hast Wort gehalten«, sagte er knapp.

Skar schwieg. Was sollte er antworten? Die Wahrheit? Niemand würde ihm glauben. Und selbst wenn - es wäre nur schlimmer.

»Hast du sie alle erwischt, Skar?« fragte Talin. Anders als Enwass hatte er sich nicht in der Gewalt. Seine Stimme bebte, und auf seinem Gesicht tobte ein Kampf zwischen Entsetzen und Grauen und einer Zufriedenheit, die Skar frösteln ließ.

Er schüttelte den Kopf. »Nein«, murmelte er. »Die Hälfte ist entkommen. Aber sie... werden nicht wiederkommen. Jedenfalls nicht heute Nacht.« Es fiel ihm schwer, weiterzusprechen. Alles, was er sagen konnte, erschien ihm so trivial. Was zählte ihr aller Leben, bei dem, was geschehen war? Was geschehen würde?!

Und dann, ganz plötzlich, fiel die Beherrschung von Enwass ab. Seine Augen weiteten sich, als hätte sich Skar vor seinen Augen in ein Ungeheuer verwandelt - was er wohl auch hatte - und seine Stimme begann zu zittern. »Was... was hast du getan?« stammelte er. »Was ist hier geschehen, Skar?« Seine Stimme war schrill, drohte umzukippen. Skar sah, daß sich seine Hand so fest um den Schwertgriff in seinem Gürtel schloß, als wolle er die Waffe zerbrechen.

»Nichts«, antwortete er ausweichend. »Nichts, was ich dir erklären könnte.« Er bot all seine Willenskraft auf, um Enwass' Blick standhalten zu können, richtete sich ein wenig weiter auf und sprach betont kalt und herablassend weiter: »Jedenfalls nichts, was du verstehen würdest, Bauer. Und ich glaube auch nicht, daß du es wirklich wissen willst...«

Enwass schwieg. Aber Skar wußte genau, was in ihm vorging was in ihnen allen vorgehen mußte, einschließlich Syrr: Längs des Ufers lagen sieben oder acht tote Quorrl, jeder einzelne ein Gigant, und jeder einzelne auf die gleiche, entsetzliche Weise niedergemetzelt; ein weiterer hatte sich aufs Eis hinausgeschleppt, um zu sterben, und hier oben, auf dem Hügel, lagen Trash und der tote Späher. Und all dies hatte ein einzelner Mann getan. Wenigstens war es das, was sie glauben mußten.

»Du bist ein Satai«, sagte Enwass plötzlich, ganz leise, und mit einer Stimme, die irgendwo zwischen Bewunderung und schierem Entsetzen schwankte. Das Entsetzen überwog. »Nur... nur ein Satai ist zu so etwas fähig.«

»Und?« gab Skar kalt zurück. »Wenn es so wäre? Was willst du tun? Mich im Fluß ertränken?«

Enwass schüttelte verwirrt den Kopf. »Du -«

»Ich habe getan, was du von mir verlangt hast, Bauer«, fuhr Skar fort, mit erhobener Stimme und in einem Ton, der ganz bewußt verletzend war. »Du hast mir das Leben gerettet, und ich habe meine Schulden bezahlt. Was spielt es für eine Rolle, wer oder was ich bin?« Er deutete zum Ufer hinab. »Statt der Quorrl lägen jetzt deine Leute dort, Enwass. Wäre dir das lieber?«

»Natürlich nicht«, antwortete Enwass hastig. »Aber du... die Satai sind... sind unsere Feinde! Warum... hilfst du uns?« In seinen Augen stand noch eine andere Frage, eine, die er nicht laut auszusprechen wagte, die Skar aber so deutlich hörte, als hätte er es getan: nämlich die Furcht, daß all dies nur Teil eines raffinierten, mörderischen Planes wäre, eines Planes, an dessen Ende vielleicht mehr als sein und der Tod seiner Familie stand.

»Warum tust du das?« fragte er noch einmal.