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»Vielleicht stehe ich auf der falschen Seite«, murmelte Skar. Und er meinte es ganz genauso.

»Und was wirst du jetzt tun?« fragte Enwass leise.

»Was soll ich tun, deiner Meinung nach?« erwiderte Skar kalt. »Weiter mit euch reisen, als wäre nichts geschehen? Oder soll ich gehen?« Er deutete nach Süden. »Ein Wort genügt, Enwass. Gib mir Proviant und eine Decke, und ich verschwinde. Aber dann hättet ihr niemanden mehr, der die Drecksarbeit für euch erledigt.«

Enwass fuhr unter seinen Worten zusammen wie unter einem Peitschenhieb. »Natürlich nicht«, antwortete er, eine Spur zu hastig, um die Worte überzeugend klingen zu lassen. »Du... du kannst bei uns bleiben, bis wir Bayfour erreichen, und wenn du willst, auch länger...«

»Wie großzügig«, antwortete Skar böse. »Und ihr werdet mich natürlich nicht lynchen oder der nächsten Patrouille ausliefern, nicht wahr?«

Enwass reagierte ganz anders, als er erwartet hatte. Statt wütend zu werden oder ängstlich zu reagieren, wurde sein Blick mit einem Male ernst. Skar begriff, daß er ihn verletzt hatte, mit seinen Worten. Aber er hatte nicht den Mut, sie zurückzunehmen. »Das werden wir nicht, Satai«, antwortete er ruhig. »Weder das eine noch das andere. Du hast uns gerettet, und wir bezahlen unsere Schulden nicht mit einem Messer in den Rücken. Morgen bei Sonnenuntergang erreichen wir das Gebirge. So lange kannst du bei uns bleiben, wenn du willst. Wir werden niemandem sagen, wer du bist, weder dann noch später. Und - ja, du hast recht!« fügte er etwas heftiger hinzu. »Ich glaube nicht, daß ich verstehen würde, was du getan hast. Und ich will es auch gar nicht wissen!« Er straffte sich, drehte sich mit einem Ruck um und machte einen Schritt, blieb aber noch einmal stehen und sah zu Skar zurück.

»Wir fahren weiter, sobald wir die Waffen der Quorrl an Bord genommen haben. Ich überlasse es dir, ob du mit uns kommst oder nicht.« Und damit ging er, sehr schnell und ohne noch einmal zu Skar zurückzublicken.

»Warum warst du so hart zu ihm?« fragte Syrr, nachdem Enwass außer Hörweite war.

Skar antwortete nicht, sondern schenkte ihr nur einen bösen Blick. Sein Zorn auf Enwass schlug unvermittelt in Ärger auf Syrr um.

»Er hatte nur Angst«, fuhr das Mädchen fort.

»Ich weiß.« Skar ballte zornig die Faust. »Sie haben immer Angst, Syrr. So war es immer, und so wird es immer sein. Sie brauchen uns, wenn es ans Kämpfen geht. Sie schreien nach uns, wenn einer mit dem Schwert in der Hand auf sie losgeht, und wenn wir getan haben, wozu sie uns riefen...«

»Haben sie Angst vor euch?« unterbrach ihn Syrr. Sie nickte. »Auch ich habe Angst, Skar.«

»Vor mir?« Er wußte die Antwort, und Syrr wußte, daß er es wußte.

Trotzdem schüttelte sie den Kopf. »Vor dem hier«, sagte sie mit einer Geste auf den toten Quorrl. »Vor... vor dem Töten. Vor dem Kampf. Enwass ist ein einfacher Bauer, der vielleicht einmal ein Schwein oder eine Kuh geschlachtet hat. Vielleicht hat er einmal einen Wolf erschlagen, aber das war alles. Willst du ihm verübeln, daß er entsetzt ist?«

Trotz der einfachen Wahl ihrer Worte erschienen sie Skar beinahe eine Spur zu weise und einsichtig für ein Mädchen ihres Alters. Verwirrt schüttelte er den Kopf. »Das meine ich nicht«, antwortete er, aber wieder unterbrach ihn Syrr, ehe er zu Ende sprechen konnte.

»Doch, Skar, ganz genau das meinst du. Macht dir das Töten Spaß?«

»Natürlich nicht!« widersprach Skar zornig.

»Und dann verlangst du, daß er es akzeptiert?« Syrr seufzte. »Du bist ein Satai. Du bist anders als die anderen Satai, und du stehst auf unserer Seite, warum auch immer. Aber du bist ein Satai. Du gehörst zu denen, die für all dies hier verantwortlich sind. Was erwartest du von Enwass? Daß er dich dafür liebt?«

»Vielleicht ein wenig Dankbarkeit!«, mischte sich Talin ein. Mit einer ärgerlichen Handbewegung trat er zwischen Skar und seine Schwester und wies auf den Strand hinab. »Skar hat vollkommen recht. Ohne ihn lägen jetzt diese Bauern dort unten, wenn die Quorrl sie nicht langsam zu Tode gefoltert hätten. Und er -«

»Halt die Klappe«, sagte Skar grob. Talins Kopf flog mit einem Ruck herum. In seinen Augen blitzte es.

»Aber ich... ich verteidige dich doch!« sagte er verdattert. »Was soll das? Ich stehe auf deiner Seite, Skar. Vielleicht als einziger!«

»O danke«, murmelte Skar böse. »Ich verzichte auf deine Hilfe. Und jetzt verschwinde!«

»Was...«, stammelte Talin. »Aber wieso...«

»Hau ab!« brüllte Skar. »Bevor ich dir die Tracht Prügel verabreiche, die du schon lange verdienst!«

Talin starrte ihn ungläubig an, aber nur für eine Sekunde.

Dann fuhr er herum und rannte mit weit ausgreifenden Schritten den Hügel hinab.

Skar starrte ihm finster nach. Für einen Moment erfüllte es ihn mit aberwitziger Befriedigung, Talin weh getan zu haben. Er verstand es selbst nicht völlig - er hatte niemals irgendeine Beziehung zu Kindern gehabt, aber es hatte ihm auch nie irgend etwas gegeben, sie zu quälen. Talin zu verletzen, machte ihm Spaß. Es war etwas an dem Jungen, das ihn so abstieß, wie ihn seine Schwester anzog.

»War das nötig?« fragte Syrr. Sie gab sich Mühe, sich ihren Ärger nicht zu deutlich anmerken zu lassen. Es gelang ihr nicht sehr gut.

»Wieso?« fauchte Skar. »Er hat nur bekommen, was er brauchte.«

»Dasselbe wie du, meinst du«, sagte Syrr ärgerlich.

Skar nickte. »Ja«, antwortete er ungerührt. »Und es wäre besser gewesen, ich hätte ihn wirklich verdroschen, statt nur damit zu drohen. Willst du, daß er so wird wie -«

»Wie du?« Syrrs Stimme war plötzlich ganz kalt.

Skar starrte sie an. Ihre Worte trafen ihn wie Pfeile, und sie taten weh, tausendmal mehr, als es Enwass' Furcht getan hatte. Aber er sagte nichts mehr, sondern drehte sich nach einer Weile wortlos herum und ging zurück, um seinen Mantel zu holen.

Eine halbe Stunde später war das Floß wieder auf der Fahrrinne und trieb mit geblähtem Segel nach Süden.

Enwass hatte sich verschätzt. Sie erreichten das Gebirge nicht am nächsten Abend, sondern bereits in den frühen Nachmittagsstunden; was zum einen daran lag, daß die Strömung des Flusses zunahm, je weiter sie nach Süden kamen, zum anderen aber auch am Wind, der während der Nacht beständig auffrischte und mit Sonnenaufgang bereits die Stärke eines kleinen Sturmes angenommen hatte - eines Sturmes zudem, der so präzise nach Süden blies, daß Skar sich allen Ernstes fragte, ob das wirklich noch Zufall war. Aber er verscheuchte diesen Gedanken, ehe er sich in seinem Bewußtsein ausbreiten und neuen Schrecken gebären konnte. Wenn es etwas gab, was fast ebenso gefährlich wie purer Leichtsinn war, dann war es, zuviel in die Dinge hineinzugeheimnissen. Man konnte die offensichtlichen Gefahren leicht übersehen, wenn man hinter jedem Schatten einen Verrat witterte.

Die Sonne hatte den Zenit leicht überschritten, als sie die Sperre erreichten. Trotz des eisigen Windes und der geschlossenen Schneedecke rechts und links des Ufers war es in der Sonne beinahe warm, und Skar, der wie alle anderen an Bord in dieser Nacht kein Auge mehr zugetan hatte, fühlte sich auf wohlige Weise müde. Er saß am Bug des Floßes, so dicht am Wasser, daß ab und zu kleine Spritzer auf seine Füße kamen und seine Hände benetzten, die er um die Knie geschlungen hatte. Er war allein, so weit dies auf einem zehn mal zwanzig Schritt messenden Floß möglich war, denn trotz der drückenden Enge waren alle - Syrr und ihr Bruder eingeschlossen - von ihm abgerückt, so weit sie nur konnten. Skar nahm es ihnen nicht einmal übel - als er es zuerst bemerkt hatte, war er zornig geworden, aber er hatte rasch begriffen, daß sie es nicht taten, um ihn zu verletzen. Er glaubte Enwass' Versicherung, daß sie schweigen und ihm helfen würden, und er sah auch in den Blicken der anderen keine wirkliche Feindschaft. Aber dafür etwas, das vielleicht schlimmer war: Angst.