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Angst vor ihm.

Und fast - auch wenn er sich beinahe fürchtete, es vor sich selbst einzugestehen - begrüßte er dieses Gefühl. Es war etwas, das weh tat, aber gleichzeitig auch etwas, das er kannte; mit dem fertig zu werden er gelernt hatte, in den endlosen Jahren seines Lebens. Und das ihm gleichzeitig half, wenn auch auf andere Art, als ihm lieb gewesen wäre. Enwass und seine Leute, und nach dem, was letzte Nacht geschehen war, wohl auch Syrr und Talin, würden froh sein, wenn er ging. Ohne daß sie es auch nur gemerkt hatten, hatten sie ihn von der Verantwortung entbunden, in die er gegen seinen Willen hineingeschlittert war. Er war sehr froh darüber.

Das Blitzen eines Sonnenstrahles auf Metall riß ihn aus seinen Grübeleien. Er sah auf, rieb sich mit dem Handrücken über die Augen, um die körnige Müdigkeit fortzuwischen, und sah noch einmal genauer hin. Vor ihnen wurde der Fluß schmaler, und gleichzeitig nahm die Strömung zu. Sie bewegten sich jetzt mit einer Schnelligkeit dahin, die selbst ein galoppierendes Pferd schwerlich erreicht hätte, aber das Floß war schwer genug, noch immer ruhig im Wasser zu liegen. Doch Skar sah auch, daß ihre Fahrt bald ein abruptes Ende nehmen würde: Der Fluß war gesperrt. Das silberne Funkeln war eine Kette, über die große Entfernung betrachtet nicht dicker als ein Haar, in Wahrheit aber sicherlich massiv genug, ein schweres Kriegsschiff aufzuhalten. Skar hatte ähnliche Sperren schon auf anderen Flüssen gesehen und wußte, daß er beim Näherkommen tödliche Speerspitzen erkennen würde, die in die Kette eingewoben waren, wahrscheinlich zusammen mit schräg in den Flußgrund gerammten Eisenstangen; eine äußerst simple, aber auch äußerst wirkungsvolle Methode, einen Fluß zu sperren, vor allem dann, wenn seine Strömung so stark war wie diese.

Er stand auf, zog den Mantel enger um die Schultern zusammen und ging noch einmal in die Hocke, um sich einige Handvoll des eisigen Wassers ins Gesicht zu schöpfen. Hinterher war er immer noch so müde wie zuvor, aber seine Augen brannten nicht mehr, und sein Blick war klarer.

Konzentriert sah er nach Süden. Es war nicht das erste Mal, daß er hier war - er kannte diesen Fluß, auch wenn er seinen Namen vergessen hatte, und er wußte, daß es wahrscheinlich der einzige Fluß auf Enwor war, der ins Gebirge hineinfloß, statt aus ihm heraus. Irgendwo, fünfzig oder mehr Meilen weiter südlich, sammelte er sich zu einem gewaltigen See, um unterirdisch weiterzufließen, bis er sich auf der anderen Seite der Welt ins Meer ergoß, aber auf dem Wege dorthin schnitt er durch die Berge, ein Canyon, dessen Wände manchmal mehr als eine Meile hoch waren. Er war schon einmal hiergewesen, zusammen mit Del, in einem Leben, das ihm so lange zurückzuliegen schien, daß die Erinnerungen daran kaum mehr Intensität als die an einen Traum hatten. Aber damals war der Fluß nicht gesperrt gewesen. Und es gab noch mehr Unterschiede.

Skar erinnerte sich, damals einen kleinen, aus rohem Felsgestein erbauten Wachturm am Ufer gesehen zu haben, hundert Jahre alt und seit der Hälfte dieser Zeit verlassen. Jetzt war dieser Turm verschwunden, und an seiner Stelle erhob sich eine gewaltige, offensichtlich in aller Hast halb aus dem natürlich gewachsenen Felsen herausgehauene, halb aus nur roh bearbeiteten zyklopischen Blöcken errichtete Festung; eine titanische Trutzburg mit zwanzig Meter hohen Mauern und Türmen, die den Fluß wie die Finger einer zornig hochgereckten steinernen Riesenhand überragten. Er erblickte winzige, behelmte Gestalten auf den Zinnen dieser Türme; daneben die dürren Hälse von Feuerkatapulten. Die Herren Bayfours hatten den Fluß in eine Festung verwandelt. Wer immer unter dieser schwarzen Burg hindurchfahren wollte, würde einen entsetzlichen Blutzoll bezahlen - wenn es ihm überhaupt gelang.

Lange Zeit stand er einfach so da und starrte die finstere Riesenfestung an. Der Anblick traf ihn mehr, als er geglaubt hatte. Bisher hatte er nur vom Krieg gehört; einen winzigen Teil seiner Auswirkungen gesehen, nicht mehr als den Schatten, den er über das Land warf. Sicher, er hatte gekämpft, aber das war nichts anderes als das, was er zahllose Male zuvor getan hatte. Jetzt, jetzt erst, als er die Festung wirklich sah, begriff er wirklich, daß all dies mehr war als ein böser Spuk.

Sein Blick löste sich von der Festung, glitt die lotrechten Wände des Canyons hinab und verharrte einen Moment lang auf dem Wasser. Hinter der Stelle, an der der Fluß in die Berge eindrang, gab es kaum noch Eis, aber er sah, daß sich das Wasser schäumend an Hindernissen brach, die dicht unter seiner Oberflache verborgen waren. Manchmal blitzte Metall in der weißen Gischt. Der Fluß war auch weit hinter der Kette noch durch Speere und Schiffsfallen unpassierbar gemacht worden, und wahrscheinlich waren die Fallen, die er sah, noch lange nicht alle. Wäre Skar der Kommandant dieser Festung gewesen, hätte er einen Teil der Canyonwand unterminieren lassen, um sie im Notfall auf eine feindliche Flotte hinabstürzen zu lassen.

Er suchte die Ufer ab. Das Hindernis war mittlerweile ein gutes Stück näher gekommen, er konnte erkennen, daß die Kette wirklich so dick war, wie er erwartet hatte; und auch die erwarteten Widerhaken und noch einige andere böse Überraschungen enthielt. Dicht hinter der Stelle, an der sie mit den Uferfelsen verbunden war, erhoben sich zwei kleine, runde Türme, auf deren Plattform sich die Hälse gewaltiger Feuerkatapulte emporreckten. Die Luft über ihnen kräuselte sich. Die Waffen waren geladen. Und wahrscheinlich standen Männer an den Katapulten, die ihr Handwerk verstanden und jede Bewegung auf dem näherkommenden Floß voller Mißtrauen beobachteten.

Skar versuchte in Gedanken den Punkt abzuschätzen, ab dem sie in der Reichweite der Katapulte waren. Er kannte diese Waffe, und er wußte, wie unglaublich präzise sie sein konnte, wenn die Männer, die sie bedienten, ihr Handwerk verstanden. »Streicht das Segel!« sagte er hastig. »Schnell. Wir sind fast in ihrer Reichweite!«

Enwass antwortete nicht. Aber Sekunden später hörte Skar ihn gedämpfte Befehle bellen. Das Segel wurde eingeholt, und Skar selbst setzte einen weißen Fetzen als Zeichen des Friedens. Trotzdem verloren sie kaum merklich an Fahrt - ganz im Gegenteil hatte Skar beinahe das Gefühl, daß sie eher noch schneller wurden, und plötzlich begriff er, wie raffiniert die Falle war, der sie sich näherten. Auch ein größeres und wendigeres Schiff als das ihre würde Mühe haben, gegen die reißende Strömung des Flusses anzuhalten; erst recht, wenn an seinen Ufern Männer waren, die entschieden etwas dagegen hatten. Angreifende Schiffe mußten unweigerlich in die Kette gerissen und aufgespießt werden.

»Nehmt die Ruder!« befahl er. »Schnell. Wir müssen langsamer werden.« Er drehte sich um, unterstrich seine Worte mit einer hastigen Geste und griff selbst nach einem losgerissenen Kistenbrett, das ihm eine der Frauen reichte. Skar sah jetzt, daß das Eis unweit der Sperre aufgehackt worden war, so daß eine Art kleiner Hafen entstand, in den sie sich retten konnten. Wo er ans Ufer grenzte, erhob sich eine gewaltige Wehrmauer, die von zahllosen Schießscharten durchbrochen war. Über ihren Zinnen stand Rauch.

Mit aller Kraft begannen sie zu rudern; selbst die Frauen und Kinder. Trotzdem wurde es zu einem verzweifelten Wettlauf gegen die Zeit. Sie verloren an Schnelligkeit, aber das Floß begann nun doch zu schaukeln und zu bocken, und mehr als einmal stieß es scharrend gegen das Eis, das die schmale Fahrrinne begrenzte. Einmal wurden den Leuten an der Backbordseite die Ruder aus den Händen gerissen, und die Strömung zehrte ihren mühsam errungenen Vorsprung fast völlig wieder auf, ehe sie das Floß wieder unter Kontrolle hatten.

Skar war in Schweiß gebadet, als sie schließlich aus der Strömung herausschwenkten und sich dem vom Eis befreiten Ufer näherten - zehn Meter, ehe das Floß in die mit rasiermesserscharfen Dornen gespickte Kette hineingeschleudert werden konnte. Das Wasser war auch hier nicht ruhig. Strudel und Untiefen ließen das Floß wild kreiseln, und es gab nur eine einzige, von einem wuchtigen Turm überragte Stelle, an der ein Anlegen überhaupt möglich war. Trotz seiner Erschöpfung und dem daraus resultierenden Zorn mußte Skar dem Erbauer dieser Anlage seine Hochachtung zollen. Er selbst hätte auf Anhieb nicht gewußt, wie er diese Festung überwinden sollte, ohne den Fluß mit den Leichen seiner Männer zu füllen.