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Aber schließlich hatten sie es geschafft. Das Floß stieß mit einem letzten, sehr harten Ruck gegen die Mauer. Ein Seil wurde durch eine Öffnung in der Wand geworfen und spannte sich, als Skar danach griff und es am Mast festband. Das Floß schaukelte noch immer gefährlich hin und her, aber das Seil war fest genug, es auch gegen die Strömung zu halten - solange niemand hinter der Wand eine Axt nahm und es kurzerhand kappte, dachte Skar finster.

In der gewaltigen Bronzetür, vor der sie angelegt hatten, öffnete sich eine Klappe, und ein finsteres, fast zur Gänze von einem wuchtigen Lederhelm bedecktes Gesicht starrte zu ihnen herab. Skar sah nicht viel mehr als die Augen des Mannes, aber die Feindseligkeit, die er in ihnen las, erschreckte ihn. Es war mehr als das bloße Mißtrauen Fremden gegenüber. Skar war sicher, daß der Mann nicht mit der Wimper gezuckt hätte, wären sie vor seinen Augen ertrunken.

»Wer seid ihr?« bellte eine unfreundliche Stimme. »Was wollt ihr hier? Woher kommt ihr?«

Skar wollte antworten, aber diesmal war Enwass schneller. Er warf Skar einen warnenden Blick zu, schüttelte fast unmerklich den Kopf und wandte sich an den Mann hinter der Tür: »Mein Name ist Enwass«, erklärte er. Er machte eine weit ausholende Geste, die das gesamte Floß und auch Skar einschloß. »Das hier ist meine Familie«, fuhr er fort, »und ein paar meiner früheren Knechte. Wir sind aus Orkala geflohen, um nicht von den Quorrl getötet zu werden. Wir verlangen Schutz und Unterkunft.« Skar registrierte sehr wohl, daß Enwass verlangen sagte, nicht erbitten. Und auch dem Mann mit dem Lederhelm schien dieser feine Unterschied keineswegs zu entgehen, denn er schwieg eine ganze Weile. Obwohl Skar kaum geglaubt hatte, daß das überhaupt noch möglich war, wurde sein Blick noch feindseliger. »Habt ihr Quorrl gesehen?« fragte er nach einer Weile.

Enwass nickte. »Gestern nacht. Fünfzig Meilen nördlich von hier. Aber nicht viele. Sie haben uns nichts getan.«

»Eine Beute wie euch?« fragte der Behelmte mißtrauisch. »Ihr sitzt auf dem Präsentierteller, Bauer, und sie haben euch entkommen lassen? Einfach so?«

»Sie waren anderweitig beschäftigt«, mischte sich Skar ein. »Womit?«

»Ich habe sie nicht gefragt«, sagte Skar gereizt. »Aber wenn du vielleicht die Güte hättest, die Tür zu öffnen und uns an Land zu lassen, können wir gerne gemeinsam darüber nachdenken. Verdammt, wir sind seit einer Woche auf dem Fluß«, fügte er wütend hinzu. »Und wir haben Frauen und Kinder bei uns.« Der Soldat starrte ihn ärgerlich an, aber die Antwort, mit der Skar gerechnet hatte, blieb aus. Statt dessen flog die Klappe mit einem unnötig lauten Knall zu, und Augenblicke später hörten sie das Geräusch eines offenbar sehr schweren Riegels, der beiseitegeschoben wurde. Knarrend öffnete sich das Tor. Skar sah, daß seine Flügel fast armdick waren; massiv genug, selbst dem Rammsporn eines Schiffes zu widerstehen.

Ein Dutzend Speerspitzen richtete sich auf Skar und Enwass, als sie nebeneinander durch das Tor traten. Die Mauer war sehr dick, aber dahinter erhob sich noch eine zweite, etwas höhere Barriere, hinter deren Zinnen eine gute Hundertschaft grimmig dreinblickender Bogenschützen stand, und als er stehenblieb und sich umsah, erkannte er, daß sie von gut dreißig Lanzenträgern umzingelt waren, die von dem Mann mit dem Lederhelm geführt wurden. Skar sah jetzt, daß er eine abgewetzte Hauptmannsuniform aus Kohon trug, dazu Stiefel, die offensichtlich einmal einem anderen gehört hatten, denn sie waren zwar sehr prachtvoll, aber um mindestens zwei Nummern zu groß. An seiner Seite baumelte ein gewaltiges Schwert. Da der Mann gerade groß genug war, Skar bis zum Kinn zu reichen, wirkte es etwas deplaciert. Er würde schlichtweg hintenüberfallen, dachte Skar amüsiert, wenn er versuchte, es zu schwingen. Laut sagte er: »Führt Ihr diese Leute, Hauptmann?«

»Warum?«

Skar lächelte. »Weil ich mich frage, was ihr wohl tun werdet, wenn die Quorrl eines Tages wirklich kommen, wo ihr doch offensichtlich vor ein paar harmlosen Flüchtlingen schon solche Angst habt, daß Ihr eine ganze Hundertschaft aufbietet?« Das Gesicht des Hauptmannes verdüsterte sich vor Zorn, und Enwass warf ihm einen raschen, fast beschwörenden Blick zu. Skar schluckte den Rest der Worte, die er sich zurechtgelegt hatte, mit einem leisen Gefühl des Bedauerns herunter.

»Für einen, der als Bettler hierherkommt, bist du reichlich vorlaut, Kerl«, fauchte der Hauptmann. »Was sollte mich daran hindern, dich wieder ins Wasser zu werfen und zuzuschauen, wie du ersäufst?«

»Versucht es«, sagte Skar ruhig.

Enwass erbleichte noch weiter und starrte ihn so beschwörend an, daß es schon fast komisch wirkte, aber Skar ignorierte ihn. Er kannte Männer wie diesen Hauptmann zu gut, um nicht zu wissen, daß er sich keine Schwäche leisten konnte. Man traf sie in jeder Armee, und besonders in Zeiten wie diesen: grausame Männer, die im Grunde ihres Herzens schwach waren und das auch genau wußten, und die nur durch eine Fügung des Zufalls nach oben gekommen waren. Vermutlich war der Kerl niemals in irgendeiner Armee Enwors Hauptmann gewesen, sondern hatte die Uniform einem Toten abgenommen oder schlichtweg gestohlen. Aber ebenso feige, wie diese Männer im Grunde waren, so untrüglich war auch ihr Instinkt. Skar war sicher, daß der Mann ihn auch dann als Gefahr eingestuft hätte, hätte er den Mund gehalten. Es war besser, er zeigte ihm von vornherein seine Grenzen.

Und es kam noch etwas hinzu. Skars Muskeln schmerzten noch jetzt von der Anstrengung des Ruderns, und trotzdem waren sie dem Tod nur um Haaresbreite entgangen. Er war sicher, daß mehr als ein Boot vor ihnen in die Barriere geschwemmt und zerfetzt worden war, und er war ebenso sicher, daß der Hauptmann dabei ungerührt zugesehen hatte. Wahrscheinlich hatte es ihm noch Spaß gemacht.

»Wie ist Euer Name, Hauptmann ?« fragte er, als der Mann mit dem Lederhelm nicht auf seine Herausforderung reagierte, sondern ihn nur haßerfüllt anstarrte. Der Ausdruck auf den Gesichtern seiner Leute schwankte zwischen Verblüffung und Unterdrückter Schadenfreude. Der angebliche Hauptmann erfreute sich offenbar auch unter seinen eigenen Männern keiner allzugroßen Beliebtheit.

»Gorrn«, antwortete er schließlich. »Aber was geht dich das an, Kerl?«

»Mein Name ist Skar, nicht Kerl«, sagte Skar ungerührt. »Und ich weiß gerne, mit wem ich rede, das ist alles. Und nun, Hauptmann Gorrn«, fuhr er so rasch und mit völlig veränderter, plötzlich gelassener Stimme fort, daß Gorrn ihn nur mit offenem Mund anstarren konnte, »sagt uns, wohin wir gehen und wohin wir unsere Habseligkeiten bringen sollen.« Er deutete auf Enwass' Familie, die einer nach dem anderen vom Floß heruntertraten und sich auf dem kleinen Stück trockenen Bodens zusammendrängten, das Gorrns Speerträger ihnen zugestanden hatten. »Skar also«, murmelte Gorrn. Skar fragte sich, ob er einen Fehler begangen hatte, denn der Hauptmann wirkte für einen Moment sehr nachdenklich. Aber dann schüttelte er nur den Kopf. Skar atmete innerlich auf. Offensichtlich kannte hier niemand seinen Namen.

»Dein Flüchtlingspack kommt ins Lager, wo es hingehört«, fuhr Gorrn schließlich fort. »Und euren Plunder...« Er grinste, stellte sich auf die Zehenspitzen und blickte über Skars Schulter hinweg auf das Floß hinab, wobei er sich bemühte, einen möglichst angewiderten Gesichtsausdruck aufzusetzen. »Nun, wir werden den Kram sichten und uns heraussuchen, was noch zu gebrauchen ist. Den Rest schmeißen wir ins Wasser zurück.«

»Wie bitte?« sagte Skar verwirrt. Er war nicht ganz sicher, auch richtig zu verstehen, was er hörte.