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Gorrn grinste breit. »Du hast mich richtig verstanden, Bauernlümmel«, sagte er. »Das Zeug ist beschlagnahmt. Ihr behaltet eure Kleider und was ihr an Nahrung dabeihabt. Alles andere laßt ihr zurück. Vor allem die Waffen - falls ihr welche habt.« Sein Blick tastete über Skars Gestalt und erspähte den Umriß des Schwertes, das er unter dem Mantel trug.

»Fangen wir damit an«, sagte er fordernd. »Das Schwert da - gib es mir!« Er streckte fordernd die Hand aus, aber der Ausdruck auf seinen Zügen war nur Überheblichkeit und Zorn, keine wirkliche Entschlossenheit. Skar seinerseits widerstand im letzten Moment der Versuchung, den Mantel zurückzuschlagen und die Hand herausfordernd auf den Schwertgriff zu legen. Ganz davon abgesehen, daß er den Bogen damit wahrscheinlich überspannt hätte, hätten Gorrn oder einer seiner Leute garantiert das Satai-Schwert erkannt, das er trug.

»Was soll das?« fragte er scharf. »Wieso behandelst du uns, als wären wir Feinde?«

»Täte ich das, wärt ihr alle schon tot, Skar«, antwortete Gorrn wütend. »Aber was nicht ist, kann noch kommen.«

»Das beantwortet meine Frage nicht!« fauchte Skar. »Was soll dieser Empfang? Wir sind hier, weil wir Hilfe brauchen, nicht -«

»Hilfe?« Gorrn lachte schrill. »O sicher. Hilfe, wie die zigtausend anderen, die in den letzten Monaten gekommen sind, nicht? Was denkst du dir, Kerl? Daß wir nur darauf warten, von Tausenden von Flüchtlingen überflutet zu werden?« Herausfordernd trat er auf Skar zu und starrte ihn an. Daß er sich dazu auf die Zehenspitzen stellen mußte, machte ihn nicht unbedingt würdevoller. Skar unterdrückte ein abfälliges Grinsen.

»Und jetzt kommt an Land«, fuhr Gorrn fort. »Und beeilt euch. Wir haben Wichtigeres zu tun, als den ganzen Tag mit euch zu verschwenden.« Er machte eine befehlende Handbewegung, um seine Worte zu unterstreichen.

Skar wollte abermals widersprechen, aber in diesem Moment legte ihm Enwass die Hand auf den Unterarm und drückte rasch und sehr kräftig zu. »Es ist gut, Skar«, sagte er. »Ich regele das.« Zu Gorrn gewandt, fuhr er fort: »Verzeiht Skar, Hauptmann. Er... gehört nicht zu uns und kennt die Sitten und Gebräuche hier nicht.«

»Gebräuche?« fragte Skar böse. »Welche? Männer und Frauen, die alles verloren haben, auch noch ihrer allerletzten Habe zu berauben?«

Enwass' Blicke wurden fast beschwörend, aber diesmal war es Gorrn, der ihn nicht zu Wort kommen ließ.

»Berauben?« fragte er zornig. »Nennst du mich einen Dieb, Kerl?«

»Wie nennt man jemanden, der anderen etwas wegnimmt?« erwiderte Skar kühl.

»Einen Schmarotzer«, antwortete Gorrn. Er beugte sich leicht vor. Seine Augen wurden schmal. »Einen Dieb, Skar. Einen Flüchtling. Wer, denkst du, bezahlt für Essen und Unterkunft all derer, die hierherkommen? Wer sorgt für ihre Sicherheit? Wer hat diese Festung hier erbaut, und wessen Blut wird wohl fließen, wenn die Quorrl kommen? Das unsere!« Er schlug sich mit der flachen Hand auf die Brust. »Du nennst uns Diebe?« Er lachte böse. »Niemand zwingt dich, dich von uns bestehlen zu lassen, Skar. Nimm dein Floß und rudere zurück zu den Quorrl, vielleicht behandeln sie dich ja besser. Oder bleib hier und richte dich nach dem, was wir sagen!«

»Das ist -«

»Er hat recht, Skar«, unterbrach ihn Enwass hastig. »Bitte! Was sie uns nehmen können, ist nur ein kleiner Teil dessen, was wir von ihnen bekommen.«

»Ganz recht!« fügte Gorrn wütend hinzu. »Aber das wirst du auch noch begreifen, Skar. Spätestens, wenn das Frühjahr kommt und mit ihm die Quorrl. Vielleicht wirst du dann noch darum betteln, von uns bestohlen zu werden. Und nun geht!« Erneut machte er eine befehlende Geste mit der Hand, und diesmal widersprach Skar nicht mehr.

Flankiert von Gorrns Lanzenträgern gingen sie weiter. Es gab auch in der inneren Wand ein gewaltiges Bronzetor, aber es war gute hundert Schritt weiter nördlich angebracht, um einen eventuellen Angreifer davon abzuhalten, das erste Tor zu durchbrechen und seinen Schwung gleich zu nutzen, auch noch die innere Barriere niederzumachen. Skar bezweifelte, daß die Anlage ihren Sinn erfüllen würde, wenn der Angriff, den Gorrn offensichtlich befürchtete, wirklich kam. Für einen menschlichen Angreifer wäre dieser doppelte Steinwall sicherlich fast unüberwindbar gewesen. Aber die Feinde, mit denen die Männer hier rechneten, waren Quorrl - Wesen, die zehnmal so stark und zwanzigmal so wild wie ein Mensch waren.

Sie passierten das zweite Tor, hinter dem ein fünf Meter breiter und beinahe ebenso tiefer Graben gähnte, dessen Boden nun mit Schnee und braungrauem Matsch gefüllt war, und aus dem angespitzte Stöcke und kurze, mit Widerhaken versehene Spieße ragten. Eine dünne, nur an zwei rasch zu durchtrennenden Seilen hängende Brücke führte über diesen Graben. Dahinter lag ein gut hundert Schritt breites Stück vollkommen freien Geländes, das sorgfältig von jeglicher Vegetation gesäubert worden war. Und hinter ihm das Lager.

Skar wußte nicht genau, was er erwartet hatte - aber es war nicht das. Enwass hatte ihm erzählt, daß viele den Weg über die Grenzen suchten. Aber vor ihnen erstreckte sich eine ganze Stadt aus kleinen, schmutzigweißen Zelten, säuberlich in geraden Linien aufgereiht, Hunderte in einer Reihe, und Dutzende von Reihen tief. Die Luft über dem improvisierten Zeltlager flimmerte von Staub und aufsteigender Wärme, denn überall zwischen den kleinen Notunterkünften flackerten kleine Feuer, und selbst über die große Entfernung hinweg hörte Skar das Summen Abertausender von Menschen, die wie Vieh zusammengepfercht waren. Es mußten Zehntausende sein, die hierher geflohen waren. Und Skar war nicht sehr sicher, ob sie hier die Freiheit fanden, um derentwillen sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten, denn das Lager war von einem übermannshohen, doppelten Zaun umgeben, zwischen dem bewaffnete Männer mit Hunden patrouillierten.

Abrupt blieb er stehen, kaum daß er den Graben überschritten hatte. »Was bedeutet das?« fragte er alarmiert. »Das ist -«

»Das Lager«, unterbrach ihn Gorrn kalt. »Was hast du erwartet? Einen Palast?« Er grinste hämisch. »Sicherlich. Du wirst ihn bekommen, aber im Moment... wir sind mit der Arbeit etwas im Verzug, weißt du? Ich werde meine Leute anspornen, für dich und deine Begleiter eine würdigere Unterkunft zu schaffen, aber bis der Marmor und die goldenen Möbel kommen, muß ich dich leider bitten, mit dem hier vorliebzunehmen.«

Skar starrte ihn an. »Was soll das?« fragte er noch einmal. »Das ist ein Gefangenenlager, Gorrn.«

Gorrn nickte ungerührt. »Und genau das seid ihr, Bauer«, antwortete er abfällig. »Jedenfalls so lange, bis wir entschieden haben, was mit euch zu geschehen hat.«

»Zu... geschehen?«

»Es ist Krieg, Tölpel!« antwortete Gorrn zornig. »Was denkst du dir? Jeden Tag kommen Hunderte wie du hier an, und jeder zehnte ist ein Spion oder Saboteur! Hast du gedacht, du müßtest nur kommen, um mit offenen Armen empfangen zu werden?« Er spie aus. »Verdammt, ich habe keine Lust mehr, mich mit euch Pack zu streiten! Du wirst tun, was ich sage, oder ich werfe dich eigenhändig zurück in den Fluß.« Wütend deutete er auf einen niedrigen, sechsbeinigen Tisch, der reichlich deplaziert direkt neben dem Graben stand, zusammen mit einem einzelnen Stuhl und einer wuchtigen, mit schweren eisernen Schlössern versehenen Truhe. Auf der zerkratzten Platte lagen Pergamente, die mit Steinen beschwert worden waren, damit der Wind sie nicht davontrug, dazu ein Tintenfaß und eine Schreibfeder. »Geht dorthin«, befahl er.

Skar wollte abermals widersprechen, aber wieder legte ihm Enwass die Hand auf den Arm und schüttelte hastig den Kopf. Sein Blick wurde beschwörend. Skar begriff plötzlich, daß er nicht nur sich selbst, sondern auch Enwass und alle anderen in Gefahr brachte, wenn er Gorrn weiter reizte. Schweigend wandte er sich um und folgte dem angeblichen Hauptmann zum Tisch.

Gorrn nahm auf dem Stuhl Platz, zog einen Stapel mit kleinen, roh zurechtgeschnittenen Pergamentblättern zu sich heran und zückte eine Schreibfeder, deren Ende zerkaut war. »Ihr bekommt jetzt Ausweise«, sagte er mit erhobener Stimme und in einem Ton, der klarmachte, daß er diese Sätze schon tausendmal gesprochen hatte. »Und dazu Lebensmittelscheine für den ersten Tag. Essen gibt es nur gegen diese Scheine, ist das klar? Die Ausweise habt ihr immer mit euch zu führen, wenn ihr euch im Lager bewegt. Wer ohne gültigen Ausweis erwischt wird, wird auf der Stelle hingerichtet - ist das klar?« Er wartete keine Antwort ab, sondern blickte betont gelangweilt zu Enwass auf, der als erster vor ihm Aufstellung genommen hatte. »Dein Name?«