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Für den Bruchteil eines Herzschlages wurde es still. Dann schrie Gorrn schrill auf; gleichzeitig erhob sich aus den Reihen seiner Soldaten ein schadenfrohes Gelächter. Gorrn brüllte noch schriller, sprang mit einer ungelenken Bewegung auf die Füße und hob die Fäuste. Seine Augen flammten vor Haß. Das Gelächter verstummte abrupt.

»Du Hund!« brüllte er. »Dafür stirbst du! Du wirst bezahlen, das schwöre ich dir!«

»Wofür wird dieser Mann bezahlen, Hauptmann?«

Die Stimme erklang irgendwo hinter Skar und den anderen, und sie war so sanft und leise, daß Skar die Worte eher erriet, als daß er sie wirklich hörte.

Und trotzdem war ihre Wirkung fast unglaublich.

Gorrn, der sich mit haßverzerrtem Gesicht und hoch erhobenen Fäusten auf Skar hatte stürzen wollen, prallte mitten in der Bewegung zurück, als wäre er jählings gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Der Haß in seinen Augen schlug in Furcht, dann beinahe in Entsetzen um, und auch seine Krieger fuhren erschrocken zusammen. Die Waffen, die sich auf Skar gerichtet hatten, senkten sich wieder.

Skar drehte sich betont langsam herum.

Hinter ihm stand ein Mann - jedenfalls vermutete er, daß es ein Mann war, denn seine Gestalt wurde völlig von einem schmutzigweißen, an eine Mönchskutte erinnernden Gewand verhüllt, das nur seine in dünnen Schnürsandalen steckenden Füße und die Hände freiließ; sehr schmale, sehnige Hände, die einem alten Mann, aber auch einer sehr alten Frau gehören konnten. Das Gesicht war unter einer tief in die Stirn gezogenen Kapuze verborgen, und obwohl es eigentlich im Sonnenlicht liegen mußte, konnte Skar unter der Kapuze nichts als wogende Schatten erkennen. Die Gestalt erfüllte ihn sofort mit Furcht. Irgend etwas Unsichtbares, Düsteres schien sie zu umgeben. Dann begriff er, daß er sich täuschte. Was er fühlte, war Macht, eine so reine Aura von Macht, daß er fast meinte, sie berühren zu können.

Der Alte - Skar war jetzt sicher, daß es ein Mann war - ließ ihm ausreichend Zeit, ihn zu mustern, während seine unsichtbaren Augen gleichzeitig über Skars Gestalt wanderten. Sein Blick wirkte auf unangenehme Weise taxierend. Skar mußte plötzlich gegen den aberwitzigen Gedanken ankämpfen, daß die Gestalt in der weißen Kutte seine Gedanken las wie ein offenes Buch. »Nun, Hauptmann?« wiederholte der Mann, als Gorrn nicht antwortete. »Wofür soll er bezahlen, deiner Meinung nach?« In seiner Stimme war jetzt ein spöttischer Unterton, der weder Skar noch dem angeblichen Hauptmann entging.

Gorrn deutete anklagend auf Skar. »Der... der Kerl hat mich angegriffen, Herr!« stammelte er. »Er... er hat -«

»Dich angegriffen?« Der Fremde seufzte. »Nun, Hauptmann, ich stehe schon eine geraume Weile hier, und ich hatte eher den Eindruck, daß Ihr ihn gereizt habt, damit er ebendies tut - war es nicht so?«

Gorrn fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen. Dann nickte er. »Ja, Herr«, flüsterte er. »Verzeiht mir.« Plötzlich trat ein trotziges Funkeln in seine Augen. »Aber das ändert nichts daran, daß er versucht hat, mich umzubringen!« sagte er. »Er hat -«

»Dich umbringen?« Die Gestalt in der weißen Kutte lachte leise. »Du bist ein Narr, Gorrn. Wenn dieser Mann dich hätte töten wollen, hätte er es längst getan. Dieser Mann ist ein Satai.« Gorrn erstarrte. Seine Augen quollen vor Entsetzen ein Stück aus den Höhlen. Er öffnete den Mund, brachte aber nur einen krächzenden, halberstickten Laut zustande. Dafür ging eine erschrockene Bewegung durch die Reihen seiner Krieger. Mehr als ein Dutzend Speere richtete sich auf Skar. Schwerter wurden scharrend aus den Scheiden gezogen. Ein Mann hob einen Bogen und legte mit fliegenden Fingern einen Pfeil auf die Sehne. »Genug!« Die Stimme des Mannes in der weißen Kutte war wie ein Peitschenhieb, obwohl er noch immer nicht viel lauter sprach als zuvor. Die Waffen, die sich auf Skar gerichtet hatten, senkten sich nicht. Aber die Krieger machten auch keine Anstalten, ihn wirklich anzugreifen. Noch nicht, dachte Skar besorgt. Seine Hand tastete unter dem Mantel nach dem Schwertgriff. »Ein... ein Satai?« stammelte Gorrn. »Er ist -«

Der Alte seufzte hörbar. »Ein Satai«, bestätigte er. »Nicht wahr, Skar?«

Skar nickte. Er war nicht einmal sonderlich erschrocken; ganz im Gegenteil verspürte er eine fast absurde Erleichterung. Er wollte nicht mehr lügen. Und er hatte das sehr sichere Gefühl, daß es wenig genutzt hätte, es zu versuchen.

»Es ist wahr«, sagte er ruhig. »Ich bin Satai. Aber trotzdem bin ich -«

»Ich weiß, was du bist, Skar«, unterbrach ihn der Alte.

»Ebenso, wie ich weiß, daß du all diese Narren hier hättest töten können, wenn du es gewollt hättest. Ich danke dir, daß du es nicht getan hast. Wir haben zu wenige Krieger, um auch nur auf Narren wie sie verzichten zu können.« Er trat einen halben Schritt auf Skar zu, blieb wieder stehen und schlug mit einer raschen Bewegung beider Hände die Kapuze zurück. Darunter kam ein Gesicht zum Vorschein, das ein gutes Stück jünger war, als Skar beim Anblick seiner Hände und dem dünnen Klang der Greisenstimme erwartet hatte.

»Ich bin Drask«, sagte der Mann lächelnd. »Und die Waffe, die du da in der Hand hältst, wirst du nicht brauchen. Jedenfalls nicht jetzt. Willkommen, Skar.«

Skar nahm hastig die Hand vom Griff des Tschekal, schwieg aber weiter. Drasks Lächeln war nicht echt, das spürte er. Irgend etwas war falsch an diesem Mann, auf entsetzliche, nicht in Worte zu fassende, aber unübersehbare Weise falsch. Alles in ihm schien ein einziger Warnschrei zu sein, als er den Mann anstarrte. Was war das? dachte er entsetzt.

»Du... kennst mich?« fragte er ungläubig. »Woher?«

Drask lächelte. »Das ist eine lange Geschichte, Skar. Gib dich für den Moment damit zufrieden, daß ich weiß, wer du bist - und daß ich nicht dein Feind bin. Du hast lange gebraucht.«

»Lange?« Skars Verwirrung stieg mit jedem Wort, das er hörte. »Aber wieso... ich meine, was -«

Drask unterbrach ihn mit einer milden Handbewegung. »Du kannst es noch nicht verstehen, Skar«, sagte er. »Aber wir haben auf dich gewartet. Sehr lange.« Er seufzte. »Beinahe zu lange.« Skar verstand nun wirklich kein Wort mehr. Er fühlte sich hilflos wie selten zuvor in seinem Leben. Und noch immer hatte er kein anderes Gefühl als das der Gefahr, während er Drask anblickte. Was war das? Wer war dieser alte Mann?

»Du wirst alles begreifen, Skar«, sagte Drask milde, und plötzlich war Skar fast sicher, daß er seine Gedanken las. »Aber nicht jetzt, und nicht hier.« Er deutete zur Festung hinauf. »Du bist mein Gast. Folge mir.«

13.

Drask führte ihn zu einem wuchtigen, fensterlosen Turm aus Felsgestein, der den einzigen Zugang zu der Zyklopenfestung über dem Fluß darstellte; und wie Skar schon auf den ersten Blick sah, zudem einen, der mit wenigen Handgriffen unpassierbar gemacht werden konnte, denn in seinem Inneren befand sich nicht der Eingang eines Stollens, wie er instinktiv angenommen hatte, sondern ein lotrechter Schacht mit Wänden, die so glatt waren, als bestünden sie aus poliertem Glas. Sein Grund lag im Dunkeln, so daß Skar nicht erkennen konnte, wie tief er war; aber er spürte die Feuchtigkeit und Kälte und hörte das Dröhnen tobenden Wassers. Ein sehr schmaler, an dünnen silberfarbenen Ketten aufgehängter Steg führte über diesen Schlund, und Skar war sehr sicher, daß es irgendwo über seinem Kopf einen verborgenen Mechanismus gab, mit dem man diesen Steg entweder einziehen oder schlichtweg in die Tiefe stürzen lassen konnte. »Wer hat das alles hier gebaut?« fragte er, während er Drask über den schwankenden Steg folgte.

Der Alte sah über die Schulter zurück und lächelte. »Gefällt es dir?« fragte er.