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Nur allmählich begann sich sein hämmernder Herzschlag zu beruhigen. Der Raum hörte auf, sich um ihn herum zu drehen, fast jedenfalls, und die Schatten der Angst krochen in die Ecken und Winkel zurück.

Aber etwas blieb. Skar wußte nicht, was es war, aber irgend etwas blieb in ihm. Er fühlte sich noch immer auf die gleiche, schwer in Worte zu fassende Weise unwohl, wie er es in Drasks Nähe getan hatte. Aber vielleicht war es gar nicht der Alte gewesen, der ihn so mit Unbehagen erfüllt hatte, sondern etwas anderes, und er hatte das Gefühl nur auf Drask projiziert, um - Um nicht zuzugeben, daß er in Wahrheit ganz genau wußte, was es war?

Skar drehte sich um, blickte aus eng zusammengepreßten Augen in die Dunkelheit, versuchte die Schatten zu durchdringen, die wie ein lautlos schwebender Vorhang aus Schwärze vor der Tür und der gegenüberliegenden Wand hingen. War er da? War es nichts als die Nähe des Daij-Djan, die er die ganze Zeit spürte? Drasks Worte fielen ihm ein, und genau wie in dem Moment, in dem er sie gehört hatte, überlief ihn ein eisiger Schauer. Du hast einen Schutzengel, Skar...

Vielleicht war es so. Aber wenn, dann war es ein schwarzer Cherubin, ein Engel des Todes, der Skar wie ein mordender Schatten überallhin folgte. War er da? War er hier?!

»Wo bist du?« flüsterte er. »Zeig dich, du Bestie!«

Natürlich antworteten die Schatten nicht. Die Dunkelheit schwieg, und nur das Echo seiner eigenen Worte kam zurück, wie leises, unendlich böses Hohngelächter.

Aber er spürte ihn. Er war hier, vielleicht nicht körperlich, aber er war hier. Vielleicht lauerte er in den Schatten, vielleicht... ja, vielleicht war er auch ein Teil von ihm, ein finsteres Stück seiner Seele, das auf gräßliche Weise Gestalt und Körper angenommen hatte.

Und plötzlich kam ihm ein Gedanke, der ihn um ein Haar hätte aufschreien lassen.

Niemand hatte den Daij-Djan bisher gesehen. Niemand, der dieses Treffen überlebt hätte.

Keiner außer ihm.

War es das, was Drask ihm hatte sagen wollen? dachte er. Vielleicht existiert das Ungeheuer gar nicht, war nur eine Ausgeburt seiner Phantasie, eine Chimäre, die sein eigener Geist erschaffen hatte, um ihn vor der Wahrheit zu schützen.

Vielleicht war er der Daij-Djan.

16.

Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los. Irgendwann im Laufe der Nacht schlief er doch ein, schon aus purer Erschöpfung, aber es war ein unruhiger, von düsteren Visionen und Alpträumen heimgesuchter Schlaf, aus dem er erschöpfter erwachte, als er hineingesunken war.

Lange vor Sonnenaufgang stand er wieder auf, zog sich an und verließ seine Kammer. Er war kein Gefangener - Drask hatte ihm nicht nur erlaubt, sondern ihn sogar ausdrücklich dazu aufgefordert, sich nach Belieben in der Festung umzusehen und auch Vorschläge zu machen, sollte ihm eine Schwäche in ihrer Anlage oder eine Möglichkeit zur Verbesserung auffallen.

Skar nutzte diese Erlaubnis nach Kräften aus. Länger als zwei Stunden lief er durch die weitverzweigten Gänge und Hallen der Burg, begutachtete die Wehrmauern und Türme, prüfte den Abschußwinkel der Katapulte, die Ausrichtung der Schießscharten und die Höhe der Brustwehr - tausend Dinge, die vor ihm schon andere getan hatten, viel gründlicher und erfahrener, als er es gekonnt hätte. Skar glaubte auch nicht wirklich, die Verteidigungsfähigkeit dieser Burg irgendwie verbessern zu können. Und er war sich auch darüber im klaren, daß dies nicht der Sinn von Drasks Worten gewesen war. Er brauchte einfach etwas, um sich abzulenken, und Drask seinerseits wollte wohl erreichen, daß die Männer in der Burg sich an Skars Anblick gewöhnten.

Vielleicht war dies das größte Problem, und Skar hatte noch nicht einmal wirklich damit begonnen, es zu lösen: Er war Satai.

Jedermann hier wußte das, spätestens seit seinem Zusammenstoß mit Gorrn am vergangenen Tage. Und Skar gab sich jetzt keine Mühe mehr, seine Identität zu verheimlichen. Er trug Tschekal und Stirnband der Satai ganz offen, und fast bedauerte er jetzt, die Kleider des Satai, den er erschlagen hatte, nicht doch mitgenommen zu haben, denn er hätte sich im schwarzen Mantel und Brustpanzer seines Clans einfach wohler gefühlt als in den schweren Pelzen, die Drask ihm bereitgelegt hatte. Aber er spürte auch die Angst - und den Haß! - die ihm entgegenschlugen. Furcht und Angst in den Augen der Männer, denen er begegnete, und Haß, sobald sich ihre Blicke voneinander lösten und sie glaubten, er merke es nicht.

Das Gefühl schmerzte, auch wenn er es verstand. Vielleicht gerade deshalb um so mehr.

Was war aus Enwor geworden? dachte er bitter. Was war aus der Welt geworden, die zu beschützen er einst bei seinem Leben geschworen hatte? Was hatten sie getan, daß aus Gut Böse und aus Böse etwas noch Schlimmeres geworden war?

Zwei Stunden nach Sonnenaufgang traf er auf einen Leibdiener Drasks, der ihn offensichtlich schon eine geraume Weile gesucht hatte, denn er begann zu rufen und hektisch mit den Armen zu wedeln, lange ehe er Skar erreichte, und sein Atem ging sehr schnell. »Drask... wünscht Euch zu... sprechen, Herr«, keuchte er, als Skar stehenblieb und ihm so Gelegenheit gab, zu ihm aufzuholen. »Bitte kommt. Er... wartet schon eine ganze Weile auf Euch.«

»So?« Skar lächelte humorlos. »Warum hat er nicht meine Gedanken gelesen, um herauszufinden, wo ich bin?«

Der Diener blinzelte irritiert; offensichtlich verstand er nicht, was Skar meinte. Skar machte eine kurze Handbewegung, als er antworten wollte. »Schon gut. Bring mich zu ihm.«

Der Mann führte ihn zurück in die Turmkammer, in der er schon am Tage zuvor mit Drask zusammen gewesen war. Drask selbst war nicht da. Die Fenster standen jetzt weit offen, und im hellen Licht der Vormittagssonne wirkte die halbrunde Kammer um einiges freundlicher - und auch größer - als am Vortag. In der Luft hing ein schwacher, süßlicher Geruch, wie nach Weihrauch, und Skar sah, daß der Tisch reich gedeckt war - für vier Personen. Natürlich, dachte er. Drask hatte ihn sicher nicht hierhergebracht, weil er Gesellschaft brauchte. Das kurze Gespräch gestern war nur der Auftakt gewesen, und Skar ahnte nur zu gut, was nun kommen würde: lange Tage voller endloser Diskussionen, Beratungen und wieder Diskussionen. Drask - wer immer er war - (Skar kam mit einem Gefühl leiser Verwunderung zu Bewußtsein, daß er bisher nicht einmal einen Gedanken an diese Frage verschwendet hatte) würde sich kaum damit zufrieden geben, sich zu fragen, warum Skar wohl hier war und dann achselzuckend weitermachen, als wäre nichts geschehen. Wahrscheinlich, dachte Skar finster, erwartete er eine Art von Wunder von ihm. Der Gedanke erfüllte ihn mit Zorn. Skar, der Satai, dachte er bitter. Der Retter der Welt. Was sollte er tun? Mit den Fingern schnippen und die Sternengeborenen dorthin zurückhexen, wo sie hergekommen waren?

»Wo ist dein Herr?« fragte er.

Der Diener fuhr zusammen, blickte Skar einen Moment sichtlich erschrocken an und rettete sich in ein verlegenes Lächeln. »Ich... weiß es nicht, Herr«, sagte er. »Man hat mir nur aufgetragen, Euch zu suchen und herzubringen. Aber er wird kommen«, fügte er hastig hinzu.

»Und das da?« Skar deutete auf den reich gedeckten Tisch. »Für wen ist das?«

»Ich weiß nicht«, wiederholte der Diener. »Drask pflegt immer gut zu essen. Und... und gerne in Gesellschaft.«

Ja, dachte Skar finster. Er konnte sich gut vorstellen, was kommen würde: Wahrscheinlich würde er das Vergnügen haben, den Vormittag in Gesellschaft irgendwelcher Generäle oder Heerführer zu verbringen, die ihn blöde anglotzten und darauf warteten, daß er weise mit dem Kopf nickte und ihnen mit acht oder zehn knappen Worten eine Verteidigungsstrategie unterbreitete, mit der sie die Quorrl innerhalb einer Woche in ihre Eiswälder zurücktrieben. Skar hatte plötzlich gute Lust, den Tisch umzuwerfen. Aber natürlich tat er es nicht.