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Natürlich wußte er es. Er hatte gefürchtet, daß es so kommen würde, die ganze Zeit über.

»Und du hast Angst davor«, stellte Drask fest, als er nicht antwortete. »Nicht wahr? Du hast zu vielen Unglück gebracht - allen, die du geliebt hast. Und jetzt hast du Angst, daß es wieder geschehen könnte. Du hast Angst, daß deine Liebe den Tod bringt.« Er seufzte. »Ich kann dich sogar verstehen.«

Skars Zorn erlosch, und plötzlich fühlte er sich nur noch elend. Drask hatte recht, tausendmal recht. Und es war nicht nur Einbildung.

»Du magst sogar den Jungen«, fuhr Drask erbarmungslos fort. »Vielmehr, als du zugeben würdest, Skar.«

»Mögen? Dieses kleine Ungeheuer!« Skar lachte schrill.

»Oh, ja«, sagte Drask überzeugt. »Gerade deshalb glaubst du, ihn zu verabscheuen. Er erinnert dich an jemanden. An wen? An dich? Oder an Del?«

Skar fuhr auf. »Woher -« Dann fiel ihm wieder ein, daß es nichts in seinem Kopf gab, was Drask nicht wußte.

»Aber genug«, sagte Drask plötzlich. »Wir... haben anderes zu besprechen.« Er gähnte, ohne sich die Mühe zu machen, die Hand vor den Mund zu nehmen, trank wieder einen Schluck Wein und spielte einen Moment gedankenverloren mit dem Becher, ehe er fortfuhr, in völlig verändertem, sehr sachlichem Ton. »Ich habe nachgedacht, Skar«, sagte er, »über dich, über uns, die Quorrl...« Er machte eine vage Handbewegung. »Ich glaube, ich weiß es jetzt.«

»Was?«

»Den Grund deines Hierseins«, erklärte Drask. Er hob rasch und besänftigend die Hand, als Skar auffahren wollte. »Es ist nur eine Vermutung«, fuhr er mit leicht erhobener Stimme fort. »Aber es ist das einzige, was Sinn macht.«

»Und was?« fragte Skar, als Drask abermals eine Kunstpause einlegte, während der er ihn nur auffordernd anstarrte. Drask schien einen ausgesprochenen Sinn für dramatische Auftritte zu haben; aber nicht unbedingt auch das dazu notwendige Talent. »Sie brauchen dich, Skar«, antwortete Drask gewichtig. »Dein Erwachen war kein Zufall. Sie haben dich geweckt, weil sie dich brauchen.« Er beugte sich ein wenig weiter vor, befeuchtete seine Fingerspitze mit der Zunge und nahm einen Brotkrümel damit vom Teller auf. »Es muß etwas mit dem Kind zu tun haben. Irgend etwas, was nur du tun kannst, und sonst kein anderer. Wäre es nicht so, hätten sie niemals das Risiko auf sich genommen, dich zu wecken.«

»Oh«, sagte Skar spöttisch. »Das hält sich in Grenzen.«

»Unterschätze deine Macht nicht, Skar. Du hast sie schon einmal geschlagen, auch wenn es ein Pyrrhussieg war. Du bist vielleicht der einzige, der ihnen wirklich gefährlich werden kann. Und wir sollten diesen Umstand für uns nutzen.«

»Und wie?«

Drask zuckte die Achseln. »Eine gute Frage, die ich im Moment leider nicht beantworten kann. Noch nicht. Aber noch ist etwas Zeit. Solange du hier bist und nichts unternimmst, scheinen sie stillzuhalten.« Er seufzte. »Ich... habe einen Verdacht«, fuhr er stockend fort. »Einen sehr gewagten Verdacht. Ich gestehe, daß ich der einzige bin, der daran glaubt - aber dein plötzliches Erscheinen bekräftigt ihn.«

Skar unterdrückte ein ärgerliches Schnauben. »Warum erzählst du mir nicht einfach, was du zu wissen glaubst?« fragte er, mühsam beherrscht. »Ich habe wirklich keine Lust, Spielchen mit dir zu spielen.«

Drask zog eine Schnute. »Du gönnst einem alten Mann nicht das geringste Vergnügen, Skar. Aber gut: ich glaube, ich weiß, warum du hier bist. Du mußt das Kind finden.«

»Das... Kind?«

Drask nickte hektisch. »Es gibt keine andere Erklärung«, behauptete er. »Vermutet habe ich es schon länger, aber ich konnte es nie beweisen. Und ich habe nicht gewagt, mich zu überzeugen. Die Gefahr war -«

»Was vermutest du?« unterbrach ihn Skar grob.

»Daß sie nicht wissen, wo es ist«, antwortete Drask. »es ist siebzehn Jahre her, Skar. Eine lange Zeit. Siebzehn Jahre, seit die Prediger das Kind genommen haben und damit fortgegangen sind. Niemand weiß, wohin. Vielleicht wissen sie es selbst nicht.« Er begann aufgeregt zu gestikulieren, als Skar widersprechen wollte. »Es klingt unglaublich, ich weiß, aber es könnte so sein. Siebzehn Jahre sind eine sehr lange Zeit. Es könnte sein, daß sie seine Spur verloren haben.«

»Aber sie sind -«

»Götter?« unterbrach ihn Drask. Er schüttelte den Kopf. »Oh, nein, das sind sie nicht. Sie sind Wesen, deren Macht der von Göttern nahe kommt, aber auch sie sind nicht allwissend, und nicht allmächtig. Wären sie es, dann würden wir jetzt nicht hier sitzen, Skar. Wir haben uns gegen sie gewehrt, fast fünf Jahre lang. Auch sie können Fehler machen. Und überlege: Es kann kein Zufall sein, daß du nach all der Zeit wieder erwacht bist, ausgerechnet jetzt, wo sie zum entscheidenden Sturm ansetzen.« Skar schwieg verwirrt. Drasks Theorie klang haarsträubend im ersten Moment. Und doch... Hatte nicht sein erster Gedanke seinem Kind gegolten, kaum daß er erwacht war?

Aber das war nur natürlich, nach allem, was passiert war. Und Drask hatte - »Ich könnte es beweisen«, drang Drasks Stimme in seine Gedanken.

Skar sah ihn zweifelnd an. »Beweisen?«

»Ja. Aber es ist... es könnte gefährlich sein.« Er hob seinen Becher, setzte ihn an die Lippen und trank wieder, ohne Skar dabei auch nur einen Sekundenbruchteil aus den Augen zu lassen. »Es könnte sein, daß ich alles riskiere. Nicht nur mein Leben.«

»Und wie?«

Drask schüttelte den Kopf. »Erst muß ich wissen, was du tun wirst«, sagte er. »Es ist wichtig, Skar, glaube mir. Was wirst du tun, wenn du deinen Sohn findest?«

»Was soll ich denn tun, deiner Meinung nach?« fragte Skar. Ein sehr ungutes Gefühl begann sich in ihm breitzumachen. Er glaubte zu ahnen, was Drask antworten würde. Und er war sich nicht sicher, ob er diese Antwort wirklich hören wollte.

»Das einzige, was Enwor vielleicht noch rettet«, sagte Drask ruhig. »Das Kind töten.«

Skar erschrak nicht. Drask sprach nur aus, was er selbst die ganze Zeit über schon gewußt hatte. Wenn alles so war, wie Drask behauptete, war es der einzige Ausweg.

»Ich bin nicht einmal sicher, ob ich es könnte«, sagte er, mit einer Ruhe, die ihn selbst erschreckte. »Selbst wenn ich es wollte.«

»Warum? Weil es dein Sohn ist? Dein Fleisch und Blut?« Sein Fleisch und Blut... Skar lächelte bitter. Nein, das war nicht der Grund. Das Kind war sein Sohn. Er hatte es gezeugt, aber das war auch schon alles. Er hatte es nicht gewollt, es nicht gewußt, bis es fast zu spät war, und er hatte es alles in allem weniger als einen Monat gekannt. Einen Augenblick lang lauschte er aufmerksam in sich hinein, aber da war nichts. Keine Vatergefühle, keine Liebe, keine irgendwie geartete Verbindung. Nur Furcht.

»Nein«, sagte er laut. »Aber wenn er das ist, was du behauptest, dann... dann kann man es vielleicht nicht einmal töten.«

»Unsinn«, sagte Drask. »Er ist ein Mensch, oder? Ein Mensch hat ihn gezeugt, und ein Mensch hat ihn geboren. Was immer sein Geist ist, sein Körper ist aus Fleisch und Blut. Er muß essen und atmen, und er kann sterben. Ob das allerdings noch etwas ändert«, fügte er etwas leiser hinzu, »weiß ich nicht.«

Wieder verging viel Zeit, ehe Skar antwortete. »Ihn töten...«, murmelte er schließlich. Etwas an diesem Wort erfüllte ihn mit Schrecken. Er war nicht sicher, ob er es konnte. Er war nicht einmal sicher, ob er es wirklich wollte.

»Denke daran, was er ist«, sagte Drask rasch. »Du erinnerst dich an ein hilfloses Kind, aber er ist jetzt achtzehn Jahre alt, ein Mann. Nun?«

»Gib mir ein wenig Zeit«, bat Skar. »Ich -«

»Zeit«, sagte Drask, »ist so ungefähr das einzige, was wir nicht haben, Skar. Ich weiß ja nicht einmal, ob ich recht habe. Vielleicht ist alles ganz anders. Aber wenn, dann müssen wir schnell handeln.«