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»Aber wie willst du ihn finden?«

Drask lächelte dünn. »Ich kann es«, behauptete er. »Du mußt wissen, daß ich nicht nur der Kommandant dieser Festung bin. Ich... verfüge über gewisse Möglichkeiten, den Aufenthaltsort deines Sohnes herauszufinden, wenn ich es wirklich will.«

»Und warum hast du es dann nicht längst getan?«

»Aus Furcht«, erwiderte Drask schnell, und Skar spürte, daß er nur auf diese Frage gewartet hatte. »Ich könnte ihn finden, aber ich liefe Gefahr dabei, daß ich ihnen den Weg zeige. Wenn sie wirklich nicht wissen, wo er ist, möchte nicht ich es sein, der sie mit der Nase darauf stößt. Aber jetzt...« Er seufzte, legte beide Hände flach vor sich auf die Tischplatte und betrachtete einen Moment lang so konzentriert seine kurzgeschnittenen Fingernägel, als stünden die Antworten auf alle seine Fragen darauf geschrieben. »Wir haben nicht mehr viel zu verlieren, Skar. In wenigen Wochen setzt die Schneeschmelze ein, und dann werden sie kommen. Keine Macht der Welt vermag sie dann noch aufzuhalten. Auch nicht die Mauern dieser Festung, oder meine eigene bescheidene Magie. Nur du.«

Skar sah den Alten überrascht an. Es war das erste Mal, daß Drask zugab, ein Magier zu sein. »Magie?«

»Du glaubst nicht daran, ich weiß«, sagte Drask lächelnd. »Nimm es als einen nützlichen Begriff, in einem Wort zu erklären, wozu ich sonst Wochen brauchte. Du hast meine Frage nicht beantwortet.«

Aber das tat Skar auch jetzt nicht. Er konnte es nicht.

17.

Er beantwortete die Frage des Magiers auch am nächsten Tag nicht, und auch nicht am Tage danach und dem diesem folgenden; an keinem Tag der folgenden zwei Wochen, die er auf Drasks Trutzburg verbrachte, ohne daß etwas Nennenswertes geschah. Er dachte nicht einmal ernsthaft darüber nach, ja, er konnte es nicht einmal - etwas in ihm schreckte allein vor der Vorstellung zurück, so heftig, daß all seine Willenskraft nicht ausreichte, diesen Widerstand zu überwinden. Drask seinerseits versuchte nicht, Skar zu einer Entscheidung zu zwingen, denn er schien zu ahnen, daß er damit wohl eher das Gegenteil dessen erreichen würde, was er wollte.

Skar erholte sich zusehends. Drask schien wirklich eine Art Zauberer zu sein, zumindest was die Heilkunst anging, denn Skars zahllose Wunden und Abschürfungen heilten mit geradezu unheimlicher Schnelligkeit, nachdem sich der Alte ihrer angenommen hatte. Er spürte, wie seine alte Kraft und Schnelligkeit zurückkehrte, sehr langsam zuerst, dann immer rascher und rascher. Fast wie durch Zauberei... Drask antwortete auf Skars dementsprechende mißtrauische Frage nur mit einem geheimnisvollen Lächeln, aber Skar drang nicht weiter in ihn.

Letztendlich war es völlig gleich, wie er genas. Und vielleicht, versuchte er sich einzureden, war es ja eine Art ausgleichender Gerechtigkeit - Zauberei hatte ihn krank und schwach werden lassen, warum also sollte sie ihn nicht auch heilen?

Er lernte die Festung in allen Einzelheiten kennen. Drask erwies sich als geduldiger und überaus redseliger Fremdenführer, der seine Aufforderung an Skar, ihm zu sagen, wenn ihm etwas Negatives auffiel, gar nicht oft genug wiederholen konnte. Skar fiel nichts auf - er war Krieger, kein Festungsbaumeister, seine Welt war das offene Feld, nicht die Burg - aber er begriff, daß die Männer, die diese Burg in nur drei Jahren aus dem Boden gestampft hatten, wahre Meister ihres Faches gewesen sein mußten : Drask machte ihn auf Details und Finessen aufmerksam, von denen er zuvor nicht einmal geahnt hatte, daß sie möglich waren, und Skars erster Eindruck bestärkte sich - nämlich daß, wer immer diese Burg erstürmen wollte, einen entsetzlichen Blutzoll dafür zahlen mußte.

Nicht, daß das irgend etwas an seiner Überzeugung änderte. Die Burg würde fallen, so oder so. Es waren keine hirnlosen Quorrl, auf deren Ansturm sie wartete.

Trotzdem nahm er jede Gelegenheit wahr, sich von Drask herumführen zu lassen, denn viel wichtiger als die Befriedigung von Drasks Besitzerstolz war etwas anderes: Skar begann die Männer kennenzulernen, die in der Burg lebten. Und sie ihn. Die kaum verhohlene Feindseligkeit, die er am ersten Morgen gespürt hatte, schwand ganz allmählich und machte Mißtrauen und schließlich verhaltenem Respekt Platz. Skar war weit davon entfernt, mit einem der Männer hier Freundschaft zu schließen, aber die Zeit arbeitete für ihn, und er wußte es. Wo zuerst nur nackte, fast panische Angst und purer Haß in den Augen der Männer gewesen war, begannen die Erinnerungen an eine andere Zeit die Oberhand zu gewinnen: eine Zeit, in der das Stirnband der Satai noch für Ordnung und Gerechtigkeit gestanden hatte. Viele der Männer hier hatten miterlebt, wie Satai ihre Brüder und Schwestern niedergemacht hatten, das wußte er von Drask, aber das andere, ältere Bild, das sie von den Satai hatten, war stärker. Am Ende dieser zwei Wochen haßte ihn niemand mehr. Es war das gleiche, was ihm mit Enwass und Syrr und Talin widerfahren war: Die Furcht schlug in Erleichterung um, als sie endlich begriffen, daß er nicht ihr Feind war. Er konnte direkt spüren, wie sich die Stimmung in der Burg besserte. Die angespannte Niedergeschlagenheit, die er registriert hatte, machte vorsichtigem Optimismus Platz, einfach, weil er da war. Vielleicht war es nicht einmal die Tatsache, daß er Satai war und auf ihrer Seite stand - jedem der Männer mußte klar sein, wie wenig ihnen ein einzelner Mann helfen konnte, wenn das Frühjahr und mit ihm die Quorrl kamen. Aber er war so etwas wie ein Symbol, ein Stück der alten, schon verloren geglaubten Ordnung, das unversehens zurückgekommen war. Skar wußte sehr gut, daß er diese Hoffnung enttäuschen würde. Aber das spielte keine Rolle. Zum ersten Mal in seinem Leben genoß er es, sich ganz bewußt selbst zu belügen, sich einzureden, daß er unter Freunden und in Sicherheit war. Es war eine Illusion, und er wußte es, aber er genoß sie.

Sie hielt genau zwei Wochen lang, dann holte ihn die Wirklichkeit wieder ein.

18.

Am Abend des vierzehnten Tages, den er auf der Burg verbrachte, ließ ihn Drask zu sich rufen. Skar dachte sich nichts Außergewöhnliches dabei - mit Ausnahme eines halben Tages, den er draußen im Lager verbracht hatte, um Enwass und seine Familie zu besuchen, hatte es kaum eine Stunde gegeben, die er nicht zusammen mit Drask verbrachte.

Aber als er Drasks Kammer betrat, begriff er, daß etwas geschehen war. Die gelöste Stimmung, in der er dem Diener gefolgt war, verflog wie ein Spuk, als er den Ausdruck auf Drasks Zügen sah. Für einen kurzen Moment schien es, als wäre es plötzlich genau umgekehrt wie bisher: Er wußte, was Drask ihm zu sagen hatte, so sicher, als hätte er nun seine Gedanken gelesen. Der Alte schwieg geduldig, bis sich der Diener, der Skar heraufbegleitet hatte, nach seinen weiteren Wünschen erkundigt hatte und gegangen war; dann bedeutete er Skar mit einer knappen Handbewegung, sich zu setzen. Skar war versucht, die Einladung abzulehnen; dann begriff er, wie kindisch eine solche Reaktion gewesen wäre. Schweigend ließ er sich auf den angebotenen Stuhl sinken und sah zu Drask auf.

»Du weißt, warum ich dich rufen ließ«, begann Drask.

Skar nickte. Ein schlechter Geschmack begann sich auf seiner Zunge breit zu machen. Warum stand er nicht einfach auf und ging?

»Du hast dich erholt in den letzten Wochen«, fuhr der Alte fort. »Ich habe dich beobachtet. Dein Körper ist geheilt, und deine Kraft kehrt zusehends zurück. Vielleicht wirst du nie wieder der werden, der du einmal warst, aber du bist noch immer ein Satai, und ich tat, was mir möglich war.« Er lächelte bedauernd. »Meine Macht reicht lange nicht an die der Gesichtslosen Prediger heran, aber ich habe getan, was ich konnte. Es muß genügen.«

»Ich weiß«, sagte Skar leise. Er versuchte vergeblich, seinen Worten einen bitteren Klang zu verleihen. In ihm war nichts als Leere. Er wußte, was kommen würde. Er hatte diesen Moment herbeigefürchtet, in jeder einzelnen Sekunde der vergangenen beiden Wochen. Jetzt drohte er in Panik zu geraten. Die fast unnatürliche Ruhe, die von ihm Besitz ergriffen hatte, täuschte. Sie war nur eine dünne Tünche, unter der das Entsetzen mit all seinen Fratzen und Grimassen lauerte. »Und jetzt«, sagte er leise, »verlangst du deinen Lohn, nicht wahr?«