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»Wenn er es ist«, sagte Skar rasch.

Drask nickte. »Wenn er es ist. Aber wie gesagt - ich bin fast sicher. Und ich denke, in spätestens zwei Stunden den endgültigen Beweis zu haben.« Er erhob sich mühsam, schlurfte zu einer Truhe an der gegenüberliegenden Wand und stemmte ächzend den schweren Deckel in die Höhe. Einen Moment lang kramte er vor sich hinmurmelnd darin herum, dann kam er zurück und breitete eine sorgsam gemalte Karte des Grenzgebietes zwischen Orkala und Bayfour zwischen sich und Skar auf dem Tisch aus, ehe er sich wieder setzte.

»Hier sind wir«, sagte er und stieß mit einem dürren Finger nach einer kunstvoll gemalten Burg, die quer über dem Fluß thronte. Skar beugte sich neugierig vor, um den Gesten des Alten bei der schlechten Beleuchtung besser folgen zu können. Drasks Zeigefinger folgte ein kurzes Stück weit dem gewundenen Band des Flusses und wich dann nach Osten ab. »Und hier ist ihr Lager.«

»Wessen?«

»Das Hauptquartier der Satai«, sagte Drask. Sein Blick haftete bei diesen Worten unverwandt auf Skars Gesicht. Etwas Lauerndes war in seine Augen getreten. Skar versuchte es zu ignorieren. »Du... denkst, er ist bei ihnen?«

»Es ist die einzig logische Erklärung«, sagte Drask nickend. »Niemand hat die Verbotenen Inseln oder gar den Berg der Götter betreten seit jenem schrecklichen Tag vor fünf Jahren, aber wir wissen, daß zumindest einer der Hohen Satai den Heereszug angeführt hat. Er ist hier!« Sein Zeigefinger stieß so wuchtig auf die Karte herab, als wolle er sie durchbohren. »Und dein Sohn ist bei ihm! Ich weiß es, Skar!«

»Die... die Hohen Satai?« Skar sah verwirrt auf, dann blickte er wieder auf die Karte. »Aber sie... verlassen niemals...«

»Dieser schon!« unterbrach ihn Drask. »Vielleicht hat dein Sohn ihn dazu gebracht, vielleicht ist er auch dein Sohn - alles ist möglich. Der Kriegsherr der Satai ist hier, in diesem Lager, hundert Meilen im Osten. Schon allein seinetwegen würde ich den Angriff riskieren!«

»Wie viele sind bei ihm?« fragte Skar atemlos. Etwas in ihm begann zu arbeiten. Der Kriegsherr der Satai? Einer der Dreizehn Unberührbaren? Wie so vieles, was er in den letzten Tagen erlebt und gehört hatte, war es unvorstellbar. Niemals, niemals! verließen die Hohen Satai den Berg der Götter, oder gar ihre Insel.

»Satai? Nicht viele«, antwortete Drask. »Seine Leibwache: ein Dutzend der besten Krieger, die er hat.«

»Mehr nicht?« fragte Skar zweifelnd. »Dann -«

»Und ungefähr vierzigtausend Quorrl«, fügte Drask ungerührt hinzu. Skar zog es vor, nicht weiter zu sprechen.

»Trotzdem ist es möglich«, fuhr Drask fort. »Ich kann binnen einer Woche genug Krieger zusammenziehen, den Angriff zu riskieren, und wir können ihr Lager erreichen, ehe sie Entsatz erhalten. Aber ich muß dir nicht sagen, welchen Preis wir bezahlen müßten.«

Nein, das mußte er nicht. Skar sah die Szene wie in einer blitzartigen, entsetzlichen Vision vor seinem geistigen Auge: selbst wenn Drasks Truppen die Schlacht gewannen - was nicht gesagt war, denn es waren Quorrl, gegen die sie kämpften, und sie wurden von einem Mann geführt, der wahrscheinlich jeden militärischen Trick und Winkelzug kannte, der jemals ersonnen worden war - selbst dann wäre es eine Schlacht, die die Geschichte Enwors verändern mußte.

»Du könntest es schaffen«, sagte Drask eindringlich. »Du bist Satai. Niemand kennt dich dort im Lager. Es ist gefährlich...« Er schwieg einen Moment. »Nein, ich will dir nichts vormachen. Wahrscheinlich würdest du getötet. Aber du könntest hingehen, ohne entdeckt zu werden. Niemand würde Verdacht schöpfen, bei einem Satai. Du könntest ihn töten.« Er seufzte. »Du oder hunderttausend meiner Krieger, Skar.«

Skars Hände schlossen sich so fest um die Tischkante, daß das zollstarke Holz zu knirschen begann. »Das ist nicht fair«, sagte er gepreßt. »Du... du wirfst das Schicksal einer ganzen Welt in die Waagschale, und verlangst von mir, daß ich entscheide!«

»Fair?« Drask schnaubte. Sein Gesicht verzerrte sich. Für einen Moment sah er wirklich aus wie der uralte Mann, als den Skar ihn kennengelernt zu haben glaubte. Seine Hand ballte sich zur Faust und krachte auf die Karte hinunter. »Fair?« wiederholte er. »Was redest du, Skar? Die Völker Enwors kämpfen um ihr Überleben! Ich kann es mir nicht leisten, fair zu sein. Nicht zu dir oder irgendeinem sonst. Nicht einmal zu mir selbst.« Skar schloß die Augen und versuchte mit aller Macht, an nichts zu denken. Es gelang ihm nicht. Es war einfach nicht fair! hämmerten seine Gedanken. Es war nicht richtig. Drask hatte kein Recht dazu! Wenn es ihm nicht gelang, das Kind zu töten? »Dann verfahren wir nach meinem Plan und greifen das Lager an«, sagte Drask. »Der Einsatz ist hoch, Skar, aber uns bleibt keine Wahl.«

Und wenn er versagte? Wenn er dieses Kind des Schreckens gar nicht töten konnte?

»Du kannst es, Skar«, sagte Drask. »Du mußt es!«

Skars Bewegung kam so schnell, daß selbst Drasks Reaktion zu spät kam; obgleich er im selben Moment wie Skar wußte, was er tun würde. Skar sprang hoch, griff mit beiden Händen über den Tisch und zerrte den Alten so grob in die Höhe und zu sich heran, daß seine Rippen mit einem hörbaren Laut über die Tischkante scharrten. Drask keuchte vor Schmerz.

»Hör auf, meine Gedanken zu lesen«, sagte Skar gepreßt. »Noch einmal, und -«

»Laß... mich... los«, keuchte Drask. Er zappelte hilflos in Skars Griff. »Du... erwürgst mich... ja!«

Skar ließ los. Drask sackte mit einem halberstickten Keuchen zurück, griff sich an den Hals und verfehlte den Stuhl, auf den er sich sinken ließ. Mit einem neuerlichen Schmerzlaut ging er zu Boden und blieb einen Moment stöhnend liegen, ehe er sich umständlich auf Hände und Knie hochstemmte. Was war das in seinem Blick? dachte Skar entsetzt. Wut und Zorn und Furcht - aber auch Triumph. Ein böser, kaum mehr unterdrückter Triumph.

»Damit änderst du nichts, Skar«, keuchte er. Seine Augen flammten, als er zu Skar hochsah, aber es war ein Zorn, der auf sonderbare Weise nicht Skar zu gelten schien, sondern etwas anderem, das er in diesem Moment in ihm sah. »Ich... ich habe dir schon einmal gesagt, daß du dich vielleicht selbst belügen kannst, aber mich nicht.«

Er stand auf, die linke Hand gegen den Hals, die rechte gegen seine schmerzenden Rippen gepreßt, und humpelte auf Skar zu. Sein Haar hing wirr in die Stirn, so daß Skar die große, weiß umrandete Narbe erkennen konnte, die bisher darunter verborgen gewesen war.

»Schlag mich ruhig, wenn es dich erleichtert«, zeterte er.

»Schlag mich, aber danach antworte! Verdammt, stell dich einmal im Leben der Wahrheit!«

»Was... was meinst du damit?« stammelte Skar. Ganz instinktiv wich er ein Stück vor Drask zurück, als wäre er plötzlich der Angegriffene, der sich fürchten mußte.

»Was ich damit meine?« Drask zog eine Grimasse. »Du weißt es wirklich nicht, wie? Du belügst dich selbst jetzt noch! Aber bitte: Ich meine, daß du diesmal nicht davonlaufen kannst, Satai. Diesmal mußt du dich entscheiden, ob es dir gefällt oder nicht!«

»Davonlaufen?« Davonlaufen? Er war niemals in seinem Lehen vor irgend etwas geflohen!

»Jawohl, davonlaufen!« schrie Drask. »So wie du es immer getan hast. Du hast nie eine Entscheidung gefällt, Skar, niemals. Ich weiß, daß du es nicht wahrhaben willst, aber ich kenne dich. Ich kenne dich besser als du selbst, vergiß das nicht! Du hast dich niemals entschieden. Du bist stark, und trotzdem bist du im Grunde nichts als ein elender Feigling, Satai. Und vielleicht ist das auch der einzige Grund deiner Stärke. Du hast immer andere deine Entscheidungen treffen lassen, ist es nicht so? Du hast niemals gesagt, was zu tun ist. Und du hast immer andere den Preis zahlen lassen, wenn du einen Fehler begangen hast. Aber diesmal geht das nicht mehr!«