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Er humpelte auf Skar zu, packte ihn mit seiner dünnen Greisenhand bei der Schulter und schüttelte ihn so lange, bis Skar seinen Arm mit einer wütenden Bewegung beiseite fegte.

»Du redest irre, alter Mann!« sagte er aufgebracht.

»So?« keifte Drask. »Tue ich das? Dann sag mir, wann du jemals für das bezahlt hast, was geschehen ist! Alle sind tot - Vela, Kiina, die Sumpfleute, Del, Herger, selbst die Freisegler, die das Pech hatten, ihr Schiff an dich zu vermieten. Du lebst. Du lebst, weil du es immer verstanden hast, anderen die Verantwortung für dein Tun zuzuschieben, so geschickt, daß du es nicht einmal selbst gemerkt hast. Aber das geht jetzt nicht mehr, Satai! Du bist der Vater dieses Kindes, und du bist der einzige, der es töten kann! Der einzige, verstehst du?« Er schüttelte die Faust vor Skars Gesicht.

»Aber das... das ist nicht wahr!« keuchte Skar. Drasks Worte trafen ihn wie Peitschenhiebe. Etwas in ihm krümmte sich wie ein getretener Wurm. Eisiges Entsetzen griff nach seiner Seele und lähmte ihn. »Das ist nicht wahr!« wiederholte er. »Du -«

»Es ist wahr!« schrie Drask. »Und du weißt es! Aber leugne es ruhig. Meinetwegen geh. Geh!« Er versetzte Skar einen Stoß mit der flachen Hand und deutete wütend zur Tür. »Geh, Satai! Nimm dir ein Pferd und reite fort! Ich werde dich nicht aufhalten! Reite so weit, wie du kannst. Wer weiß, vielleicht entkommst du auch diesmal wieder. Vielleicht findest du eine Ecke, in der dich nicht einmal die Quorrl aufspüren. Steige von mir aus auf den höchsten Berg Enwors und sieh zu, wie sie unsere Welt in Schutt und Asche legen. Aber mach nicht mich dafür verantwortlich!«

»Du lügst!« wimmerte Skar. Es war nicht wahr! Es durfte nicht wahr sein. Vela, Kiina, Del - es war nicht seine Schuld! »Du lügst, alter Mann! Du hast selbst gesagt, daß du es warst, der -«

»Nichts habe ich«, fauchte Drask. »Gar nichts. Ich zwinge dich nur, dich zu entscheiden, das ist alles. Enwor wird untergehen, ob ich ihnen nun den Weg zu deinem Teufelskind zeige oder nicht! Wir haben nur noch eine Chance, und das bist du!« Skar schlug ihn nieder. Seine Faust traf Drask im Gesicht, dicht unter dem linken Auge, ließ die dünne Haut aufplatzen und Blut über seine faltigen Züge rinnen. Drask torkelte mit einem spitzen Schrei zurück, prallte gegen die Tischkante und sank mit einem gepeinigten Wimmern zu Boden, Bruchteile von Sekunden, bevor Skar aus dem Zimmer stürmte und die Tür hinter sich zuwarf.

19.

Skars Zorn verrauchte beinahe so schnell, wie er aufgeflammt war. Er war niemals jähzornig oder gar cholerisch gewesen, und sein plötzlicher Ausbruch entsprang wohl eher der Bestürzung, mit der ihn Drasks Worte erfüllt hatten, als irgend etwas anderem. Er war die Treppe hinuntergestürmt, wobei er beinahe einen von Drasks Dienstboten über den Haufen gerannt hätte, hinaus aus dem Turm und quer über den Hof, aber der Sturm von Gefühlen, der ihn fast blind gemacht hatte, legte sich bereits wieder. Als er den Gebäudetrakt betrat, in dem seine eigene Kammer lag, war die Wut verraucht, die ihn dazu getrieben hatte, Drask zu schlagen.

Zurück blieb nichts als Leere.

Er fühlte sich schlecht, auch und ganz konkret körperlich schlecht. Der Gedanke an das, was er getan hatte, erfüllte ihn mit Übelkeit. Gott, er hatte diesen schwachen alten Mann geschlagen, der doch nichts anderes getan hatte, als um das Fortbestehen seiner Welt zu kämpfen, und auch das Wissen, daß Drask es sich letzten Endes wohl selbst zuzuschreiben hatte, änderte daran nichts. Es war wahrlich keine Heldentat, einen alten Mann zu verprügeln, dessen einzige Waffe Worte waren - die er allerdings meisterhaft beherrschte. Als er die Treppe zu seinem Gelaß hinaufging, war er fast versucht, kehrtzumachen und zu Drask zurückzugehen, um ihn um Verzeihung zu bitten. Aber nur fast. Sein Zimmer war still und dunkel, als er die Tür aufstieß, denn der Diener, der ihn abgeholt hatte, hatte das Licht hinter ihm gelöscht, und die Kammer lag in einem der ruhigsten Teile der gewaltigen Burganlage.

Trotzdem spürte er, daß jemand da war.

Skar blieb wie versteinert stehen. Er hörte nichts, er sah nichts - der Raum hinter der Tür war wie ein schwarzes Loch, das in die Wirklichkeit gestanzt worden war - aber er fühlte die Anwesenheit von... etwas.

Sein überreizter Geist ließ Visionen von kleinen schwarzen Dingen vor seinen Augen entstehen, das Bild von etwas Dunklem, Glänzendem, das sich wie eine gelähmte schwarze Spinne über den Boden auf ihn zuschlängelte... Er lauschte, hörte noch immer nicht den mindesten Laut und trat vorsichtig einen halben Schritt in den Raum hinein. Jeder Nerv in ihm war bis zum Zerreißen angespannt. Ganz langsam hob er die Arme und ballte die Hände zu Fäusten, spannte sich, verlagerte fast unmerklich sein Körpergewicht, um - »Skar?«

Die Stimme war so dicht neben ihm, daß er instinktiv herumfuhr und zum Schlag ausholte.

Erst im allerletzten Moment sah er, wer neben ihm stand, und erst in diesem Augenblick erkannte er die Stimme. Erschrocken fuhr er zusammen, wich ein winziges Stück zurück und entspannte sich.

»Syrr!« sagte er. »Was zum Teufel tust du hier?« Plötzlich begriff er, daß er sie um ein Haar getötet hätte. Eine Sekunde später, und...

»Bist du von Sinnen?!« fuhr er fort, viel lauter und schärfer und voller Zorn. »Fast hätte ich dich erschlagen!«

Der Schatten, der Syrr war, bewegte sich, trat in das blasse Dreieck aus Licht, das durch die Tür hereinfiel, und nun erkannte er auch ihr Gesicht. Sie war bleich, und ihre Augen waren groß und erschrocken und dunkel vor Furcht. Aber es waren nicht seine Worte, die sie so entsetzt hatten. Die Gefahr, in die sie sich selbst gebracht hatte, schien sie gar nicht bemerkt zu haben. »Was tust du hier?« wiederholte er.

»Ich... wollte dich sehen«, stammelte Syrr. »Ich muß... mit dir sprechen.«

Skar blickte sie einen Moment mit einer Mischung aus Erleichterung und Zorn an, dann schloß er die Tür, tastete sich im Dunkeln dorthin, wo er die Lampe wußte, und suchte mit fahrigen Bewegungen nach den Feuersteinen. Eine der kleinen harten Kugeln entglitt ihm und hüpfte mit einem sonderbar lang nachhallenden Klick-Klack in die Dunkelheit davon. Skar fluchte, ging in die Hocke und tastete blind mit den Händen über den Boden. »Warte«, sagte Syrr. »Ich habe einen anderen. Hier.« Er spürte, wie sie sich dicht vor ihm bewegte, stand auf und ertastete ihre Hand, als er den Arm ausstreckte. Unwillig entriß er ihr den Feuerstein, tastete mit der anderen Hand nach der Öllampe und ließ Funken gegen den Docht springen, bis eine kleine gelbe Flamme hochzüngelte und rasch größer wurde. Erst dann drehte er sich wieder zu Syrr um.

»Was willst du hier?« fragte er ungehalten. »Hat Drask dich geschickt?« Er sah, wie sie unter seinen Worten zusammenfuhr, und seine eigene Grobheit tat ihm schon wieder leid. Aber er entschuldigte sich nicht.

»Nein«, antwortete Syrr. »Das heißt... er hat mich nicht geschickt, aber ich bin seinetwegen hier. Auch wenn er nichts davon weiß.«

»Aha«, sagte Skar. »Und was bedeutet das?«

»Ich... wollte dich einfach sehen, Skar«, sagte Syrr leise. »Drask war bei mir und hat gesagt, daß du fortgehen würdest, heute oder morgen, und... und er...« Sie brach ab, kämpfte in einem letzten Rest von Beherrschung die Tränen zurück, die plötzlich ihre Augen füllten, und machte Anstalten, auf ihn zuzutreten, verharrte aber mitten in der Bewegung, als sie seinem Blick begegnete. Die Lampe begann jetzt stärker zu brennen, und Skar sah, daß er sich nicht getäuscht hatte: Auf ihren Zügen lag ein Ausdruck von Furcht, die nichts mit seiner übersteigerten Reaktion zu tun hatte. Sie hatte Angst, beinahe panische Angst. Aber wovor?

Plötzlich spürte er eine heftige Woge von Mitleid, und das Schuldgefühl, das er bisher Drask gegenüber gehabt hatte, empfand er nun für Syrr. Selbst wenn es Drask gewesen war, der sie geschickt hatte - woran Skar keinen Augenblick zweifelte - war es nicht ihre Schuld. Er hatte so lange und so oft kämpfen müssen, daß er manchmal vergaß, daß das Leben nicht nur aus Flucht und Töten oder Getötet werden bestand. Syrr war noch ein halbes Kind, auch wenn sie gelernt hatte, sich wie eine Erwachsene zu benehmen, allein um zu überleben.