Выбрать главу

Er lächelte milde, trat einen Schritt auf sie zu und blieb plötzlich wieder stehen. Der Lampendocht brannte jetzt zur Gänze; trotzdem war es noch immer sehr dunkel in der Kammer. Die Schatten umlagerten ihn und Syrr wie lautlose dunkle Angreifer, die beharrlich an den Rändern des flackernden Lichtkreises nagten, in dessen Zentrum sie standen. Einem Impuls folgend, den er selbst nicht völlig begriff, drehte er sich um, ging zum Fenster und stieß die Läden auf. Das graue Zwielicht der Nacht strömte lautlos ins Zimmer und verscheuchte die Schatten der Angst. Aber nicht ganz.

»Erzähle«, sagte er. »Was ist passiert?«

»Er... er war bei uns«, begann sie stockend. »Heute abend, kurz... kurz bevor die Sonne unterging.«

»Drask?«

Syrr nickte. »Er sagte, du... würdest fortgehen, und wahrscheinlich nicht wiederkommen, und... und ob ich mich nicht von dir verabschieden wollte. Und... und er sagte, wenn du fort bist, dann müssen auch Talin und ich gehen, weil... weil es hier keinen Platz für uns gäbe und... und es wahrscheinlich Krieg geben würde, und...«

»Gehen?« Skar begriff. Natürlich - Drask brauchte weder Syrr noch ihren Bruder. Er hatte ja keinen Hehl daraus gemacht, daß er sie einzig auf die Burg geholt hatte, um Skar einen Gefallen zu erweisen. War er nicht mehr da, gab es keinen Grund mehr für sie, hierzubleiben.

»Vielleicht hat er sogar recht«, murmelte er. »Es wird Krieg geben, weißt du? Wenn die Quorrl kommen...«

»Er hat gesagt, daß sie alle fortschicken werden«, sagte Syrr unsicher. »Das ganze Lager. Alle, bis... bis auf die Männer, die ein Schwert führen können.«

Auch das war nur logisch, dachte Skar bedrückt. Er selbst hätte an Drasks Stelle nicht anders gehandelt. Selbst wenn die Festung nicht fiel, wäre es Mord, all diese Leute dort unten im Lager zu lassen. Trotzdem wuchs sein Zorn auf Drask.

»Hat er gesagt, wohin er sie schicken will?«

Syrr schüttelte den Kopf. Tränen füllten ihre Augen. »Irgendwohin«, schluchzte sie. »Hinter die Berge. Vielleicht nach Malab oder Besh-Ikne oder...« Sie schluckte heftig. Ihre Hände ballten sich zu kleinen, weißen Fäusten. »Ich will nicht weg, Skar«, sagte sie plötzlich. »Ich... ich will hierbleiben. Bei dir.«

»Bei mir? Du hast mich nicht einmal gesehen, während der letzten zwei Wochen, Kind.«

»Aber du warst da«, beharrte Syrr. »Bitte, sprich mit ihm. Sag ihm, daß er uns hierläßt. Ich will nicht fort. Und Talin auch nicht.«

»Und wenn ich wirklich gehe, wie Drask es gesagt hat?«

»Dann kommen wir mit«, sagte Syrr hastig. »Egal, wohin. Talin und ich können dir von Nutzen sein. Wir... wir kennen uns in den Bergen gut aus. Wir können dich führen, Skar. Und wir können kämpfen, wenn es sein muß, das weißt du. Bitte, Skar!« Die letzten beiden Worte schrie sie fast.

»Das ist unmöglich, Kind«, sagte er. »Ich...« Seine Stimme versagte. Es war sinnlos. Syrr wußte alles, was er sagen konnte; all diese leeren wahren dummen Worte, die er ihr entgegengeschleudert hatte, um sie zu verletzen und damit abzuschrecken. Sie würde nichts davon gelten lassen. Plötzlich begriff er, daß Syrr ihm mit offenen Augen selbst in den Tod folgen würde. Und daß es ganz genau das war, was er wollte.

»Ich weiß, daß du mich verachtest, Skar«, fuhr Syrr ganz leise fort. »Aber das... das macht nichts. Laß mich nur in deiner Nähe sein, das reicht. Vielleicht... vielleicht magst du mich ja eines Tages doch, wenn auch nur ein bißchen. Und... und wenn nicht, macht es auch nichts.«

»Aber warum?« fragte Skar verwirrt.

»Weil ich nicht hierbleiben will«, sagte Syrr. »Aber ich will auch nicht mehr allein sein.«

Skar trat wortlos auf sie zu, legte die Arme um ihre Schultern und drückte sie an sich; sehr sanft, aber fest genug, um ihr das Gefühl von Schutz zu geben, das sie von ihm haben wollte. Denn mehr war es nicht. Da war keine Liebe; allerhöchstens ein wenig kindliche Bewunderung für ihn, den Satai. Sie war allein, sie hatte Angst, sie wollte Schutz, und sein Stirnband und das Schwert an seiner Seite versprachen ihn.

Und war es nicht ganz genau das, was auch er wollte?

»Geh mit uns fort, Skar«, flüsterte Syrr. »Bitte. Ich will nicht hierbleiben. Wir... wir könnten uns Pferde stehlen und davonreiten, noch heute nacht. Niemand würde es merken. Nicht, ehe wir nicht weit genug weg wären.« Sie sprach sehr schnell, so daß Skar spürte, daß sie sich jedes einzelne Wort lange überlegt hatte. »Wir haben alles vorbereitet. Ich... ich habe Lebensmittel gestohlen, in den letzten beiden Wochen, immer nur ein bißchen, so daß niemand Verdacht geschöpft hat, und... und Talin hat Sättel und Zaumzeug besorgt. Er arbeitet in den Ställen, weißt du, und er hat gute Pferde für uns ausgewählt, die schnellsten, die da sind, und -«

Skar verschloß ihre Lippen mit einem Kuß. Er spürte, wie sich Syrr in seinen Armen versteifte, und für einen ganz kurzen Moment fühlte er ein fast schmerzliches Verlangen nach ihr. Aber nur für die Dauer eines Herzschlages. Dann erinnerte er sich wieder, daß sie ein Kind war. Sie hätte seine Tochter sein können; sein Enkelkind, wenn er die achtzehn Jahre dazuzählte, die er der Zeit abgetrotzt hatte.

Und trotzdem tat es unglaublich wohl, sie in den Armen zu halten, einfach, weil auch er sich nach nichts so sehr sehnte wie nach ein bißchen menschlicher Wärme und Zuneigung.

Es war ein Moment sonderbarer Klarheit: Alles schien unwichtig zu werden. Drask, die Quorrl, sein eigenes Schicksal - selbst das der ganzen Welt. Das hier war es, was er wollte, sonst nichts. Einen Menschen, der ihm Vertrauen entgegenbrachte, ein wenig Wärme, Frieden...

Vielleicht hatte Drask ihm den richtigen Weg gewiesen, ohne es zu ahnen. Was ging ihn das Schicksal der Welt an? Wenn er wirklich nur ein Werkzeug war, ein winziges Rädchen in einer ungeheuer großen Maschine, dann spielte es überhaupt keine Rolle, ob er da war oder nicht.

Und er verstand noch mehr. Jetzt, als seine Erregung allmählich verging, begriff er, daß auch Drasks scheinbarer Ausbruch nichts als ein Teil eines akribisch vorbereiteten Planes gewesen war. Er hatte Skar all seine verletzenden Worte nicht im Zorn entgegengeschleudert, wie er ihn hatte glauben machen wollen. Skar war fast sicher, daß der Alte niemals etwas dem Zufall überließ; und schon gar nicht seine eigenen Worte. Nein - er hatte all dies, jedes einzelne Wort, bis ins Kleinste vorausberechnet. Es war ein Teil des Spieles, ein neuer, überraschender Zug, der Skar weiter in die Enge treiben sollte, bis ihm keine andere Wahl mehr blieb, als genau das zu tun, was Drask von ihm erwartete. Ebenso, wie er Syrr hierhergeschickt hatte.

Und vielleicht war dies sein erster Fehler gewesen.

»Talin«, fragte er. »Wo ist er?« Sein Gesicht war dem Syrrs noch immer sehr nahe, seine Arme umschlossen sie, seine Hand streichelte ihre Schultern. Er spürte ihre Nähe, ihre Wärme und den Wohlgeruch ihres Haares. Und doch war es nur eine väterliche Geste. Irgendwie... ja, irgendwie liebte er sie wohl, aber nicht so, wie ein Mann eine Frau, sondern so wie ein Bruder, vielleicht wirklich wie ein Vater. Es waren seine Beschützerinstinkte, die Syrr weckte, nicht den Mann in ihm. Aber war das nicht genug?

»Er wartet auf uns«, antwortete Syrr. »Unten in den Ställen.« Ein schwacher Funke von Hoffnung glomm in ihren Augen auf. Ihr Griff verstärkte sich.

»Du... du kommst mit uns?« fragte sie.

Es war Wahnsinn. Er wußte, daß es nicht funktionieren konnte. Selbst wenn sie das Unmögliche schafften und aus der Burg entkamen, und selbst wenn sie darüber hinaus die Berge überwinden und den Quorrl entkommen sollten - irgendwann würde sie die Wirklichkeit einholen. Es war ein Traum, den Syrr ihm anbot - aber er wollte ihn. Er wollte einfach nicht mehr kämpfen. Er wollte nicht mehr töten, nicht seinen Sohn, nicht irgendwelche Quorrl, nicht einmal die Sternengeborenen. Enwor... Was war er diesem Wort schuldig? Es war seine Welt, aber was hatte sie ihm schon gegeben, außer einem Leben voller Schmerzen und Leid und immer neuer Furcht, außer Entsetzen und Verbitterung? Zum Teufel, sollte es doch untergehen! »Ja«, sagte er. »Wahrscheinlich werden wir alle dabei sterben, aber wir versuchen es.« Ein Teil von ihm schrie ihm noch immer zu, daß er den Verstand verloren hatte, daß er das Unmögliche wollte. Aber er hörte nicht auf diese Stimme. Vielleicht waren es nur Tage, die sie dem Schicksal abtrotzen konnten, vielleicht auch Wochen, ein Jahr... sicherlich nicht mehr. Und trotzdem war er bereit, alles zu opfern, für dieses eine Jahr voller Frieden. Drask hatte sich getäuscht. Er hatte ihm die Wahrheit gesagt, oder das, was er dafür hielt, aber seine Worte hatten Skar tiefer und nachhaltiger getroffen, als er auch nur hatte ahnen können. Sie hatten irgend etwas in ihm zerstört. Wenn es so war, dachte er, wenn der Alte recht hatte und sein Leben immer nur darin bestanden hatte, wegzulaufen, dann wurde er jetzt vielleicht zum ersten Mal konsequent sein. In diesem einen, flüchtigen Moment war Skar willens und bereit, alles zu opfern für einen Traum. Vielleicht war dies seine Bestimmung, und nicht, die Welt zu retten.