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Selbst jetzt erschien ihm der Gedanke noch absurd. Irgend etwas in ihm war der unerschütterlichen Überzeugung, daß es nicht gut gehen konnte, ganz gleich, wie sorgsam sein Plan vorbereitet war, und daß er nur den Tod und sonst gar nichts finden würde. Er achtete nicht auf diese Stimme. Vielleicht hatte sie recht, aber selbst wenn - es war egal. Ob er das Kind nun fand und tötete oder ob er vorher gestellt und umgebracht wurde, es würde vorbei sein, so oder so, und das allein zählte.

Drask kam zurück. Er lächelte wie ein Mann, der eine sehr schwierige Aufgabe zu seiner vollen Zufriedenheit gelöst hatte, und auf seiner Stirn perlte ein Netz feiner Schweißtröpfchen. Seine Hände zitterten leicht.

»Sie ist bereit«, sagte er.

Skar nickte. »Ich dachte immer, nur die Errish verstünden sich darauf, Daktylen zu reiten«, sagte er ohne echtes Interesse. »Wie hast du sie gezähmt?«

»Gar nicht«, antwortete Drask ernst. »Dir bleibt nicht viel Zeit, Skar. Zwei Stunden, vielleicht drei... Es ist leicht, den Geist von Tieren zu beeinflussen, aber die Daktylen sind ungeheuer wild. Sie wird dich hinbringen, und sie wird dich sicher absetzen. Aber sobald du von ihrem Rücken steigst und sie freiläßt, wird sie davonfliegen.« Plötzlich klang er sehr ernst. »Du hast nur eine einzige Chance, Skar. Geh sorgsam damit um.«

»Und wie finde ich den Weg?«

»Das mußt du nicht.« Drask machte eine vage Geste nach Norden. »Sie kennt ihr Ziel. Du mußt nur den Ort bestimmen, an dem sie landet.« Er schwieg einen Moment. »Wir werden uns nicht wiedersehen«, sagte er dann, sehr leise und mit einer Spur von Trauer in der Stimme, die Skar überraschte. Er hatte Drask für einen zynischen alten Mann gehalten, und daran änderte sich auch jetzt nichts, aber er begriff plötzlich, daß er sich trotzdem noch einen Rest menschlicher Empfindungen bewahrt hatte. »Bist du es nicht gewohnt, Männer in den Tod zu schicken?« fragte er.

Drask schüttelte den Kopf. »Nicht so. Du hast keine Chance. Nicht einmal dann, wenn du Erfolg hast. Gerade dann nicht.« Skar starrte ihn an. Es hätte tausend Dinge gegeben, die er antworten konnte, und vielleicht war jetzt der letzte Augenblick, Drask ein wenig von dem Schmerz heimzuzahlen, den er ihm zugefügt hatte. Aber dann lächelte er statt dessen nur, hob zum Abschied die Hand und ging mit raschen Schritten auf die Daktyle zu.

Das Ungeheuer starrte ihm aus seinen kleinen tückischen Augen entgegen, und wieder spürte Skar seine Wildheit und Kraft mit fast körperlicher Intensität. Der riesige Schädel der Bestie ruckte herum, ragte plötzlich drei, vier Meter über Skar empor und spaltete sich, als das Ungeheuer den Schnabel öffnete, um einen weiteren, in den Ohren schmerzenden Schrei auszustoßen. Skar ging mit ruhigen Schritten weiter. Ein Teil von ihm hatte Angst, eine ganz instinktive Angst vor diesem geflügelten Giganten, dessen Kraft und Mordlust seine Vorstellungskraft überstieg, aber ein anderer, stärkerer Teil spürte auch den Haß und die Wildheit, die die Seele aller Drachen waren, und begrüßte sie mit einem freudigen Aufschrei. Es war, als verbände sich ein Teil ihrer Seelen zu einem gemeinsamen Ganzen, einem finster lauernden Ding, das vom Tag seiner Geburt an in Skar gewesen war. Das, was er seinen dunklen Bruder genannt hatte. Vielleicht war es der Daij-Djan, der in ihm lauerte. Es war gleich. Skar hatte keine Angst mehr vor ihm. Er würde mit ihm sterben.

Ohne zu zögern bückte er sich unter einer der gewaltigen schwarzen Schwingen hindurch, griff nach dem Zaumzeug der Daktyle und zog sich mit einer kraftvollen Bewegung in den Sattel, der auf dem Rücken des gigantischen Wesens festgeschnallt war. Das Ungeheuer knurrte unwillig. Sein Körper zuckte, und Skar rechnete fast damit, daß es wie ein bockendes Pferd versuchen würde, ihn abzuwerfen. Dann merkte er, daß die Daktyle nur versuchte, sein Gewicht in die richtige Lage zu rücken, und hörte auf, sich zu wehren.

»Bist du soweit?« Drasks Stimme drang wie von weit her zu ihm. Er sah die Gestalt des Alten als weißen Schemen vor dem finsteren Hintergrund der Mauer, hob kurz die Hand und stieß zweimal hintereinander die Faust in die Luft, zum Zeichen, daß er verstanden hatte und bereit war. Drask antwortete etwas, das er nicht verstand. Aber einen Augenblick später fühlte er, wie sich die Fesseln der Daktyle lösten. Das Ungeheuer stieß ein schrilles, unglaublich lautes Kreischen aus, richtete sich schwerfällig auf und entfaltete die Flügel. Skars Hände schlossen sich fester um das Zaumzeug. Es war nicht das erste Mal, daß er auf einer Daktyle flog. Er wußte, daß der Start der gefährlichste Moment war, nicht nur für das Tier selbst, sondern auch und vor allem für seinen Reiter. Plötzlich hatte er doch Angst.

Das Ungeheuer schüttelte seine federlosen schwarzen Schwingen, warf den Schädel in den Nacken, so daß Skar sich hastig ducken mußte, um nicht von dem gigantischen Hammerkopf getroffen und aus dem Sattel geschleudert zu werden, und lief los. Seine unglaubliche Größe ließ seine Schritte langsam und schwerfällig erscheinen, aber sie waren weder das eine noch das andere. Mit drei, vier raschen Schritten war die Daktyle am Rand der Turmplattform angelangt, übersprang die brusthohe Wehr, ohne auch nur den Rhythmus ihrer Bewegung zu ändern, und stürzte sich mit weit ausgebreiteten Schwingen in die Tiefe. Skar war plötzlich ganz froh, daß die Nacht so dunkel war und er nur Schemen von seiner Umgebung wahrnehmen konnte. Trotzdem schrie er vor Schrecken und Furcht, als die Daktyle ihren rasenden Sturz begann. Die Burgmauer ragte hinter ihm in den Himmel hinauf, und der Fluß war nicht mehr als ein mattglänzendes Band aus zerkratztem Silber, unendlich tief unter ihnen, aber der Drache stürzte schnell, rasend schnell, und seine Geschwindigkeit nahm immer mehr zu.

Skar klammerte sich an die Zügel, preßte gleichzeitig mit aller Kraft die Schenkel zusammen und beugte sich über den schuppigen Hals des Tieres, um dem Wind möglichst wenig Widerstand zu bieten. Die Daktyle schrie wieder, spreizte die gewaltigen Flügel, zog sie plötzlich ganz eng an den Leib und wurde dadurch noch schneller. Der Fluß sprang mit einem gewaltigen Satz auf sie zu. Dann entfaltete sie Ihre Titanenflügel wieder.

Der Ruck schleuderte Skar fast vom Rücken des Tieres. Aus dem fast senkrechten Sturz der Daktyle wurde ein erst sehr sanfter, dann immer enger werdender Bogen, dessen Schnittpunkt entsetzlich dicht über dem tobenden Fluß lag.

Dann stiegen sie wieder. Die Schwingen des schwarzen Giganten peitschten die Luft, trugen seinen geschuppten Schlangenkörper mit scheinbar schwerfälligen, schaufelnden Bewegungen wieder nach oben und schlugen immer schneller. Der Fluß und das Lager an seinem Ufer huschten wie weiße Lichtflecke unter ihnen weg, schmolzen mit absurder Schnelligkeit zusammen und verschwanden schließlich ganz, als der riesige Drache in den Himmel hinaufstieß und sich nach Norden wandte.

Mehr als zwei Stunden später erreichte der Drache das Lager. Skar sah es, lange ehe es wirklich unter ihm lag; ein ungeheuerliches Meer aus unterschiedlich großen Lichtern breitete es sich auf der Ebene aus, auf der einen Seite längs einer hart gezogenen, halbrunden Linie endend, wo es an die Berge grenzte, zur Wüste hin allmählich zerfransend, wie ein Schwarm kleiner leuchtender Tierchen, der ein Stück weit in die finster daliegende Ebene vorgedrungen war, ehe er ganz allmählich zur Ruhe gekommen war. Obwohl Drask es ihm gesagt hatte und er auf den Anblick vorbereitet gewesen war, erschütterte er ihn, denn das Bild der tausend und tausend und tausend blinzelnder kleiner Feueraugen führte ihm den ganzen Wahnsinn seines Vorhabens vor Augen. Dort unten lagen vierzigtausend Quorrl, vierzigtausend Giganten, von denen jeder einzelne dreimal so stark war wie ein normaler Mann, und von denen ihn jeder einzelne mit Freuden zerreißen würde.