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Sie war in Uxbridge als Barbara Wheeler »irgendwann in den späten fünfziger Jahren« geboren worden, wie sie den Leuten mit gespielter Scheu weismachte. Ihr Vater war Vorarbeiter beim Eisenbahnbau, ihre Mutter plagte sich mit dem Haushalt. Sie hatte noch fünf Geschwister, und Barbara war die einzige, die zur Schönheit herangewachsen war. Die ganze Familie war in einem winzigen Häuschen direkt an der Straße zusammengepfercht gewesen. Barbara hatte sich mit ihren beiden Schwestern, die inzwischen auch Sklavinnen ihrer eigenen Haushalte geworden waren, ein Badezimmer geteilt und den geringen ihr zur Verfügung stehenden Platz und ihre Habseligkeiten mit Zähnen und Klauen verteidigen müssen. Sie hatte sich über die billigen Klamotten und Kosmetika ihrer Schwestern lustig gemacht und die Nase gerümpft, wenn sie sich mit Duftwässerchen von Woolworth's einsprühten. Mit fünfzehn hatte sie angefangen zu stehlen - Cremes, Parfüm und Lotionen - und die Preisschilder abgemacht. Sie wußte genau, daß niemand zu Hause je von diesen Markenartikeln gehört hatte.

Ihre Schwestern waren Arbeiterinnen in der örtlichen Süßwarenfabrik geworden, sie hatte eine Stelle als Registratorin in einer Anwaltskanzlei angenommen. Für sie war das die erste schmale Sprosse auf der schlüpfrigen Leiter, die sie aus einer heruntergekommenen und häßlichen Umgebung in die strahlende Welt des Mittelstandes führen sollte. In eine Welt, in der man nicht in einen Park gehen mußte, in dem Kinderhorden kreischten und Hunde nach einem schnappten, wenn man Wiesen und Bäume sehen wollte, sondern sich in einem eigenen üppigen Garten vergnügen konnte. In der Leute ihre Kleider wuschen, bevor sie schmuddelig aussahen, und sich Männer mit einem Händedruck begrüßten, während die Frauen ihre gepuderten Wangen aneinander streiften.

Barbara war nicht besonders intelligent, aber sie war raffiniert, arbeitete hart, ohne zu klagen, und hielt den Mund geschlossen, dafür die Augen offen. Sie fing damit an, sich in einem größeren Kaufhaus in Slough mit Kleidern zu bedienen - dabei traf sie jedesmal eine sorgfältige Auswahl und ahmte den Stil nach, den sie bei der frisch verheirateten Tochter des älteren Anwaltpartners gesehen hatte. Auf diese Weise schlug sie sich bis kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag durch. Sie war noch immer Jungfrau, zum Teil, weil sie noch niemandem begegnet war, der ihr gut genug gefiel, aber hauptsächlich bildete sie sich ein, sie könnte einem passenden Freier ihre Jungfräulichkeit als Wiedergutmachung für ihre schäbige Herkunft anbieten. Natürlich sprach sie nie über ihre Vergangenheit, aber sie lebte in ständiger Angst, die gönnerhafte Förderung, die sie in der Anwaltskanzlei erfuhr, könnte ihre Mängel an die Oberfläche schwemmen.

Alan Cater, der als Referendar in die Kanzlei eintrat, fing an ihrem achtzehnten Geburtstag mit seiner Arbeit an. Er war groß, blond, hatte blaue Augen und rauchte dünne braune Zigarillos. Er fuhr einen roten Cobra Sportwagen und trug eine vergoldete Uhr. Er lächelte oft, besonders wenn er Barbara ansah. Er berührte sie auch - ganz beiläufig, so daß niemand Anstoß daran nehmen konnte. Er legte die Hand auf ihre Schulter oder schlang den Arm um ihre Taille, wenn sie nebeneinander vor dem Aktenschrank standen. Sie erschrak selbst über die angenehme Erregung, die sie in seiner Nähe spürte, verlor aber kein Wort darüber. Dabei merkte sie nicht, daß ihr beschleunigter Atem und ihr gerötetes Gesicht alles verrieten.

An einem Sommerabend verließ er etwas später als gewöhnlich das Büro. Er wollte von der Arbeit aus direkt auf den Tennisplatz und mußte sich im Waschraum umziehen. Barbara machte immer erst Feierabend, wenn er auch ging. Sie hatte inzwischen einen Abendkurs als Stenotypistin absolviert und deckte gerade ihre Schreibmaschine ab, als er in Shorts und Tennishemd aus dem Waschraum kam. Alle anderen waren schon weg. Er stellte sich vor sie und sah sie lange an - erst musterte er ihr Gesicht, dann wanderte sein Blick langsam weiter. Er schloß die Tür ab und gestand ihr, daß er sich schon lange nach diesem Augenblick gesehnt habe. Barbara wurde ganz schlecht vor Aufregung. Er stand ganz dicht bei ihr, raunte: »Soll ich dir zeigen, was du mit mir gemacht hast?« und führte ihre Hand. Als er ihre Bluse aufknöpfte - in den Sekunden, ehe ihr die Sinne vollends schwanden -, entstand ein bezauberndes Bild vor Barbaras geistigem Auge: Sie sah sich in einem weißen Kleid auf der Schwelle einer hübschen Dorfkirche stehen, und Alan in einem Smoking war an ihrer Seite. Nach der Zeremonie würde es Champagner geben und eine dreistöckige Hochzeitstorte.

»Du bist sehr hübsch, Liebling.« Er hakte ihren BH auf. »Komm schon - was ist los? Du willst mir doch nicht erzählen, daß das für dich überraschend kommt, oder?«

»Ich habe so weiche Knie ...«

»Das haben wir gleich. In Ruperts Büro steht eine Couch. Und es gibt einen Spiegel.«

Sie gingen Arm in Arm in Ruperts Büro, die Bluse und den Büstenhalter ließen sie auf ihrer Schreibmaschine liegen. Sie legten sich auf die Couch gegenüber dem Spiegel und dem mit Gardinen verhangenen Fenster zur Straße. Als sie fast ganz nackt war, drohte Alan, die Gardine aufzuziehen. Das hätte sie eigentlich in Alarmbereitschaft versetzen müssen, aber die Drohung steigerte ihre Erregung nur noch mehr. Er schien genau zu wissen, was er tun mußte. Es tat nur ein ganz klein bißchen weh und war längst nicht so schmerzhaft, wie die Leute immer behaupteten - es war nur viel zu schnell vorbei. Sie wollte mehr, und er gab ihr mehr. Nach etwa einer Stunde klopfte jemand an die Außentür. Alan lächelte und legte einen Finger auf ihre Lippen, Barbara saß mit gespreizten Beinen auf seinem Schoß und sah, wie ein Mädchen im Tennisdreß und langem, von einem Tuch zusammengehaltenem Haar am Fenster vorbeiging.

Es war kurz vor neun, als sie schließlich ihre Sachen zusammensammelten und gingen.

Nach dieser Begegnung trafen sie sich noch oft, gewöhnlich spät am Abend. Alan erklärte ihr, daß er sein Studium nicht vernachlässigen dürfe und nach der Arbeit erst noch lernen müsse. Er fuhr mit ihr ins Grüne und fand meistens ein abgeschiedenes Plätzchen, und wenn das Wetter schlecht war, blieben sie in seinem Auto. Sie nahm ihn nie mit in ihr winziges möbliertes Zimmer und erzählte ihm, um unangenehmen Fragen rechtzeitig vorzubeugen, daß sie eine Waise sei. An den Abenden, an denen sie sich nicht sahen, fand sie keine Ruhe und verzehrte sich vor Sehnsucht nach ihm. Im Büro benahm er sich äußerst korrekt ihr gegenüber und zwinkerte ihr nur gelegentlich zu, wenn niemand sonst in der Nähe war. Einmal, als sie kurz allein im Zimmer waren, stellte er sich hinter ihren Stuhl und ließ seine Hand unter ihre Bluse gleiten.

Im Winter entdeckte sie, daß sie schwanger war. Sie war nervös, als sie ihm davon erzählte - fast so, als wäre es allein ihre Schuld. Sie beendete ihr Geständnis mit der Frage, was seine Eltern wohl dazu sagen würden. Er sah sie ungläubig, ja fassungslos an, dann grinste er belustigt und umarmte sie flüchtig. »Keine Sorge, wir regeln das schon irgendwie.« Am Ende der Woche rief Rupert Winstanley sie in sein Büro und gab ihr die Adresse einer Privatklinik in Saint John's Wood und einen Scheck über hundertfünfzig Pfund. Sie sah keinen der beiden jemals wieder.

Sie ließ die Abtreibung vornehmen, viel zu durcheinander und einsam, um über andere Möglichkeiten nachzudenken. Heute würde sie sich selbstverständlich anders entscheiden und die Mistkerle nach Strich und Faden ausnehmen. Wenn sie schon nicht ihren Respekt, ihre Bewunderung oder ihre Liebe gewinnen konnte, dann wollte sie wenigstens deren Geld.

Einen Monat nach ihrem Klinikaufenthalt arbeitete sie in einem Supermarkt und füllte tagsüber die Regale mit neuen Waren auf. Eines späten Abends klopfte jemand an ihre Zimmertür. Sie öffnete einen Spalt. Ein Mann, der nach Eau de Cologne und Bier roch, stand vor ihr. Er trug einen Blazer mit Abzeichen, eine gestreifte Krawatte und graue Flanellhosen. »Ha ... ll... o«, sagte er und beäugte sie von oben bis unten.