Выбрать главу

»Sie... demnach haben Sie etwas gefunden, Sir?« fragte Troy.

»Ich weiß nicht recht... es ist zwar alles etwas verrückt... aber so muß es gewesen sein. Ich kann nur noch nicht sehen, wie sich der ganze Vorfall abgespielt hat.«

Dann wären wir also wieder mal soweit, sagte sich Troy im stillen. Das tat dieser Blödmann ihm jedesmal wieder an, wenn er glaubte, ein Fall stünde kurz vor der Aufklärung. Er meinte dann immer, daß sämtliche Informationen, die sie bislang zusammengetragen hatten, für Troy genauso verfügbar seien wie für ihn, weshalb der Sergeant auch zu den gleichen Schlüssen kommen müsse. Die Tatsache, daß diese Bemerkung völlig stichhaltig war, schmälerte Troys Verdruß nicht gerade, und es ärgerte ihn maßlos, daß er sich das immer wieder anhören mußte. Jetzt fiel ihm auf, daß Barnaby ihn ganz merkwürdig ansah. Dann kam der Chef zu seinem Erschrecken um den Tisch herum, beugte sich vor und brachte seine Lippen ganz dicht an das eine Ohr seines Sergeants. Verflucht und zum Teufel, dachte Troy und machte sich bereit, mit einem Satz zur Tür zu springen. Was sollte das nun wieder bedeuten? Barnaby bewegte den Mund, hauchte matt und kehrte zu seinem Stuhl zurück. Troy holte ein Taschentuch hervor und wischte sich das Gesicht ab.

»Nun, Sergeant«, erkundigte sich Barnaby auf eine segensreich maskuline und unverführerische Art. »Was habe ich gesagt?«

»Dilettant, Sir.«

»Aaahh...« Sein Ausatmen geriet zu einem langgezogenen Laut der Befriedigung. »Fast, Troy. Gut geraten. Fast... aber eben nicht ganz.«

Dilettant? dachte der Sergeant. Dilebant? Diletat? Delirant? Oder wie wäre es mit Dilemma? Genau, das mußte es sein. Das Ganze war ja auch eher ein Dilemma. Oder sollte es Delusion sein? Genau, das paßte, das Rasiermesser sollte ja eigentlich nur eine Illusion sein. Aber das ging vom Wort her nicht. Also vielleicht eher so etwas wie Delirant? Das klang schon besser. Aber was sollte es bedeuten? Als ihm nichts weiteres in den Sinn kam, beschloß Troy trotzdem, bei Delirant zu bleiben. Er sah zu Barnaby hinüber, der inzwischen in eine Trance versunken zu sein schien. Er starrte über Troys linke Schulter, und jeder Funke von Intelligenz war fast vollständig aus seinen Augen verschwunden.

Aber in seinem Geist arbeitete es. Wie ein Schachspieler rückte er die Figuren über das Brett. Setzte sie abwechselnd auf die schwarzen Quadrate (die Kulissen, die Bühne und die Garderoben) und auf die weißen (die Beleuchterkabine, der Vereins-und der Zuschauerraum). Er schmiedete wahrscheinliche und unwahrscheinliche Bündnisse und brütete über mögliche Konsequenzen. Er stellte sich seine Verdächtigen spiegelbildlich vor und hoffte dadurch, ein bekanntes Gesicht in einem fremden Umfeld wiederzuerkennen. Und allmählich gelangte er, indem er ungewohnte Perspektiven einnahm und unwahrscheinliche Verknüpfungen herstellte, bizarre Einblicke erhaschte und sich bestimmte Unterhaltungen auf diese Art mühsam wieder ins Gedächtnis zurückrief, zu einer äußerst brauchbaren Hypothese. Sie paßte sehr gut, war absolut einleuchtend und psychologisch fundiert. Sie erklärte (fast) alles und hatte nur einen kleinen Schönheitsfehler. So, wie die Dinge im Moment standen, konnte das, was bei seiner Hypothese herauskam (eben wer Esslyn Carmichael ermordet hatte und warum), der Wahrheit unmöglich auch nur nahekommen. Über diese Tatsache murrte er laut.

War wohl wieder mal nichts, dachte Troy, der sich immer noch über seine Unfähigkeit ärgerte, Barnabys früheren Einsichten folgen zu können. Nun rumorte der Chef wieder. Er grummelte und grummelte und brummte und brummte.

»Es mußte ein Publikum geben, Troy. Wir haben die Sache bislang vom falschen Blickwinkel aus betrachtet. Es war kein Berufsrisiko, es war ein existentielles. Also mußte jeder sehen, was er tat...«

»Was? Carmichael?«

»Nein, natürlich nicht. Benutzen Sie doch Ihren Verstand.« Barnaby nahm einen Stift und begann zu schreiben. »Und schauen Sie nicht so beleidigt drein«, versetzte er noch. »Denken Sie lieber nach, Mann!«

Während Troy also nachdachte, betrachtete Barnaby minutenlang die Zeiten, Namen und Positionen, die er sich notiert hatte. Wenn jeder zu dem erklärten Zeitpunkt dort gewesen wäre, wo er angegeben hatte, und wenn jeder dort auch das getan hätte, was er behauptete, dann saß er ganz schön in der Klemme. Also mußte jemand lügen. Klar. Das erwartete man ja schließlich von einem Mörder. Aber wenn du ein Theater voller Leute hast, die bereit sind, zu dem zu stehen, was sie mit ihren eigenen Augen gesehen haben, dann kommst du nun mal nicht weiter. Und schon gar nicht, wenn zwei dieser Augen deine eigenen gewesen sind.

Dennoch wußte er, daß er mit seiner Annahme recht hatte. Er wußte es mit seinem Blut und seinen Knochen. Im Lauf der Jahre war er schon zu oft bei einem Fall an genau diesen Punkt gelangt, und daher konnte er sich einfach nicht irren. Details konnten undeutlich sein, Praktiken ungeeignet, Methoden völlig daneben, aber er wußte einfach, wie es gewesen war. In seinem Hinterkopf prickelte es, und trotz des überhitzten Büros kroch ihm die Kälte über den Nacken. Er wußte genau, was los war, und dennoch, er konnte nichts unternehmen.

»Oh, verdammte Scheiße, Troy!« Der Sergeant sprang auf, als Barnabys Faust auf den Tisch hämmerte. »Ich habe mich verrannt. Niemand kann an zwei Orten gleichzeitig sein... oder?«

»Nein, Sir«, antwortete Troy und fühlte sich plötzlich wieder auf sicherem Boden. Es gefiel ihm ganz gut, Barnaby so verstört zu sehen. Man konnte nicht dauernd gegen soviel Überlegenheit antreten. Aber jetzt standen sie beide wieder ohne einen verdammten Anhaltspunkt da. Er beobachtete das aufgebrachte Stirnrunzeln und den verbissenen Kiefer seines Chefs. Jetzt konnte jede Minute das kleine braune Fläschchen erscheinen. Und da war es auch schon. Der Chefinspektor schüttelte zwei Tabletten gegen Magenverstimmung heraus und schluckte sie mit etwas kaltem Kaffee hinunter. Dann setzte er sich wieder hin und starrte so lange auf sein Stück Papier, bis die dichtgedrängten schwarzen Buchstaben schließlich keinen Sinn mehr ergaben.

»Das ist der Punkt«, gestand er Troy, »an dem ich um ein Wunder beten würde, wenn ich religiös wäre.«

Und so ungerecht wie der Lauf der Welt nun einmal ist, in der ein Mönch sein Leben lang auf den Knien hocken und beten kann und niemals im Leben ein Bröckchen vorgeworfen bekommt, sollte Tom Barnaby, manchmal profan, halbwegs anständig und doch jemand, der auch häufig mal am Wegesrand strauchelte, sein Wunder bekommen. Dring, Dring. Er nahm den Telefonhörer ab. Es war David Smy. Barnaby hörte ihm einen Moment lang zu, dann fragte er: »Bist du dir auch ganz sicher?« und legte schließlich den Hörer wieder auf.

»Troy«, erklärte er und präsentierte ihm einen überwältigten Gesichtsausdruck. »Wenn das alles vorbei ist, erinnern Sie mich daran, einen ordentlichen Scheck für einen wohltätigen Zweck zu stiften.«

»Wieso denn das, Chef?«

»Glückliche Zufälle wie dieser müssen bezahlt werden, Sergeant. Andernfalls wird derjenige, wer immer es auch ist, der sie einem schickt, sauer.«

»Also, was hat er denn nun gesagt? Wer auch immer es war.«

»Wie Sie sich gewiß erinnern«, sagte Barnaby mit einem so breiten Lächeln, daß es fast bis zu seinen Ohren reichte, »hatte David den Eindruck, daß irgend etwas mit dem Tablett nicht stimmte, als er es gegen Ende des Stücks vom Requisitentisch genommen hat.«

»Aber er hat es genau beschrieben, und daran war nichts Merkwürdiges.«

»Richtig. Aus seiner Aussage geht hervor, daß es etwa fünf Uhr gewesen sein muß, als er seine eigenen Requisiten noch einmal kurz überprüft hat. Nun - das Rasiermesser, das Young mitgebracht hatte und das der Ermordete benutzt hat, um sich die Kehle durchzuschneiden, hatte ein Perlenmuster aus Blumen und Blättern auf der einen Seite des Griffs und eine kleine Reihe aus silbernen Nieten auf der anderen. Als David Smy in die Kulissen gekommen ist, hatte er das Gefühl, es wäre etwas Merkwürdiges an dem Messer, weil es mit der verzierten Seite nach unten auf seinem Tablett gelegen hat und er daher die Nieten sehen konnte.«