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Sie schüttelte die beiden Bettvorleger im Garten aus und bemerkte, wie abgenutzt der dunkelrote türkische mit dem blauen Muster schon war. Sie rollte die Teppiche zusammen und stopfte sie in die Mülltonne. Dann trug sie die Bettwäsche nach unten und legte sie neben die Eingangstür. Sie würde die Laken und Bezüge waschen und dann zur Heilsarmee bringen. In der nächsten Stunde war sie ausschließlich damit beschäftigt, zu putzen und zu wischen, bis das ganze Zimmer glänzte und nach Bohnerwachs und Fensterreiniger roch. Sie packte Mr. Tibbs’ Haarbürste mit dem Schildpattgriff zusammen mit dem Kamm und dem ledernen Man-schettenknopfetui in eine Kommodenschublade. Dann lehnte sie sich gegen das Fensterbrett und seufzte mit einem klitzekleinen Anflug von Befriedigung.

Das Zimmer sah jetzt sauber und ordentlich aus. Einem zufälligen Besucher wäre es sehr unpersönlich vorgekommen. Dierdre beendete ihre Arbeit damit, daß sie den Staub von den Bildern wischte. Es waren zwei Corot-Reproduktionen, die von einem Text (VERTRAUE DEM HERRN) umgeben waren, und ein Bild von Stiefmütterchen und Weizenähren. Dann gab es noch Das Liebt der Welt. Dierdre wedelte den Staub von den ersten drei Bildern in situ ab, dann nahm sie das Gemälde von Holman Hunt von der Wand und betrachtete es nachdenklich. Als sie noch ein Kind gewesen war, hatte diese Figur ihr Trost gespendet, wenn sie Sorgen und Kummer hatte. Wenn sie schlief, war diese Gestalt ihr liebender Wächter gewesen, aber nun kam es ihr so vor, als sei darauf bloß ein sentimentaler Träumer abgebildet, ein ohnmächtiger Erlöser, der in einer Flut aus fadem, gelbem Licht stand. Sie kämpfte gegen das Mitleid an, das sie früher immer ergriffen hatte, wenn sie die Dornenkrone sah; sie kämpfte gegen den falschen, heimtückischen Trost.

Dierdre rannte die Treppe hinunter, hielt das Bild beinahe auf Armeslänge von sich weg, eilte durch die Küche in den Garten, hob ein weiteres Mal den Deckel der Mülltonne und ließ Das Licht der Welt hineinstürzen. Nachdem sie den Deckel wieder auf die Tonne gelegt hatte, wandte sie sich sofort ab, so als könne der sanfte, vergebungsvolle Blick sich durch das Metall bohren und sie treffen. Sowie sie wieder nach oben ging, ließ die positive Energie, das ermutigende Gefühl, daß sie ihre Aufgabe gut machte, nach und fiel von ihr ab. Als sie dann den kahlen Raum sah, aus dem sie alle Spuren ihres Vaters beseitigt hatte, war Dierdre schrecklich zumute. Sie hatte sich verhalten, als sei ihr Vater gestorben und als würden die Erinnerungen an ihn nur Schmerz und niemals Trost bringen. Sie entschuldigte sich laut bei ihm, so als würde er sie hören können, nahm dann Haarbürste, Kamm und Manschettenetui und legte diese Gegenstände wieder auf den Bambustisch. Daraufhin lief sie erneut in den Garten und holte das Bild aus der Mülltonne.

Sie stand unschlüssig und frierend in der kalten Luft und hielt es in den Händen. Dierdre wollte es zwar nicht wieder ins Haus tragen, aber hatte auch das Gefühl, es käme überhaupt nicht in Frage, es zu vernichten. Schließlich brachte sie es in den Schuppen und legte es vorsichtig auf den Tisch mit der Emailleplatte - zwischen die Blumentöpfe aus Ton, den grünen Garnknäuel und die Saatschalen. Als sie ging, schloß sie die Tür ganz leise, denn sie wollte unter keinen Umständen, daß Mrs. Higgins auf sie aufmerksam wurde.

Seit Montagabend hatte Dierdre ihre Nachbarin nur einmal gesehen, als sie kurz hereingeschaut hatte, um die Post zu holen. Mrs. Higgins war ganz aus dem Häuschen gewesen und hatte ihren Bericht immer wieder mit »nicht zu fassen« oder »der arme Mr. Tibbs - und das aus heiterem Himmel« kommentiert. Dierdre hatte darauf kurz angebunden reagiert. »Und das aus heiterem Himmel« schien ihr eine besonders alberne Formulierung zu sein. Schreckliche Dinge kamen aus dem Grau oder aus einem tiefen, transformierenden Schwarz. Als ihr klar wurde, daß es jetzt keine kleinen Briefumschläge, keine traurigen Seufzer und keine schlechten Prognosen mehr geben würde, wenn sie vom Latimer nach Hause kam, besserte sich Dierdres Stimmung ein weiteres Mal.

Sie kehrte in die Küche zurück, wo Sunny, der sich vor dem leeren Kamin zusammengerollt hatte, sofort aufsprang und auf sie zugelaufen kam. Sie kauerte sich hin und verbarg ihr Gesicht in seinem schimmernden cremefarbenen und rötlichen Fell. Als sie auf den Kaminsims blickte, wurde ihr bewußt, daß ihr noch drei Stunden bis zum Vorsprechen blieben. Wie langsam die Uhr zu ticken schien. Aber es gab ja noch viel zu tun. Zunächst einmal alle diese Teller. Vielleicht wollte Sunny noch einmal raus. Und sie hatte ihren Koffer immer noch nicht ausgepackt. Es kam Dierdre plötzlich so vor, als hätte man besonders viel Zeit, wenn man sehr unglücklich ist. Vielleicht war es die Erkenntnis, daß jede Minute mindestens eine Stunde dauert, die man Einsamkeit nannte. Die Zeit richtete sich nach innen und blieb dann stehen. Nun gut, sie mußte sich eben daran gewöhnen und weitermachen. Als sie gerade den Warmwasserhahn aufdrehte, klingelte es an der Tür.

Sie entschloß sich, nicht zu öffnen. Es war vermutlich einer der Menschen, die sich als Freunde ihres Vaters bezeichneten, die von der Neuigkeit gehört hatten und nun, nachdem sie sich in den vergangenen achtzehn Monaten nicht mehr gemeldet hatten, kamen und wissen wollten, ob sie irgendwie helfen könnten. Oder Mrs. Higgins, vor Neugier zitternd. Es könnten aber auch die Barnabys sein. Obwohl sie mit großer Herzlichkeit versucht hatten, sie zum Dableiben zu überreden, hatte Joyce sie schließlich gehen lassen, aber nur unter der Bedingung, daß Dierdre sich melden würde, wenn sie Hilfe brauchte. Die Türglocke klingelte wieder, und Sunny fing an zu bellen. Dierdre trocknete sich die Hände ab. Wer auch immer das sein mochte, er schien nicht gehen zu wollen. Sie öffnete die Haustür. David Smy stand auf der Schwelle und hielt einen Strauß Blumen in der Hand.

»Oh!« Dierdre wich schüchtern zurück. »David... was für eine... komm rein... das ist... komm rein. Was für eine Überraschung... ich meine... was für eine nette Überraschung...« Sie schwatzte nervös vor sich hin (keiner aus der Truppe hatte sie jemals zu Hause besucht), als sie ihn in die Küche führte. Auf der Schwelle erinnerte sie sich an den unordentlichen Zustand der Küche, machte kehrt und öffnete statt dessen die Tür zum Wohnzimmer.

»Bitte... setz dich doch... wie schön... wie schön, dich zu sehen. Hm... kann ich dir etwas anbieten... Tee?«

»Nein, danke, Dierdre. Im Moment nicht.«

David setzte sich mit der gleichen Langsamkeit und Ruhe auf den viktorianischen Krankenpflegerstuhl mit den Knöpfen in der Rückenlehne, wie er alles andere sonst auch tat. Jetzt nahm er seine Kordsamtmütze ab. Er sah sehr elegant aus und trug einen wunderschönen dunkelgrünen Anzug aus weichem Tweed, den Dierdre noch nie an ihm erblickt hatte. Dann stand er wieder auf, und Dierdre flüchtete sich irgendwo zwischen das Klavier und die Doppelkommode aus Walnußholz.

Davids Blumen waren langstielige, apricotfarbene Rosen, deren Blüten wie Kerzenflammen geformt waren. Die Floristin hatte ihm versichert, daß sie die feinsten im ganzen Geschäft seien und erst gestern von den Kanarischen Inseln eingeflogen worden wären. Abgesehen davon waren sie geruchlos und unnatürlich gleichmäßig gewachsen. David, der sich einiges vorgenommen hatte, kaufte den kompletten Inhalt des Eimers (siebzehn Blumen) für vierunddreißig Pfund. Jetzt hielt er Dierdre den Strauß hin, sie verringerte den Abstand zwischen sich und ihm und streckte zögernd die Hand danach aus.

»Danke schön... das ist aber nett... ich bin schon im Krankenhaus gewesen, aber ich werde am Sonntag wieder hingehen. Ich bin ganz sicher, daß sie meinem Vater gefallen werden. Ich werde sie in eine Vase stellen.«

»Ich glaube, du hast mich nicht ganz richtig verstanden, Dierdre.« David hielt inne, als sie sich abwandte. »Die Blumen sind nicht für deinen Vater. Sie sind für dich.«

»Für... mich? Aber... ich bin doch nicht krank...«