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Noch Jahre nachdem dieser Fall abgeschlossen war, sollte sich Barnaby genau an den Augenblick erinnern, als er Katherine Lacey zum erstenmal sah. Sie trug ein Seidenkleid, cremeweiß und apfelgrün gestreift, und war das hübscheste Ding, das ihm je begegnet war. Ihre Schönheit war mehr als nur ein vollkommenes Gesicht und eine vollkommene Figur (und wie oft bekam man so etwas schon zu sehen?) - ihre Erscheinung hatte die entrückte Perfektion eines weit entfernten Sterns und schnitt dem Betrachter ins Herz. Sie kam mit einem bezaubernden Lächeln auf die Polizisten zu.

»Verzeihen Sie - haben Sie geklingelt, mußten Sie warten? Ich höre die Glocke nicht immer in der Küche.« Barnaby nannte den Grund für ihren Besuch. »Oh, natürlich - bitte kommen Sie herein. Wir waren alle schockiert, als wir hörten, daß sich die Polizei mit dem Todesfall befaßt, stimmt’s, David?« Der Mann, der wieder auf seinem Stuhl Platz genommen hatte, gab keine Antwort. »Miss Simpson war die Lehrerin meines Vaters, wissen Sie. Meine Eltern hatten sie sehr gern. Ach, übrigens, ich bin Katherine Lacey. Und das ist David Whiteley, der Verwalter der Farm.«

Barnaby nickte, und während er beide fragte, was sie an dem bewußten Tag gemacht und wo sie sich aufgehalten hatten, musterte er den Mann eingehender. Er war über einsachtzig groß, hatte eine gebräunte,, wettergegerbte Haut wie jemand, der viel im Freien arbeitete, kobaltblaue Augen und flachsfarbenes Haar, das ungewöhnlich lang war. Barnaby schätzte ihn auf Ende Dreißig. Im Moment machte er eher einen aufgebrachten als einen bekümmerten Eindruck, und Barnaby fragte sich, was wohl geschehen wäre, wenn er und Troy nicht aufgetaucht wären. War die Berührung des Mädchens eine tröstende Geste gewesen? Eine Liebkosung? Hätte seine Reaktion zu einer Zurückweisung geführt? Oder zu einem Kuß?

»... an den Nachmittag erinnere ich mich noch sehr gut. Die meiste Zeit verbrachte ich in der Gemeindehalle, um bei den Vorbereitungen für den Reiterwettbewerb am Samstag zu helfen. Wir mußten alles aufbauen, und ich habe bei dem Stand der Frauenorganisation ausgeholfen.«

»Ich verstehe.« Barnaby nickte und versuchte vergeblich, sich Miss Lacey in der Frauenorganisation vorzustellen. »Um wieviel Uhr sind Sie von dort weggegangen?«

»Ich glaube, so um vier. Aber es könnte auch ein wenig früher gewesen sein. Leider habe ich ein miserables Zeitgefühl, das kann Ihnen Henry bestätigen.«

»Sind Sie direkt nach Hause gegangen?«

»Ja. Ich nahm den Peugeot und fuhr zu der Scheune in Huyton’s End, um Henry abzuholen. Er hat ein Büro ...« Sie brach plötzlich ab und setzte hinzu: »Hören Sie, wäre es nicht viel besser, wenn Sie mit uns beiden zusammen sprechen würden? Wir trinken um diese Zeit immer unseren Kaffee im Salon. Sie sind herzlich eingeladen, uns Gesellschaft zu leisten.«

Barnaby lehnte den Kaffee ab, hielt jedoch ihren Vorschlag für vernünftig.

»Komm doch auch mit, David.« Diesmal schenkte sie dem Mann am Tisch ein Lächeln. Alle drei folgten ihr durch die Halle und einen mit Teppich ausgelegten Korridor - ihre Rückenansicht war beinahe ebenso betörend wie der Anblick von vorn. An der einen Wand des Flurs hingen goldgerahmte Ölgemälde von den Vorfahren der Familie Trace, die andere schmückten zarte Aquarelle, die Barnaby mit einem fachmännischen, neidvollen Blick betrachtete. Am Ende des Korridors führte eine Glastür zu einer Orangerie mit kunstvollen weißen Eisengittern. Durch die Scheibe sah Barnaby gepflegte Rasenflächen, beschnittene Bäume und Sträucher und einen glitzernden Springbrunnen. Er hätte gern gewußt, ob es hier auch Pfaue gab.

»Abgesehen von Henry«, sagte Katherine über die Schulter, »wohnt zur Zeit nur noch Phyllis Cadell, seine Schwägerin, in diesem Haus. Ihr Zimmer ist oben.« Sie öffnete die Tür zu ihrer Rechten.

Sie kamen in einen großen Salon. Die Wände waren in Apricot und Weiß gehalten, üppige Perserteppiche lagen auf dem glänzenden, honigfarbenen Parkettboden. Die Decke zierten vergoldete Stuckornamente. Am anderen Ende des Zimmers saß ein Mann im Rollstuhl neben einem prachtvollen offenen Kamin, in dem weiße und silberne Blumen und Blätter lagen. Die Beine des Mannes waren mit einem Reiseplaid bedeckt. Er hatte ein ernstes, fast strenges Gesicht mit tiefen Falten, die von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln verliefen. Sein dunkles Haar war mit grauen Strähnen durchzogen, und die Schultern hatte er leicht nach vorn geneigt. Barnaby war später sehr überrascht, als er erfuhr, daß Henry Trace erst zweiundvierzig Jahre alt war. Jetzt überlegte er, ob es reine Gedankenlosigkeit war, daß sich David Whiteley direkt neben seinen Arbeitgeber setzte. Es hätte kaum einen erbarmungsloseren Kontrast geben können. Seine starken, beweglichen Glieder sprengten fast die Nähte der Cordhose und des karierten Hemdes. Ein Marlborough-Mann, spottete Troy im stillen. Katherine erklärte, warum die Polizei im Haus war, dann ließ sie sich auf dem Schemel neben dem Rollstuhl nieder und nahm Traces Hand.

»Eine schreckliche Geschichte«, sagte er, »aber sicherlich liegt in diesem Fall kein Verbrechen vor, oder?«

»Wir stellen lediglich einige Nachforschungen an, Sir.«

»Ich kann nicht glauben, daß ihr irgend jemand ein Leid antun wollte«, fuhr Trace fort, »sie war der freundlichste, netteste Mensch, den man sich denken kann.«

Troy, der seinen Block aufschlug, fiel auf, daß er nicht erklärte, Miss Simpson habe seine Mum unterrichtet. Wahrscheinlich war sie in einer Privatschule - wie üblich in diesen Kreisen.

»Ich habe sie sogar noch an dem Tag, an dem sie starb, gesehen«, sagte Katherine ohne den sensationslüsternen Unterton, der meistens mit einer solchen Bemerkung einherging.

»Wann war das?« hakte Barnaby nach und warf einen Blick auf Troy, der mit seinem Stift einen Bogen zeichnete, um seine Bereitschaft zu signalisieren.

»Am Morgen. Ich weiß nicht mehr genau, um welche Zeit ich bei ihr war. Sie hat mir versprochen, Honig für den Stand zu spenden. Sie gab mir auch ein bißchen Petersilienwein mit. Sie war immer sehr großzügig.«

»Und haben Sie sie bei dieser Gelegenheit zum letztenmal gesehen?« Katherine nickte. »Um wieder auf den Nachmittag zu sprechen zu kommen - Sie haben also die Gemeindehalle etwa um vier Uhr verlassen, sind in den Peugeot gestiegen ...?«

»Und fuhr zu Henrys Büro. Ich holte ihn ab, und wir kamen hierher zurück, aßen zu Abend und verbrachten den Abend mit einem Streit über ...«

»Mit einer Diskussion.«

Sie drehte den Kopf und sah ihn schelmisch an. »Mit einer Diskussion über einen neuen Rosengarten. Ich ging etwa um halb elf.«

»Dann wohnen Sie also nicht hier im Haus, Miss Lacey?«

»Erst ab Samstag. Dann sind wir verheiratet.« Sie wechselte einen Blick mit dem Mann im Rollstuhl. Ihr Ausdruck war liebevoll, während sein Gesicht nicht nur Bewunderung, sondern auch Triumph verriet - den Triumph eines Sammlers, der eine seltene, schöne Spezies entdeckt hatte und sie trotz widriger Umstände für sich gewinnen konnte. Wenn man das Geld hat, dachte Troy, kann man alles kaufen.

»Ich wohne in einem Cottage am Rand des Buchenwalds. Es liegt relativ weitab vom Dorf.« Ein Schatten trübte ihre Augen, als sie so leise, daß Barnaby sie kaum verstand, hinzufügte: »Mein Bruder Michael lebt auch dort.« Auf Barnabys Bitte hin beschrieb sie genau, wo sich das Cottage befand, und fuhr fort: »Aber im Moment werden Sie Michael dort nicht antreffen. Er ist in Causton, um ein paar Pinsel zu kaufen.« Diese harmlose Information, die sie freiwillig weitergegeben hatte, schien ihr Unbehagen zu bereiten, sie preßte die Lippen zusammen und runzelte die Stirn. Trace tätschelte sanft ihren Kopf, als müßte er ein gereiztes Tier besänftigen.