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»Sind Sie auf dem Heimweg an Miss Simpsons Haus vorbeigekommen?«

»Ja.«

»Haben Sie jemanden gesehen? Oder irgend etwas gehört oder bemerkt?«

»Nein, leider.«

»Brannte Licht? Waren die Vorhänge zugezogen?«

»Tut mir leid - ich erinnere mich an nichts.«

»Ich danke Ihnen.« Barnaby wandte sich an Henry Trace. Die Fragen an ihn waren seiner Ansicht nach eine reine Formalität, dennoch wäre es ihm rüde vorgekommen, sie nicht zu stellen. Vielleicht hätte Trace mit dem Rollstuhl zu Miss Simpsons Cottage fahren und sie vergiften können (dann hätte seine Verlobte in bezug auf den gemeinsam verbrachten Abend gelogen), doch es wäre ihm wohl kaum möglich gewesen, sich im Wald zu vergnügen - selbst wenn man in Betracht ziehen würde, daß ein Mann, der kurz vor der Hochzeit mit Katherine Lacey stand, verrückt genug war, ein solches Abenteuer zu suchen. Im Wald waren keine Reifen oder Radspuren gefunden worden. Barnaby nahm an, daß Trace wirklich gelähmt war. Wahrscheinlich kam es nur in Filmen vor, daß sich starke, gesunde Menschen in einem Rollstuhl versteckten, um im entscheidenden Moment aufzuspringen und das perfekte Verbrechen zu begehen.

»Bestätigen Sie Miss Laceys Aussage, was Ihre gemeinsamen Unternehmungen an diesem Tag betrifft, Mr. Trace?« Er hörte, wie Troy eine Seite in seinem Block weiter blätterte.

»Ja.«

»Und waren andere Leute in der Nähe, als Sie sich in Ihrem Büro aufhielten?«

»O ja. Die Traktoren stehen im Hof, die Düngemittel und alle möglichen Geräte lagern in den Nebengebäuden. Dort ist immer sehr viel los, es ist der belebteste Platz auf der Farm.«

»Wie groß ist Ihre Farm?«

»Zweihundert Hektar.«

Sergeant Troys Stift bohrte sich in das Papier.

»Würden Sie mir den Namen Ihres Arztes nennen?«

»Meines Arztes?« Henry Trace schaute Barnaby verwirrt an, dann schien er zu begreifen. »Oh - ich verstehe.« Die Falten in seinem Gesicht vertieften sich. Er lächelte ohne jede Freude. »Trevor Lessiter ist mein Hausarzt. Aber vielleicht sollten Sie mit Mr. Hollingsworth, University College in London, sprechen.« In bitterem Ton fügte er hinzu: »Er wird Ihnen bestätigen können, daß ich wirklich und wahrhaftig gelähmt bin.«

Das Mädchen zu seinen Füßen stieß einen empörten Schrei aus und funkelte Barnaby böse an.

»Ist schon gut, Liebling«, beruhigte Trace sie. »Sie müssen diese Dinge fragen.« Aber sie war keineswegs beschwichtigt und verfolgte mit finsterer Miene die Befragung von David Whiteley. Troy fand, daß sie so noch viel schöner war als sonst. Der Gutsverwalter gab widerwillig Auskunft und sagte, daß er den ganzen Nachmittag gearbeitet habe.

»Wo genau waren Sie tätig?«

»Etwa drei Meilen von hier an der Gessler Tye Road. Ich habe Zäune repariert. Vor einigen Tagen ist dort ein häßlicher Unfall passiert, und ein beträchtliches Stück von dem Zaun war kaputt.«

Barnaby nickte. »Und als Sie damit fertig waren?«

»Ich fuhr nach Causton und bestellte Maschendraht. Dann ging ich nach Hause.«

»Verstehe. Sie waren nicht mehr im Büro?«

»Nein. Es war schon kurz vor sechs, als ich von Causton zurückkam. Ich muß keine Stechuhr bedienen oder mich an-und abmelden. Ich bin kein Lohnarbeiter.« Er bemühte sich, belustigt zu wirken, aber es war nicht zu überhören, daß er aufgebracht war.

»Und Ihr Zuhause ist...«

»In Witchetts. Das Haus mit den grünen Läden, gegenüber vom Pub. Es ist sozusagen eine Dienstwohnung.«

»Und wie haben Sie den Abend verbracht?«

»Ich duschte. Hab’ was getrunken und ein bißchen ferngesehen. Dann ging ich in den Bear in Gessler, um etwas zu essen und Gesellschaft zu haben.«

»Um wieviel Uhr war das?«

»Ich denke, so um halb acht.«

»Sind Sie verheiratet, Mr. Whiteley?«

»Das geht Sie gar nichts an.«

»David!« rief Henry Trace. »Es besteht wirklich kein Grund...«

»Tut mir leid, aber ich sehe, verdammt noch mal, nicht ein, was es mit dem Tod einer alten Frau, die ich nicht einmal richtig kannte, zu tun hat, ob ich verheiratet bin oder nicht.« Er preßte störrisch die Lippen zusammen, verschränkte die Arme und schlug die Beine übereinander. Einen Moment später stellte er sie kurz wieder nebeneinander, ehe er sie nach der anderen Seite kreuzte. Barnaby stellte eine vollkommen gleichgültige Miene zur Schau und blieb ganz gelassen in seinem Sessel sitzen. Henry und Katherine war die Szene offensichtlich peinlich. Troy musterte spöttisch Whiteleys angespannte Muskeln. Er kannte diese Typen. Sie bildeten sich ein, tolle Hengste zu sein. Aber wahrscheinlich bekamen sie ohne ein halbes Dutzend Bier und einen Softporno keinen hoch. Das Schweigen dehnte sich in die Länge, bis David Whiteley schließlich tief seufzte.

»Na ja, wenn Sie es unbedingt wissen müssen, ich bin verheiratet, aber wir leben seit drei Jahren getrennt. Genaugenommen seit dem Tag, an dem ich die Arbeit hier angenommen habe. Sie ist Privatlehrerin und wohnt in Slough. Und, um Ihnen weitere Schnüffeleien über meine Familienverhältnisse zu ersparen, wir haben einen neunjährigen Sohn. Sein Name ist James Laurence Whiteley, und als ich ihn das letzte Mal sah, war er etwa einszwanzig groß und wog knapp dreißig Kilo. Er war verrückt nach seinem BMX-Rad und Computerspielen und spielte leidlich gut Basketball. Natürlich ist das alles schon einige Zeit her. Vielleicht ist das alles inzwischen ganz anders geworden.« Aus dieser letzten Bemerkung sprach weder Sarkasmus noch Zorn, vielmehr übermannten ihn die Gefühle, und er verstummte.

»Danke, Mr. Whiteley.« Barnaby wartete eine Weile, dann fuhr er fort: »Um zum Abend des Siebzehnten zurückzukommen - können Sie mir sagen, wann Sie den Bear verließen?«

Whiteley holte tief Luft, bevor er antwortete: »Ungefähr dreißig Minuten vor der Sperrstunde. Sie werden es dort genauer wissen. Ich bin Stammgast im Bear.«

»Und sind Sie sofort nach Hause gefahren?«

»Ja.«

»Würden Sie mir freundlicherweise sagen, was für einen Wagen Sie fahren und wie Ihr Kennzeichen ist?«

»Es ist ein Citroën Estate. ETX 373 V.«

»Gut.« Barnaby stand auf. »Sie waren alle sehr hilfreich. Miss Lacey, soweit ich mich erinnere, erwähnten Sie, daß noch eine Person in diesem Haus lebt.«

»Ja«, antwortete Henry Trace für sie, »Phyllis. Aber ist sie im Moment nicht in ihrem neuen Häuschen?«

»Nein.« Katherine erhob sich. »Ich habe vor einer halben Stunde gehört, wie sie heimkam. Ich zeige Ihnen den Weg.« Sie richtete die Worte an Barnaby, sah ihn aber nicht an. Als sie den ersten Schritt tat, ergriff Henry ihre Hand und hielt sie zurück.

»Komm gleich wieder, ja?«

»Natürlich.« Sie bückte sich und hauchte einen Kuß auf seinen Mundwinkel. Es war ein sittsamer, unschuldiger Kuß, aber der Blick, den sie dafür erntete, war alles andere als unschuldig. Die beiden geben ein schönes Bild ab, dachte Barnaby. Trace mit seinem ausgeprägten Profil und das frische junge Mädchen, das sich anmutig zu ihm beugt - ein bezaubernder Anblick vor dem Hintergrund des weichfallenden, grauen Seidenvorhangs ... Vielleicht war es diese theatralisch angehauchte Szene, die Barnaby auf den Gedanken brachte, daß irgend etwas nicht ganz natürlich wirkte. Alles war auf gekünstelte Weise perfekt und strotzte vor falschem Pathos wie eine kitschige viktorianische Glückwunschkarte oder eine Illustration von Dickens. Er hätte nicht erklären können, was genau diese Empfindung in ihm weckte, denn er glaubte im Grunde nicht, daß Katherine und Henry ihm etwas vorspielten. Er wandte leicht den Kopf, um David Whiteley mit den beiden anderen im Blick zu haben. Vielleicht war seine Anwesenheit schuld an seinen Zweifeln - oder, konkreter, die Tatsache, daß sich das Mädchen für den falschen Mann entschieden hatte. Daß Jugend zu Jugend gehörte. Barnaby sah, daß Whiteley das Mädchen nicht aus den Augen ließ, auch sein Blick war weit von Unschuld und Sittsamkeit entfernt. Henry Trace wäre nach Barnabys Ansicht ein außergewöhnlicher Mann, wenn er sich keine Gedanken darüber machen würde, was seine Verlobte und der Gutsverwalter außer Sichtweite taten... Ein Sammler erwartete selbstverständlich Habgier und Neid von einem anderen Sammler, besonders wenn es um ein so wertvolles Stück ging.