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Nicht so hübsch, wie Hausherrin von Tye House zu sein, dachte Barnaby und sah wieder den wunderschönen Anblick der Orangerie vor sich. Nicht annähernd so hübsch.

»War Mr. Trace lange Witwer?« Da war sie wieder, die aufflackernde Angst. Phyllis Cadell wandte sich ab und betrachtete den nichtssagenden Druck an der Wand.

»Ich verstehe nicht, welche Bedeutung das im Zusammenhang mit Miss Simpsons Tod haben soll.«

»Ich bitte um Verzeihung.« Detective Chief Inspector Barnaby wartete. Seiner Erfahrung nach hatten Menschen (abgesehen von knallharten Verbrechern), die etwas zu verbergen hatten, und solche, die nichts zu verbergen hatten, eines gemeinsam: Wenn sie einem Polizisten, der Fragen stellte, gegenübersaßen, konnten sie nie lange schweigen. Nach einer Weile fing Phyllis Cadell tatsächlich an zu sprechen. Die Worte sprudelten aus ihr heraus, als könnte sie es gar nicht erwarten, sie loszuwerden und die Sache hinter sich zu bringen.

»Bella starb vor ungefähr einem Jahr. Im September. Ein Jagdunfall. Es war eine schreckliche Tragödie. Sie wurde nur zweiunddreißig Jahre alt. In der Lokalzeitung stand damals ein ganzer Artikel über den Unfall.«

Das alles kommt in einem Atemzug über ihre milchweißen Lippen, dachte Barnaby, und laut sagte er: »Kamen Sie zu diesem Zeitpunkt her, um den Haushalt zu führen?«

»O nein. Ich zog gleich nach der Hochzeit hier ein. Bella hatte nicht das geringste Interesse an Hausfrauenpflichten. Ihre Vorlieben lagen woanders - beim Reiten und Fischen. Und sie kümmerte sich natürlich um Henry. Sie waren etwa fünf Jahre verheiratet, als sie starb.«

»Miss Lacey scheint ein wenig jung zu sein, um so schwerwiegende Aufgaben zu übernehmen«, bemerkte Barnaby, aber sie ging nicht auf die Herausforderung ein: Mittlerweile hatte sie ihre Emotionen fest im Griff.

»Oh, ich weiß nicht. Ich denke, sie wird eine sehr charmante Hausherrin sein. Und jetzt«, sie stand auf, »wenn das alles ist...«

Sie führte sie entschlossenen Schrittes die Treppe hinunter zur Eingangshalle und machte unvermittelt zwischen zwei alten, einstmals mit Goldlack überzogenen Holzstatuen halt. Einen Moment lang standen sie alle auf dem schwarzweiß getäfelten Boden wie Schachfiguren, als könnten sie ihre nächsten Schritte erst tun, wenn sie jemand vorwärts schob. Phyllis trat von einem Fuß auf den anderen (die bedrängte Dame des königlichen Spiels), dann begann sie: »Äh ... Sie müssen gedacht haben, daß ich bei Ihrem Anblick vorhin ziemlich erschrocken bin, nicht wahr?«

Barnaby sah sie mit höflichem Interesse an. Troy stellte Blickkontakt mit der größeren der beiden Statuen her - einem gekrönten König mit vagen, verblaßten Spuren von Blau an den Augen.

»Die Wahrheit ist... ich ... na ja, es geht um meine Kraftfahrzeugsteuer. Sie wissen ja, wie das ist...« Ein unsicheres Lächeln bebte über ihre Lippen, etablierte sich und legte kräftige, fleckige Zähne bloß. »Man nimmt sich immer vor, sich den Zahlungstermin zu notieren ...«

»Ja«, stimmte der Chief Inspector zu, »das ist ein vernünftiger Gedanke.«

Sobald die Tür hinter ihnen ins Schloß gefallen war, sagte Troy: »Bemitleidenswert.« Das konnte sich auf die Erscheinung der Frau, auf ihre Position im Haushalt oder die ungeschickte und offensichtliche Lüge mit der Autosteuer beziehen. Barnaby mußte ihm recht geben - in allen drei Punkten.

Katherine Lacey schlenderte langsam über den gepflasterten Hof und sah den beiden Polizisten nach. Trotz des heißen Wetters fröstelte sie. Benjy saß in dem Verschlag neben dem ersten Silo und winselte traurig. Sie ging zu ihm und nahm ihn auf den Arm. Er fing an zu zappeln. Sein Fell verschob sich über den Rippen - er war nur noch Haut und Knochen.

»Liebling?« Sie hörte das leise Rumpeln, als Henry die Stufe vor der Küche überwand und auf sie zurollte. Sie setzte den Hund ab. »Stimmt etwas nicht?«

Sie rang um Fassung, ehe sie sich zu ihm umdrehte, und schüttelte stumm den Kopf. Das schimmernde dunkle Haar umwehte ihr Gesicht.

»Ist es wegen Benjy? Du mußt den Dingen ihren Lauf lassen, Kate. Wir beide haben doch alles versucht. Er will schlicht und einfach nicht fressen. Bitte... laß mich den Tierarzt rufen...«

»Oh - warte noch einen Tag!«

»Benjy ist ein alter Hund. Er vermißt sie sehr. Wir können nicht einfach Zusehen, wie er sich zu Tode hungert.«

»Es ist nicht nur das.« Sie kauerte sich unbeholfen neben den Rollstuhl. »Es ... ich kann es gar nicht erklären ... o Henry ...« Sie nahm seine Hände. »Ich habe so ein schreckliches Gefühl...«

»Was meinst du damit?« fragte er nachsichtig und lächelte sie an. »Was ist das für ein Gefühl?«

»Ich kann es nicht genau beschreiben... es ist nur so - alles läuft schief für uns. Die Hochzeit wird nicht stattfinden ...«

»Das ist doch Unsinn.«

»Ich wußte, daß du das sagen wirst. Aber du verstehst das nicht...« Sie brach ab und musterte sein Gesicht. Freundlich, hübsch, eine Spur stolz und selbstgefällig. Und warum auch nicht? Der Stammbaum der Traces reichte zurück bis zur Zeit der Normannen. Steinplastiken von Sir Robert Trace, seiner Gemahlin und ihrer Katze ruhten bis in alle Ewigkeit in der kühlen Kapelle aus dem dreizehnten Jahrhundert. Die Traces hatten ein bescheidenes Maß ihres edlen Blutes in den beiden Weltkriegen vergossen und waren, mit Ehrenorden dekoriert, zu ihren Junkerpflichten zurückgekehrt. Sie brauchten sich keine Sorgen um mangelnde Anbauflächen zu machen - ihre Ländereien waren so groß, daß sie immer genügend Erträge einfahren konnten.

»... du kannst das nicht verstehen«, wiederholte Katherine. »Weil du dir nie etwas gewünscht hast, was du nicht haben konntest, weißt du nicht, daß das Leben nicht immer so reibungslos verläuft. Die Dinge, die geschehen sind... der Tod von Miss Simpson ... und jetzt Benjy - und Michael, der sich weigert, am Samstag zu kommen ... Ich glaube, das alles sind Omen.«

Henry Trace lachte. »Hüte dich vor den Iden des März!«

»Lach nicht.«

»Tut mir leid, Liebes, aber soweit ich es sehe, kreischt und schnattert niemand in den Straßen.«

»Was?«

»Und was Michael betrifft - seine Weigerung ist wohl kaum ein Omen. Dir muß schon seit Wochen klar sein, daß er dich nicht zum Altar führen will, um dich mir zu übergeben. Du weißt doch, wie er ist.«

»Aber ich dachte ... bei meiner Hochzeit...«

»Möchtest du, daß ich mit ihm rede?«

»Das würde nichts ändern. Man könnte meinen, nach allem, was du für uns getan hast, würde er...«

»Schsch. Sag so was nicht. Ich habe gar nichts getan.« Als sie aufstand und sich gegen den Rollstuhl lehnte, sagte er: »Deine armen kleinen Knie, sie haben lauter Dellen von dem Pflaster.« Er hob ihren Rocksaum an und strich zärtlich über die geschundenen Stellen. »Arme Knie - Henry verscheucht die Schmerzen.«

Am Fenster hoch über ihnen wandte sich Phyllis Cadell abrupt ab. Sie schaltete den Fernseher ein und ließ sich in den nächsten Sessel fallen. Stimmen erfüllten den Raum. Auf dem Bildschirm versuchte ein Pärchen, verrückt vor hemmungsloser Habgier, einen Berg von Konservendosen zusammenzuhalten, während das Publikum mindestens ebenso hemmungslos Beleidigungen und Anfeuerungsrufe schrie. Die Frau grinste irre, verrückte dabei eine der Büchsen und brachte die Pyramide zum Einsturz. Phyllis drückte auf die Fernbedienung und sah ein törichtes Duo, das sich hingebungsvoll über ein Müsli hermachte. Der dritte Knopf der Fernbedienung aktivierte eine idyllische Szene: ein älteres Ehepaar, das im Kreise der liebenden Familie zufrieden die Glückwunschtelegramme zur Goldenen Hochzeit las. Der vierte Kanal sendete einen alten Schwarzweißfilm. Zwei Männer hielten einen dritten an den Armen fest, während Sterling Haydon ihn nach allen Regeln der Kunst verprügelte. Ein linker Haken ans Kinn, dann ein rechter. Zwei Hiebe in die Magengrube - der Mann schnappte nach Luft und stöhnte gequält. Ein Knie in die Leistengegend und ein Faustschlag in die Nieren.