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Das stimmte. Wenige Augenblicke später kündigte ein leises Rattern Dennis’ Ankunft mit dem Teewagen an. Der Teewagen bog sich förmlich unter all den Platten und Tellern - winzige Sandwiches, die in die Form von Spielkartensymbolen geschnitten waren, und gehaltvolle Cremetörtchen. Mrs. Rainbird häufte eine Auswahl von allem auf einen Teller für Detective Chief Inspector Barnaby und reichte ihn ihm.

»Nein, Sie dürfen mir das nicht abschlagen, Mr. Barnaby.« (Sie nannte ihn während der ganzen Unterhaltung nur >Mister Barnaby<; vielleicht glaubte sie, daß Polizeibeamte ab einem gewissen Rang wie hochstehende Leute aus der Zunft der Mediziner ohne Titel angesprochen werden mußten.) »Es geht um das leibliche Wohl, verstehen Sie?«

Ihr Sohn schenkte Tee ein. Seine bleichen Finger flatterten über das Geschirr wie Schmetterlingsflügel. Er legte einen Teelöffel, in dessen Griff ein großer violetter Stein eingelassen war, auf eine Untertasse und hielt sie zusammen mit der gefüllten Tasse Barnaby hin. Der Chief Inspector fühlte sich angewidert, aber er nahm den Tee und lehnte sich zurück - er fand den Sessel ausgesprochen unbehaglich.

Dennis legte ein Anchovis-Kreuz, ein Lachs-Karo, ein Braten-Pik und ein Pasteten-Herz auf einen Teller, gab eine Meringue mit einer haselnußfarbenen, wurmartigen Füllung dazu und richtete dieses Arrangement und eine Teetasse auf einem Beistelltisch für Troy an. Dann tänzelte er zurück zu seiner Mutter, strahlte sie an, schüttelte ein paar Kissen auf und ließ sich zu ihren Füßen auf einem niedrigen Sitzpolster nieder.

Endlich ergriff Barnaby das Wort. »Wir stellen Nachforschungen wegen eines ungeklärten Todesfalles an...«

»Arme Miss Simpson«, unterbrach ihn Mrs. Rainbird. »Ich gebe immer den Eltern die Schuld.«

»... und wären dankbar, wenn Sie und Ihr Sohn uns sagen würden, wo Sie sich am vergangenen Freitag nachmittag und abend aufgehalten und was Sie getan haben.«

»Ich habe mich um die Blumenarrangements und die Pflanzen in der Gemeindehalle gekümmert. Sie haben doch sicher von dem Reiterwettbewerb gehört, oder?« Barnaby gab ihr zu verstehen, daß er Bescheid wußte. »Ich ging ungefähr um halb fünf - zusammen mit Miss Cadell von Tye House. Wie immer war ich eine der letzten. Ich fürchte, ich gehöre zu den schrecklichen Menschen, die immer alles selbst in die Hand nehmen müssen.« Ein bißchen selbstgefälliger Stolz. Sie hatte einen Mund wie ein Goldfisch - selbst in Ruhe war er ein wenig vorgeschoben und sah aus wie eine Schnute. »>Delegieren, Iris, delegieren< das sage ich mir immer und immer wieder, aber meinen Sie, das würde mir auch nur ein einziges Mal gelingen? ... Wo war ich stehengeblieben?«

»Sie waren eine der letzten, die die Gemeindehalle verließen.«

»Ach ja. Ich glaube, nur Miss Thornburn, unsere liebe Akela, blieb länger.«

»Ist Ihnen zufällig aufgefallen, wann Miss Lacey gegangen ist?«

»Kurz vor vier.«

»Sind Sie sicher?« Blöde Frage. Er ahnte bereits, daß er eher einer allwissenden Person gegenübersaß als einer bloßen Beobachterin. Mrs. Rainbird hatte offenbar Augen wie ein Adler und, was noch bedeutsamer war, das erhabene Desinteresse eines Adlers an seinen Opfern.

»Ziemlich sicher«, erwiderte Mrs. Rainbird. »Sie schlich sich davon - das ist meine Meinung -, und zwar in einer ausgesprochen verstohlenen Art und Weise.« Sie ließ sich dazu herab, bei ihren letzten Worten Sergeant Troy eines Blickes zu würdigen, um ganz sicherzugehen, daß er auch alles ganz genau mitschrieb. »Aber ich würde doch zu gern erfahren, wieso wir gefragt werden, was am Nachmittag geschehen ist. Wie ich hörte, starb Miss Simpson doch viel später.«

»Wir kennen den exakten Zeitpunkt des Todes nicht.«

»Jedenfalls war sie um etwa fünf Uhr noch am Leben, weil ich sie selbst gesehen habe.«

»Sie haben sie gesehen?«

»Natürlich.« Sie genoß diesen Moment seiner ungeteilten Aufmerksamkeit. Dennis verrenkte sich den Hals und grinste sie anerkennend an. »Ich war zufällig oben in meinem Unterschlupf und skizzierte den Flug von Ziegenmelkern. Emily lief im Eilschritt durch die Church Lane - sie kam aus der Richtung, in der der Wald liegt. Einmal blieb sie stehen und hielt sich die Seite. Ich habe noch überlegt, ob ihr vielleicht nicht gut ist, und wollte zu ihr gehen, aber dann kam Denny zum Tee nach Hause. Stimmt's, Schätzchen?« Festigte sich ihr Griff an seiner Schulter? Jedenfalls erwachten die funkelnden Juwelen zu neuem Leben.

»Mhm.« Dennis legte kurz die Wange an ihr Knie. »Ich komme gewöhnlich um halb sechs nach Hause, aber an diesem Abend...«

»Falls es Ihnen nichts ausmacht, Mr. Rainbird, kommen wir später auf diese Einzelheiten zurück.«

»Ich kann es kaum erwarten.« Dennis biß sich auf die Unterlippe. Sein Gesicht überzog sich mit einem rosigen Hauch vor Freude darüber, daß er Empfänger derart gebieterischer Instruktionen geworden war. Er schenkte Sergeant Troy ein Lächeln, das mindestens so süßlich und ekelhaft war wie die Meringue, die Troy in Angriff genommen hatte. »Ich glaube, dem Sergeant schmeckt das Maronenmus Lyonnaise nicht, Mutter.«

»Dann mußt du ihm unbedingt von der Mandelcreme geben ... Ja«, sie wandte sich wieder an Barnaby, »ich war ernsthaft in Sorge um sie. Ich hatte schon beinahe beschlossen, ihr nach dem Essen einen Besuch abzustatten, aber dann waren wir so in ein Monopolyspiel vertieft, daß ich mir dachte, es hätte Zeit bis zum nächsten Morgen. Sie hatte ja schließlich ein Telefon, und Miss Bellringer wohnt nicht weit weg. Wir haben an diesem Abend keinen Fuß mehr vor die Tür gesetzt, nicht wahr, Schätzchen?«

»Nein, wir sind richtige kleine Stubenhocker.«

»Und wer hatte die Schloßallee?«

»Ich, ich! Und einen ganzen Straßenzug auf der anderen Seite!« jubilierte Dennis.

»Trotzdem sah ich Katherine Lacey noch einmal. So gegen acht Uhr.«

»Tatsächlich? War das nicht ein wenig spät, um Ihrem Hobby zu frönen, Mrs. Rainbird? Welche Vögel sind um diese Zeit schon noch unterwegs?«

»Eulen, Mr. Barnaby.« Sie blitzte ihn scharf an.

»Ah.«

»Tiere der Nacht.«

»Stimmt.«

»Wir haben eine kleine Pause bei unserem Spiel gemacht, Denny kochte Kaffee, und ich schaute rein zufällig aus dem Fenster.«

»Ich verstehe. Haben Sie gesehen, wohin Miss Lacey ging?« Sie beugte sich vor, um die Spannung zu steigern, und, da ihre Hand immer noch auf der Schulter ihres Sohnes ruhte, tat er es ihr gleich.

Was für ein makabres Schauspiel, dachte Barnaby und fühlte sich unweigerlich an ein Stück von Joe Orton erinnert, in dem seine Frau im letzten Monat mitgewirkt hatte. Dieses seltsame Paar hätte blendend in die verdrehte Handlung gepaßt.

»Sie bog in die Church Lane ein.«

»Meinen Sie, sie hat jemanden besucht?«

»Das konnte ich nicht sehen. Die Straße macht eine scharfe Rechtskurve. Sie hatte einen der Beagles dabei und einen Brief in der Hand.«

»Dann ging sie möglicherweise nur zum Briefkasten.« Mrs. Rainbird zog eine Augenbraue hoch, bis sie aussah wie eine aufgemalte, dünne Mondsichel, und brachte damit zum Ausdruck, daß Barnaby ja denken konnte, was er wollte.

»Und haben Sie sie zurückgehen sehen?« erkundigte er sich weiter.

»Leider nein.« Ihre Stimme bebte verärgert. »Mrs. Paunce-foot rief an. Sie wollte noch einen Strauß Lilium regale für das Pult der Wettkampfrichter. Wenn ich das gewußt hätte«, sie schlug mit der Faust in ihre Handfläche, »wäre ich auf meinem Posten geblieben.«

Ihre Miene war mehr als nur verdrießlich. Sie schien vor Wut zu kochen, weil sie eine so günstige Gelegenheit verpaßt hatte. Offensichtlich konnte sie es nicht ertragen, wenn sie nicht immer ganz genau informiert war, was zwischen den Leuten und im Dorf vor sich ging. Von wegen nur den Flug von Ziegenmelkern zu skizzieren, dachte Barnaby und begann, Mrs. Rainbirds Sohn Fragen zu stellen.