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Er drehte sich wieder um. Allmählich fühlte er sich ausgesprochen unwohl in dieser Umgebung. Obwohl der Tag warm war, hatten die Rainbirds die Heizung aufgedreht. Er betrachtete Dennis, der mit seinen blassen Wimpern klimperte, um Sergeant Troy zu beeindrucken - ob ihm wohl kalt war? Er hatte gewiß keine dicke Isolierschicht auf den Knochen.

Das Zimmer wirkte erdrückend. Es war gestopft voll mit protzigen, geradezu wollüstigen Möbelstücken. In einer Vitrine stand Porzellan, hauptsächlich Capo da Monti, überall saßen Puppen in verschiedenen Landestrachten, und an den Wänden hingen scheußliche Bilder. Barnaby hatte eines direkt im Blick; es zeigte einen Spaniel, dem - Barnaby sah ungläubig genauer hin - Tränen über die Wangen liefen. Der ganze Plunder war das, was seine Tochter als Absurdität des zwanzigsten Jahrhunderts bezeichnen würde.

»Ich danke Ihnen sehr, Mrs. Rainbird«, dämmte er ihren Wortschwall freundlich, aber entschlossen ein.

»Nicht der Rede wert, Mr. Barnaby.« Sie schleuderte ihm ihre blitzende Hand entgegen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sie zu ergreifen. Es war, als würde man einen Teigklumpen anfassen. »Wozu sind wir denn da, wenn nicht dazu, uns gegenseitig zu helfen?«

Während die beiden Polizisten die Auffahrt hinuntergingen, brummte Sergeant Troy: »Männer wie der müßten kastriert werden.« Da Barnaby nicht antwortete, fügte er noch ein einschmeichelndes »Sir« hinzu und fuhr fort: »Und die Mutter - ein widerliches altes Tratschweib.«

»Mrs. Rainbird und Leute wie sie sind ein Gottesgeschenk bei jeder Ermittlungsarbeit, Troy. Man darf nur nicht den Fehler machen, Klatsch als Tatsachen zu werten. Und wenn sie behaupten, daß das, was sie sagen, die absolute Wahrheit ist, darf man nie vergessen, alles noch einmal gründlich nachzuprüfen. Niemals voreilige Schlüsse ziehen, Sergeant, und immer für alles offen sein.«

»Ja, Sir.«

Sie gingen weiter zum Burnham Crescent und dem Mietshaus Nummer sieben, der Wohnung von Mrs. Quine.

Als Barnaby und Troy durch die mit verrotteten Pfosten markierte Lücke in der dürren, staubigen Hecke traten, schlossen Mrs. Rainbird und ihr Sohn die Tür von Tranquillada und sahen sich strahlend vor Erregung an.

»Hast du es?«

»Mummy - ja!«

»Ohhh... wo? Wo?«

»Wart eine Minute. Du hast nicht gesagt...«

»Du bist ein guter Junge. Zeig es mir.«

»Nein.« Sein Gesicht schimmerte unangenehm orange unter der Laterne in der Halle und nahm einen trotzigen Ausdruck an. »Das war nicht richtig. Du mußt es richtig machen.«

»Du bist ein guter Junge«, flötete sie und küßte ihn voll auf den Mund. Ihr Atem roch süß nach Pfefferminzpillen und Vanille. »Mummys allerbester Junge.« Ihre weichen Finger glitten unter sein Hemd und liebkosten seine knochigen Schulterblätter. »Mummys bester und einziger Junge.«

Er leckte ihr Ohr mit den langen Rheinkiesel-Clips ab. »Mmmm.« Sein Atem beschleunigte sich. »Schlauer Denny.«

»Jetzt«, sie nahm seine Hand, zog ihn ungeduldig durch den Flur zur Terrassentür und in den Garten, »zeig es mir.«

»Ich will noch ein bißchen spielen.«

»Wir spielen später.«

»Mit allem?«

»Mit allem. Komm schon... wo ist es?«

Sie gingen über den Rasen, umrundeten den Pavillon. Dahinter lag ein Haufen von etwas Tropfnassem - das Wasser breitete sich in konzentrischen Ringen um dieses Etwas aus. Dennis führte seine Mutter stolz näher. Hand in Hand betrachteten sie den Haufen. Mrs. Rainbirds Augen glänzten.

»Wo hast du es gefunden?«

»In dem Weiher hinter dem Buchenwald. Ich hab’ gesehen, wie sie es hineingeworfen haben. Sie hatten Steine daran gebunden.«

Sie schwieg und stieß zufrieden den Atem aus.

»Mein schönes Auto ist ganz naß geworden. Ich mußte das Ding in den Kofferraum legen, verstehst du.«

»Wir kaufen dir ein neues.«

»O Mummy ...« Er drückte ihr hellauf begeistert den Arm.

»Dann glaubst du, es ist viel wert?«

»O ja, mein Liebling.« Sie trat einen Schritt vor und stocherte mit der Schuhspitze in der durchweichten Masse. »Es ist sehr, sehr viel wert. Wirklich sehr viel.«

5

Der Garten von Nummer sieben war eine Müllkippe. Im wahrsten Sinne des Wortes. An einer Hauswand lehnte ein Haufen Schrott. Bettgestelle, kaputte Kinderwagen, alte Kisten, rostige Eisenketten und ein zerbrochener Hasenkäfig. Die Vorhänge im Erdgeschoß waren zugezogen. Barnaby rüttelte am Briefkasten. Im Haus weinte ein Kind. Eine Frauenstimme schrie: »Halt den Mund, Lisa Dawn.« Dann: »Eine Minute, ich komme gleich.« Das konnte dem Kind oder den wartenden Polizisten gelten.

Schließlich erschien Mrs. Quine. Sie war dünn mit eingefallener Brust und roten Flecken um den Mund. Sie rauchte und machte, selbst wenn sie Stillstand, den Eindruck, ständig auf dem Sprung zu sein.

»Kommen Sie rein.« Sie trat zurück, um die Polizisten ins Haus zu lassen. »Meine Nachbarin hat mir schon erzählt, daß Sie überall herumgehen.«

Das Zimmer, in das sie kamen, war voller Qualm, und die Deckenleuchte - ein Holzgestell mit Pergamentschirm - verbreitete trübes Licht. Der Fernseher plärrte laut, aber Mrs. Quine machte keinerlei Anstalten, den Ton leiser zu drehen. Es war nicht aufgeräumt und auch nicht besonders sauber. Ein kleines Mädchen saß an einem Plastiktisch und schluchzte und schniefte.

»Sieh mal, wer da kommt, Lisa Dawn.« Das Kind richtete den Blick auf Barnaby. »Ich hab’ dir doch gesagt, daß ich die Polizei hole, wenn du nicht brav bist.« Wieder flossen Tränen. »Schauen Sie, was sie gemacht hat, Herr Polizist.« Mrs. Quine nahm etwas Dunkles, Feuchtes vom Tisch. »Ihr Bilderbuch von der Geburt Jesu. Sie hat es erst zu Weihnachten bekommen. Überall verschmierte schwarze Johannisbeeren.« Sie schlug das Buch auf. Jesus, Maria, Josef und die Tiere im Stall, bunt und reich verziert, erhoben sich aus der Seite. »In diesem Haus bleibt nichts auch nur für fünf Minuten schön und neu.«

»Es war sicher ein Versehen.« Barnaby lächelte Lisa Dawn an. Sie rieb sich traurig die Augen und schniefte wieder. Er wandte sich an Mrs. Quine, die nervös im Zimmer umherlief, dabei heftig an ihrer Zigarette zog und die Asche achtlos auf dem Boden verstreute. »Ich bin immer im Streß«, erklärte sie.

»Soviel ich hörte, haben Sie für Miss Simpson gearbeitet.«

»Das stimmt. Bei ihr und im Tye House. Ich war auch bei der anderen alten Schachtel, aber nur eine Woche. Sie sagte, ich kann machen, was ich will, solange ich ihre Sachen nicht verstelle. Wie kann man richtig sauber machen, wenn man nichts anfassen darf, können Sie mir das vielleicht sagen?«

»Sprechen Sie von Miss Bellringer?«

»Ganz genau.«

»Sind Sie am Morgen nach Miss Simpsons Tod zur üblichen Zeit zu ihr gegangen?«

»Natürlich - ich hatte keinen Grund, nicht zu ihr zu gehen. Miss Bellringer schaute aus dem Fenster. Sie kam raus und sagte mir Bescheid. Sie können sich setzen, wenn Sie wollen.«

»Wie bitte? Oh, danke.« Barnaby hockte sich auf die Kante des schmuddeligen schwarzen Vinylsofas. Aus einem der Polster quollen verschiedenfarbige Schaumstoffschnipsel aus einem Schlitz.

»Sie gab mir eine Tasse Tee für den Fall, daß ich mich schlecht fühle. Danach ging ich zum Tye House.«

»Es muß ein Schock für Sie gewesen sein.«

»Klar. Der Doktor war erst kurz vorher bei ihr. Sie hatte es mit den Bronchien zu tun, aber er meinte, wenn sie gut auf sich aufpaßt, würde sie es noch gut zehn Jahre machen.« Mrs. Quine zündete sich eine frische Zigarette am Stummel der alten an. »Jetzt wissen wir, warum sie sterben mußte, nicht wahr? Verdammte Vergewaltiger. Gerade gestern hat man einen ganz groß im Fernsehen gesehen. Ich weiß genau, was ich mit so einem machen würde.« Sie setzte sich an den Kamin und warf die Zigarettenkippe auf den leeren Rost. Ihr Fuß trommelte heftig auf den Teppich. Sie inhalierte den Rauch mit solcher Kraft, daß sich ihre Wangen nach innen zogen. »Armes altes Mädchen. Und das in ihrem Alter!«