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Barnaby ersparte sich jeglichen Kommentar zu dieser wilden Spekulation und fragte statt dessen, ob Miss Simpson eine gute Arbeitgeberin gewesen sei.

»O ja ... sie mochte es, wenn alles so war wie immer, aber ich kannte mich aus bei ihr. Wir sind gut miteinander ausgekommen.«

»Und wie ist es im Tye House?«

Sie lächelte entgegenkommend und entblößte glatte, falsche Zähne. »Sie haben sich dort schon umgesehen, nicht wahr?« Als Barnaby nickte, fuhr sie fort: »Komische Leute, was? Die alte Phyllis Cadell läßt nicht locker. Man merkt sofort, woher bei der der Wind weht. Sie wollte unbedingt den leeren Platz an seiner Seite einnehmen. Sie hat sich schon mächtig ins Zeug gelegt, als Mrs. Trace noch lebte. Sie machte sich unentbehrlich - wenigstens hat sie sich das eingebildet. Sie hätten sie nach dem Jagdunfall erleben sollen! Sie hat immer versucht, betrübt auszusehen, solange jemand in der Nähe war. Von wegen betrübt! Sie war außer sich vor Freude. Man konnte ihr richtig ansehen, womit sie als nächstes rechnete. Dann fing Miss Großbritannien vom Holly Cottage an, ständig ein und aus zu gehen, und schnappte ihr den Jackpot vor der Nase weg. An dem Morgen, an dem die Verlobung bekanntgegeben wurde, dachte ich, Miss Cadell würde sich unter den nächstbesten Bus werfen. Da hab’ ich was mitgemacht, das kann ich Ihnen sagen.«

»Um zum letzten Freitag zurückzukommen, Mrs. Quine... waren Sie am Nachmittag in der Gemeindehalle?«

»Ich? Mit diesem Volk herumlungern? Sie machen wohl Witze? Frauenorganisation - ein Haufen hochnäsige Snobs sind das. Sie können sich ihre Blumenarrangements sonstwohin stecken. Genau wie ihre verdammten eingelegten Walnüsse und das ganze andere Zeug.«

»Dann waren Sie also zu Hause?«

»Ja. Vor dem Fernseher. Stimmt’s, Lisa Dawn? Den ganzen Nachmittag. Nur Lisa Dawn ist in den Laden gelaufen, um ein paar Chips zu holen.« Barnaby sah Lisa Dawn an, deren dünne Beinchen mindestens vierzig Zentimeter über dem Boden baumelten. Mrs. Quine schien zu erraten, was er dachte, und setzte hinzu: »Sie kann prima ganz allein über die Straße gehen. Und sie kommt immer sofort zurück. Sie ist schon ein großes Mädchen, das bist du doch, oder? Sag dem netten Polizisten, wie alt du bist.«

»Bald vier«, flüsterte das kleine Mädchen.

»Du bist schon vier. Sie ist gute vier«, stellte Mrs. Quine klar, als würde sie über die Schuhgröße von jemandem reden. »Und wer hat dir Bonbons in dem Laden gekauft?«

»Judy.«

»Tante Judy. Das ist Doktor Lessiters Tochter. Sie schenkt ihr oft etwas. Zu Ostern hat sie ihr ein großes Ei mit einem Häschen drin gekauft.« Lisa Dawn fing wieder an zu weinen. »O Gott - sei still, ja? Was sollen denn die Herren von dir denken? Ich hätte das nicht sagen dürfen ... das mit dem Ei. Der Hund von nebenan hat sich von seiner Kette losgerissen und ihren Hasen gepackt.«

»Armer Smokey.«

»Schon gut, schon gut. Du bekommst einen anderen.«

»Wie spät war es, als Ihre Tochter zum Laden ging?«

»Genau weiß ich das nicht mehr. Wir haben Söhne und Töchter zu Ende gesehen, das läuft, glaube ich, bis kurz nach drei.«

»Und das war wirklich am Freitag, dem siebzehnten?«

»Das hab’ ich doch gesagt, oder?« Sie zündete sich die dritte Zigarette an.

»Und Sie waren auch den ganzen Abend daheim?«

»Ich kann nirgendwohin wegen der Kleinen.«

»Ich danke Ihnen.« Während Troy ihre Aussage noch einmal vorlas, rauchte Mrs. Quine, tippte unruhig mit dem Fuß auf den Boden und seufzte. Barnaby versuchte, mit Lisa Dawn zu reden, aber das Kind wich vor ihm zurück und wandte den Kopf ab. Die kleinen Ärmchen waren mit häßlichen blauen Flecken übersät. Bevor sie die angefaulten Torpfosten erreichten, hörte Barnaby sie wieder weinen.

Barnaby schaltete in seinem Büro den Ventilator ein und bat darum, daß ihm jemand Kaffee und ein Sandwich aus der Kantine holte. Bevor die Polizistin Brierley seine Wünsche erfüllte, sagte sie: »Ich habe Ihnen eine Nachricht auf den Tisch gelegt, Sir. Eine Miss Bazely hat sich gemeldet und ihre Büronummer hinterlassen. Sie bittet um einen Rückruf.«

Barnaby nahm den Hörer ab und wählte. Die blauen Propeller des Ventilators brummten zwar heftig, richteten jedoch nicht viel aus; sie wirbelten lediglich die heiße Luft in Barnabys schweißnasses Gesicht. »Miss Bazely? Hier Detective Chief Inspector Barnaby.«

»O ja ... hallo. Sie erinnern sich, daß ich neulich, als wir miteinander sprachen, das Gefühl hatte, etwas vergessen zu haben?«

»Ja.«

»Mir ist wieder eingefallen, was es war. Soll ich es Ihnen jetzt gleich sagen?«

»Ja, bitte.«

»Ich war gestern mit meiner Schwester in High Wycombe. Sie heiratet im nächsten Monat, und ich bin ihre Brautjungfer, verstehen Sie. Wir waren bei der Anprobe meines Kleides. Das Geschäft ist ganz in der Nähe vom Bahnhof und heißt Anna Belinda. Und genau das sagte Miss Simpson bei dem Telefongespräch. Zumindest beinahe.«

»Können Sie sich an Genaueres erinnern?«

»Ja. Sie sagte: >Genau wie die arme Annabella.<«

»Sind Sie sicher?«

»Ganz sicher.«

»Nicht nur >Bella<?«

»Nein. Sie sagte eindeutig >Annabella<.«

Barnaby legte auf und starrte nachdenklich den Telefonapparat an. Sein Sandwich (Hühnchen mit Wasserkresse) und köstlicher Kaffee aus der Büromaschine wurden ihm gebracht. Barnaby nahm alles entgegen und wies die Polizistin Brierley an: »Rufen Sie das Jugendamt an. Ich denke, sie sollten jemanden zum Burnham Crescent Nummer sieben in Badger’s Drift schicken.«

»Was soll ich ihnen sagen, Sir?«

»Oh ... es handelt sich um Kindesmißhandlung. Der Name der Frau ist Quine. Sie selbst braucht auch Hilfe. Sie steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch, würde ich sagen. Und fragen Sie in Slough nach der Adresse und der Telefonnummer einer Mrs. Norah Whiteley. Sie ist Lehrerin in einer Privatschule. Ein neunjähriger Sohn.« Er biß beherzt in sein Sandwich und reduzierte es auf die Hälfte, dann nahm er wieder den Telefonhörer in die Hand und wählte. »Miss Bellringer? Wissen Sie zufällig, ob Ihre Freundin eine Annabella kannte?« Langes Schweigen am anderen Ende der Leitung, dann eine abschlägige Antwort. »Könnte sie vielleicht die verstorbene Mrs. Trace damit gemeint haben?«

»O nein... ihr Name war Beatrice. Sie nannte sich Bella, weil sie glaubte, das würde schöner klingen.«

»Wußte das auch Miss Simpson?«

»Ganz bestimmt. Ich erinnere mich, daß sie mir gegenüber äußerte, Mrs. Trace hätte sich falsch entschieden. Sie hielt Beatrice für einen sehr schönen Namen, aber Bella fand sie eher gewöhnlich.« Sie machte eine Pause, um Luft zu holen. »Vor Jahren hatte ich eine Isabella in meiner Musikklasse. Ein braves, untadeliges Kind. Ich glaube, sie ist jetzt Diakonissin. Hilft Ihnen das weiter?«

Barnaby dankte ihr und verabschiedete sich. Er hatte für einen Moment vergessen, daß Miss Simpson beinahe vierzig Jahre lang Lehrerin gewesen war. Es bestand durchaus die Chance, daß sie - auch wenn der Name nicht gerade häufig vorkam - im Laufe dieser langen Zeit ein oder zwei Annabellas neben all den Joans und Janes unterrichtet hatte. Und offenbar hatte sich Miss Simpson an eine Annabella erinnert gefühlt, als sie das sich liebende Pärchen entdeckt hatte. Wie früh haben die Mädchen vor zwanzig, dreißig, vierzig Jahren mit derlei Abenteuern angefangen? Wahrscheinlich genauso früh wie heute, überlegte er. Manche Dinge ändern sich nicht.