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Das Mädchen von der Auskunft wußte sofort, was sie meinte, und gab ihr die Nummer der Samariter. Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang tröstlich und ermutigend. Ein wenig jung vielleicht, aber freundlich und aufrichtig interessiert. Und, was am wichtigsten war, sie versicherte, die Angelegenheit absolut vertraulich zu behandeln. Miss Simpson nannte auf eine entsprechende Frage ihren Namen und hatte kaum begonnen, die Situation zu schildern, als ein Geräusch sie unterbrach. Sie hörte auf zu reden und lauschte. Da war es wieder.

Jemand klopfte leise, aber hartnäckig an die Hintertür.

Teil Eins

Verdacht 

I

»Da stimmt etwas nicht, und ich erwarte, daß Sie etwas unternehmen. Ist die Polizei nicht dazu da?«

Sergeant Troy konzentrierte sich auf seine Atmung - diesen Trick hatte er in der Polizeischule gelernt, von einem Kollegen, der sich eingehend mit T’ai Ch’i und anderen fernöstlichen Techniken beschäftigt hatte. Die Methode war sehr nützlich, wenn er sich Beschimpfungen von Autofahrern anhören mußte und wenn er es mit aufsässigen Jugendlichen oder, wie jetzt, mit übergeschnappten alten Ladies zu tun hatte.

»In der Tat, das sind wir, Miss... äh ...« Der Sergeant tat so, als wäre ihm ihr Name entfallen. Gelegentlich führten derartige Manöver dazu, daß es sich die Leute noch einmal gründlich überlegten, ob ihr Besuch der Mühe wert war. Manche zogen dann unverrichteter Dinge ab, und das ersparte dem Sergeant eine Menge Papierkram.

»Bellringer.«

»Sind Sie sicher, daß diese Angelegenheit eine Sache für die Polizei ist? Ihre Freundin war in einem gesegneten Alter, sie ist gefallen, und das war zuviel für sie. So was kommt häufig vor, wissen Sie?«

»Unsinn.«

Sie hatte eine Stimme, die ihm gehörig auf die Nerven ging: klar, autoritär und sehr, sehr vornehm. Ich wette, sie hat früher ein paar Dienstmägde herumkommandiert, dachte er, den Ausdruck leicht in seinem Gedächtnis findend. Er und seine Frau hatten sich kürzlich im Fernsehen ein tolles Komödienstück angesehen.

»Sie war stark wie ein Ochse«, stellte Miss Bellringer klar. »Wie ein Ochse.« Ihre Stimme bebte bei dieser Wiederholung. Lieber Himmel, dachte Sergeant Troy, die alte Nebelkrähe fängt doch jetzt nicht zu heulen an, oder? Automatisch holte er die Papiertaschentücher unter dem Pult hervor und konzentrierte sich wieder auf seine Atmung.

Miss Bellringer ignorierte die Tücher. Ihr linker Arm verschwand in der riesigen bestickten Tasche. Sie kramte eine Weile herum, dann beförderte sie eine runde, mit Edelsteinen besetzte Schnupftabakdose zutage. Sie öffnete sie und häufte eine Prise von dem ingwerfarbenen Pulver auf ihren Handrücken. Sie hielt sich erst das eine, dann das andere Nasenloch zu, als sie den Tabak schnupfte. Nachdem sie die Dose wieder weggesteckt hatte, nieste sie mit erstaunlicher Vehemenz. Sergeant Troy grabschte nach den Papieren auf dem Pult und hielt sie vorsichtshalber fest. Sobald sich der Staub wieder gelegt hatte, kreischte Miss Bellringer: »Ich möchte mit Ihrem Vorgesetzten sprechen!«

Es hätte Sergeant Troy eine diebische Freude bereitet, ihr mitzuteilen, daß keiner seiner Vorgesetzten verfügbar sei. Unglücklicherweise entsprach das jedoch nicht der Wahrheit. Chief Inspector Barnaby war erst heute aus dem Urlaub zurückgekommen und arbeitete in seinem Büro liegengebliebene Akten auf.

»Darf ich Sie um einen Moment Geduld bitten?« fragte Troy und vermied tunlichst, das Wörtchen >Madam< hinzuzufügen. Während er an Barnabys Tür klopfte, bemühte er sich, sein Gesicht so ausdruckslos zu halten, daß man ihm seine Gedanken über Miss Bellringers Senilität nicht ansah. Der Chief Inspector konnte mitunter sehr ungemütlich werden. Er war ein großer, massiger Mann und strahlte eine gelassene Autorität aus, die schon gerissenere Männer als Gavin Troy in die Schranken verwiesen hatte, wenn sie vorschnelle Urteile geäußert hatten.

»Was gibt’s, Sergeant?«

»Da ist eine alte ... eine ältere Dame bei mir, Sir. Eine Miss Bellringer aus Badger’s Drift. Sie besteht darauf, mit einem höheren Beamten zu sprechen. Ich meine, mit jemand anderem als mit mir.«

Barnaby hob den Kopf. Er sieht nicht so aus wie jemand, der gerade Urlaub hatte, dachte Sergeant Troy. Er macht einen abgespannten, kranken Eindruck. Dieser Gedanke gefiel ihm nicht. Das Tablettenfläschchen, das Barnaby immer bei sich hatte, stand neben einem Wasserglas auf dem Schreibtisch.

»Worum geht es?«

»Ihre Freundin ist gestorben, und sie ist nicht zufrieden.«

»Wer ist das schon in einer solchen Situation?«

Der Sergeant formulierte sein Anliegen anders - offenbar hatte der Chief heute seinen sarkastischen Tag. »Ich meinte damit: Sie ist überzeugt, daß etwas nicht mit rechten Dingen zuging.«

Chief Inspector Barnaby warf einen Blick auf die Akte, die ganz oben auf dem Stapel lag: ein besonders unerfreulicher Fall von Kindesmißhandlung. Es wäre ihm sehr angenehm, wenn er sich noch einen kleinen Aufschub gönnen könnte und sich erst später mit den unappetitlichen Details auseinandersetzen müßte. »Also schön. Führen Sie sie herein.«

Miss Bellringer ließ sich auf dem Stuhl nieder, den Sergeant Troy für sie zurechtgerückt hatte, und arrangierte ihre Textilien. Sie bot einen wunderlichen Anblick - man hatte den Eindruck, daß sie sich für diesen Anlaß eher geschmückt als angekleidet hatte. Ihr wallendes Gewand hatte an manchen Stellen einen trüben Schimmer angenommen, als wäre es vor langer, langer Zeit einmal mit reichen Stickereien verziert gewesen. Sie trug mehrere wunderschöne Ringe, aber die Steine waren schmutzig und glanzlos. Auch unter ihren Fingernägeln hatte sich Dreck angesammelt. Ihre blitzenden Augen wirkten rastlos in dem faltigen, braunen Gesicht. Sie sah aus wie ein ramponierter Adler.

»Ich bin Chief Inspector Barnaby. Kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Na ja ...« Sie musterte ihn zweifelnd. »Darf ich fragen, wieso Sie in diesen Klamotten sind?«

»In was? Oh ...« Er folgte ihrem strengen Blick. »Ich bin Detective - die tragen keine Uniformen.«

»Aha.« Beruhigt fuhr sie fort: »Ich möchte, daß Sie in einem Todesfall Nachforschungen anstellen. Meine Freundin Emily Simpson war achtzig Jahre alt, und nur deshalb hat man ohne genauere Untersuchungen einen Totenschein ausgefüllt. Wenn sie halb so alt gewesen wäre, hätte man sicher Fragen gestellt oder eine Autopsie vorgenommen.«

»Nicht unbedingt, Miss Bellringer. Das hängt immer von den Umständen ab.«

Es war Jahre her, seit Barnaby eine derartige Aussprache zum letztenmal gehört hatte - damals bei seinen ersten Kinobesuchen. Die Nachkriegsfilme waren voll gewesen mit anständigen, aufrechten Engländern in Bügelfaltenhosen, und alle hatten diesen übertriebenen Akzent gehabt.

»Na, in diesem Fall sind die Umstände in der Tat sehr merkwürdig.«

Barnaby fand gar nichts merkwürdig daran, daß eine Frau mit achtzig Jahren starb, nahm aber einen Stift und Notizblock zur Hand. Offensichtlich hatte der Postbote die Freundin seiner Besucherin auf dem Teppich vor dem Kamin gefunden. Er wollte ein Päckchen ausliefern und brauchte ihre Unterschrift, und als niemand auf sein Klopfen reagierte - nur der Hund kläffte wie wild, spähte er durch das Wohnzimmerfenster.

»Er kam sofort zu mir. Er ist seit Jahren unser Postbote, verstehen Sie, und kannte uns beide. Ich habe Doktor Lessiter angerufen...«

»Ist das der Hausarzt Ihrer Freundin?«