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Egwene hätte beinahe in ihrer Verwirrung den Kopf geschüttelt. Eine Freundin von ihr liegt im Sterben? Es klingt, als wolle sie uns lediglich um eine Tasse Hafermehl bitten!

»Ich werde ihr helfen, wenn ich kann«, sagte Nynaeve bedächtig. »Ich kann aber nichts versprechen, Aviendha. Es könnte sein, daß sie trotz meiner Bemühungen sterben wird.«

»Der Tod kommt zu uns allen«, sagte die Aiel. »Wir können lediglich wählen, wie wir ihm gegenübertreten wollen. Ich bringe Euch zu ihr.«

Zwei Frauen in Aiel-Kleidung erhoben sich in kaum zehn Schritt Entfernung, eine aus einer kleinen Mulde, von der Egwene geglaubt hatte, in ihr könne sich nicht einmal ein Hund verstecken, die andere aus Grasbüscheln, die ihr nicht einmal bis zu den Knien reichten. Beim Aufstehen nahmen sie ihre schwarzen Schleier ab. Das ließ sie leicht zusammenfahren, denn Elayne hatte ihr gesagt, daß die Aiel ihre Gesichter nur dann dahinter verbargen, wenn sie zu kämpfen und töten erwarteten. Sie legten sich die Tücher um die Schultern. Eine von ihnen hatte das gleiche rötliche Haar wie Aviendha und dazu graue Augen. Die andere hatte dunkelblaue Augen und Haar, das wie ein Flammenbündel leuchtete. Keine war älter als Egwene oder Elayne, und beide machten den Eindruck, als seien sie durchaus bereit, die kurzen Speere in ihren Händen auch zu benutzen.

Die Frau mit dem Feuerhaar reichte Aviendha Waffen: ein langes Messer mit schwerer Klinge, das sie sich an den Gürtel hängte, und auf die andere Seite hängte sie einen prall gefüllten Köcher. Ihr dunkler, matt wie Horn schimmernder Bogen steckte in einem Behälter, den sie sich auf den Rücken hängte. Am linken Arm steckte ein kleiner Lederschild und in der gleichen Hand hielt sie schließlich vier Kurzspeere mit langen Blattspitzen. Aviendha trug das alles mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie eine Frau in Emondsfeld ihren Schal, ebenso natürlich wie auch ihre Gefährtinnen. »Kommt«, sagte sie und ging in Richtung eines Gestrüpps, an dem sie vorher vorbeigekommen waren.

Egwene ließ nun endlich auch Saidar fahren. Sie vermutete, jede dieser Aiel könne sie mit einem dieser Speere erstechen, bevor sie sich zur Wehr setzen konnte, falls sie das im Sinn hatten. Aber trotz der augenscheinlichen Wachsamkeit dieser Frauen glaubte sie nicht an eine solche Absicht. Und was geschieht, wenn Nynaeve ihre Freundin nicht heilen kann? Ich wünschte, sie würde zuerst einmal fragen, bevor sie uns alle mit ihren einsamen Entscheidungen in Gefahr bringt!

Während sie auf die Bäume und Büsche zuschritten, beobachteten die Aiel das sie umgebende Land so aufmerksam, als befürchteten sie, es könnten sich Feind dort befinden, die genauso gut im Verbergen waren wie sie selbst. Aviendha schritt voran, und Nynaeve hielt mit ihr Schritt.

»Ich bin Elayne aus dem Hause Trakand«, sagte Egwenes Freundin, als wolle sie eben Konversation machen. »Tochter-Erbin von Morgase, der Königin von Andor.«

Egwene kam ins Stolpern. Licht, spinnt sie denn? Ich weiß, daß Andor im Aiel-Krieg gegen sie kämpfte. Das ist vielleicht zwanzig Jahre her, aber man sagt, die Aiel hätten ein sehr gutes Gedächtnis für so etwas.

Doch die flammenhaarige Aiel neben ihr sagte nur: »Ich bin Bain aus der Schwarzfelsen-Septime der Shaarad Aiel.«

»Ich heiße Chiad«, sagte die kleinere Frau mit dem helleren Haar auf der anderen Seite. »Ich komme von der Steinfluß-Septime der Goschien Aiel.«

Bain und Chiad blickten Egwene an. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich nicht, aber Egwene hatte das Gefühl, sie würfen ihr insgeheim schlechte Manieren vor.

»Ich heiße Egwene al'Vere«, sagte sie also zu ihnen. Da sie mehr zu erwarten schienen, fügte sie hinzu: »Tochter der Marin al'Vere aus Emondsfeld im Gebiet der Zwei Flüsse.« Damit schienen sie sich auf gewisse Weise zufriedenzugeben, aber sie hätte wetten können, daß die Aiel-Frauen dies alles genausowenig verstanden wie sie all ihre Septimen und Clans. Es müssen wohl so etwas wie Familien sein.

»Seid Ihr Erstschwestern?« Bain schien sie alle drei zu meinen.

Egwene glaubte, sie meinte damit Schwestern im Sinne der Aes Sedai und sagte »Ja«, während Elayne gleichzeitig »Nein« sagte.

Chiad und Bain tauschten Blicke, die andeuteten, die drei anderen Frauen seien wohl nicht ganz recht im Kopf.

»Erstschwestern«, sagte Elayne in belehrendem Ton zu Egwene, »bedeutet: Frauen, die die gleiche Mutter haben. Zweitschwestern heißt, ihre Mütter sind Schwestern.« Sie wandte sich den Aiel zu. »Keine von uns weiß viel über Euer Volk. Ich bitte Euch, unsere Unwissenheit zu verzeihen. Ich betrachte Egwene manchmal als meine Erstschwester, aber wir sind keine Blutsverwandten.«

»Warum legt Ihr dann kein Gelübde vor Euren Weisen Frauen ab?« fragte Chiad. »Bain und ich sind dadurch zu Erstschwestern geworden.«

Egwene zwinkerte überrascht. »Wie könnt Ihr zu Erstschwestern werden? Entweder habt Ihr die gleiche Mutter oder nicht. Ich möchte Euch ja nicht kränken. Das meiste dessen, was ich über die Töchter des Speers weiß, hat mir Elayne erzählt. Und das ist nicht viel. Ich weiß, daß Ihr in Schlachten kämpft und keine Männer wollt, aber mehr auch nicht.« Elayne nickte. So, wie sie die Töchter Egwene gegenüber beschrieben hatte, klang es nach einem Zwischending zwischen weiblichen Behütern und den Roten Ajah.

Wieder hatten die Aiel diesen Ausdruck in den Augen, als seien sie nicht sicher, ob Egwene und Elayne noch recht im Kopf waren.

»Wir wollen keine Männer?« murmelte Chiad, als sei ihr das ein Rätsel.

Bain runzelte die Stirn und dachte offensichtlich angestrengt nach. »Was Ihr sagt, kommt der Wahrheit nahe und ist trotzdem völlig falsch. Wenn wir dem Speer angetraut werden, schwören wir, uns nie an Mann oder Kind zu binden. Doch einige geben den Speer eines Mannes oder eines Kindes wegen auf.« Ihr Gesichtsausdruck zeigte ob des Gesagten Unverständnis. »Aber wenn der Speer einmal aufgegeben wurde, kann man ihn nie zurückerhalten.«

»Oder wenn sie erwählt wird, zu Rhuidean zu gehen«, warf Chiad ein. »Eine Weise Frau kann nicht dem Speer angetraut sein.«

Bain sah sie an, als habe sie verkündet, der Himmel sei blau oder Regen falle aus den Wolken herab. Doch dann blickte sie Egwene und Elayne an, und es schien ihr zu dämmern, daß die beiden all dies wirklich nicht wußten. »Ja, das stimmt. Auch wenn einige sich dagegen zu wehren versuchen.«

»Das schon.« Chiads Tonfall klang so, als teile sie ein diesbezügliches Geheimnis mit Bain.

»Aber ich habe mich nun zu weit von der eigentlichen Absicht meiner Erklärungen abbringen lassen«, fuhr Bain fort. »Die Töchter tanzen den Speertanz niemals miteinander, auch wenn unsere Clans das gelegentlich tun, aber die Shaarad Aiel und die Goschien Aiel haben vierhundert Jahre lang Blutrache aneinander geübt. So hatten Chiad und ich das Gefühl, es reiche uns nicht, dem Speer angetraut zu sein. Wir gingen zu den Weisen Frauen unserer Clans und legten dort den Eid ab — wobei sie genau wie ich unser Leben riskierten —, der uns zu Erstschwestern machte. Wie es sich für Erstschwestern unter den Töchtern gehört, decken wir einander den Rücken, und keine wird sich ohne die andere einem Mann zuwenden. Aber ich würde nicht behaupten, daß wir keine Männer wollen.« Chiad nickte mit der Andeutung eines Lächelns auf den Lippen. »Habe ich Euch die Wahrheit klargemacht, Egwene?«

»Ja«, sagte Egwene mit schwacher Stimme. Sie sah Elayne in die Augen, und in deren blauen Tiefen stand dieselbe Verwirrung geschrieben wie in ihren dunklen. Keine Roten Ajah. Vielleicht eher Grüne. Eine Mischung von Behütern und Grünen Ajah, und eigentlich kapiere ich gar nichts davon. »Mir ist nun das alles durchaus klar, Bain. Ich danke Euch.«