Выбрать главу

»Wir sollten uns auf den Weg machen«, sagte Nynaeve.

»Einen Moment noch«, warf Elayne ein. »Aviendha, warum seid Ihr von soweit hergekommen und habt solche Strapazen auf Euch genommen?«

Aviendha schüttelte verächtlich den Kopf. »Wir sind gar nicht weit gekommen. Wir waren unter den letzten, die sich aufmachten. Die Weisen Frauen haben mich in die Enge getrieben wie die Wildhunde ein verirrtes Kalb. Sie sagten, ich hätte andere Pflichten zu erfüllen.« Plötzlich grinste sie und deutete auf die anderen Aiel. »Die hier blieben zurück, um mich in meiner Seelennot zu trösten, sagten sie, aber ich glaube nicht, daß mich die Weisen Frauen hätten gehen lassen, wenn sie nicht dagewesen wären, um mich zu begleiten.«

»Wir suchen den, von dem die Prophezeiungen sprachen«, sagte Bain. Sie hielt den Oberkörper der schlafenden Dailin aufrecht, damit ihr Chiad ein braunes Leinenhemd überziehen konnte. »Er, Der Mit Der Morgendämmerung Kommt.«

»Er wird uns aus dem Dreifachen Land führen«, fügte Chiad hinzu. »Die Prophezeiung besagt, daß er von einer Far Dareis Mai geboren wurde.«

Elayne blickte überrascht drein. »Ich dachte, Ihr hättet gesagt, die Töchter des Speers dürften keine Kinder haben. Jedenfalls hat man mir das so beigebracht.« Bain und Chiad tauschten wieder so einen Blick, als sei Elayne der Wahrheit nahe gekommen und habe sie dennoch wieder verfehlt.

»Wenn eine Tochter ein Kind bekommt«, erklärte Aviendha geduldig, »gibt sie das Kind den Weisen Frauen ihrer Septime, und die geben das Kind insgeheim einer anderen Frau, so daß niemand weiß, wessen Kind es ist.« Auch bei ihr klang es, als erkläre sie jemandem, daß ein Stein hart sei. »Jede Frau möchte ein solches Kind aufziehen, in der Hoffnung, daß Er es ist, Der Mit Der Morgendämmerung Kommt.«

»Oder vielleicht gibt sie den Speer auf und heiratet den Mann«, sagte Chiad, worauf Bain hinzufügte: »Es gibt manchmal Gründe, warum man den Speer aufgeben muß.« Aviendha blickte sie kurz und ausdruckslos an und fuhr fort, als hätten sie nichts gesagt: »Aber die Weisen Frauen behaupten jetzt, er könne hier, jenseits der Drachenmauer gefunden werden. ›Blut von unserem Blut, gemischt mit dem Alten Blut, und aufgezogen von einem uralten Blut, das nicht unser ist.‹ Ich verstehe das nicht, doch die Weisen Frauen haben keinen Zweifel an ihrer Behauptung zugelassen.« Sie legte eine Pause ein und suchte offensichtlich nach den richtigen Worten. »Ihr habt viele Fragen gestellt, Aes Sedai. Ich möchte Euch auch eine stellen. Ihr müßt verstehen, daß wir nach Omen und Anzeichen für Sein Kommen Ausschau halten. Warum befinden sich drei Aes Sedai in einem Land, in dem die einzige Hand, die keinen Dolch hält, einfach zu schwach ist, um den Griff zu packen; in dem die Menschen verhungern. Wohin wollt Ihr?«

»Tear«, sagte Nynaeve ungeduldig, »es sei denn, wir stehen hier herum, bis das Herz des Steins zu Staub vermodert.« Elayne begann damit, die Riemen ihres Bündels und ihrer Umhängetasche nachzuziehen, und einen Augenblick später schloß sich Egwene an.

Die Aiel-Frauen blickten sich an. Jolien erstarrte in ihrem Versuch, Dailins graubraunen Mantel zuzuknöpfen. »Tear?« fragte Aviendha mit beherrschter, aber doch leicht zitternder Stimme. »Drei Aes Sedai durchwandern ein vom Bürgerkrieg zerrissenes Land auf dem Weg nach Tear. Das ist eigenartig. Warum geht Ihr nach Tear, Aes Sedai?«

Egwene sah Nynaeve an. Licht, vor einem Augenblick noch haben sie gelacht, und jetzt sind sie so nervös wie zuvor.

»Wir jagen einige böse Frauen«, sagte Nynaeve vorsichtig. »Schattenfreunde.«

»Schattenläufer.« Jolien verzog den Mund dabei, als habe sie in einen verfaulten Apfel gebissen.

»Schattenläufer in Tear«, sagte Bain, und wie um ihren Satz zu beenden, fügte Chiad hinzu: »Und drei Aes Sedai wollen ins Herz des Steins.«

»Ich habe nicht gesagt, daß wir zum Herzen des Steins wollten«, sagte Nynaeve in scharfem Ton. »Ich habe lediglich gesagt, ich will nicht hier herumstehen, bis es zu Staub zerfällt. Egwene, Elayne, seid ihr fertig?« Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern stolzierte aus dem Dickicht hinaus. Sie stieß ihren Wanderstock kräftig auf den Boden und ging mit langen Schritten nach Süden.

Egwene und Elayne verabschiedeten sich schnell und folgten ihr dann. Die vier Aiel-Frauen standen da und beobachteten sie.

Als sie und Elayne sich ein Stück von den Bäumen entfernt hatten, sagte Egwene: »Mir ist fast das Herz stehengeblieben, als du deinen richtigen Namen genannt hast. Hattest du keine Angst, daß sie versuchen, dich zu töten oder gefangenzunehmen? Der Aiel-Krieg ist noch nicht so lange her, und wenn sie auch behauptet haben, keiner Frau etwas zuleide zu tun, die den Speer nicht trägt, so wirkten sie aber auf mich, als wären sie nur zu schnell bereit, ihre Speere zu benutzen.«

Elayne schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich habe gerade erfahren, wieviel ich über die Aiel nicht weiß, aber man hat mir gesagt, die Aiel hielten den Aiel-Krieg überhaupt nicht für einen solchen. Nach ihrem Verhalten mir gegenüber neige ich dazu, diese Meinung zu teilen. Was man mir beigebracht hat, war wohl nicht ganz falsch. Oder vielleicht haben sie mich so behandelt, weil sie glaubten, ich sei eine Aes Sedai.«

»Ich weiß ja, daß sie komisch sind, Elayne, aber niemand kann drei Jahre voller Schlachten etwas anderes nennen als eben einen Krieg! Es ist mir gleich, wie oft sie untereinander kämpfen, aber ein Krieg ist ein Krieg.«

»Nicht für sie. Tausende von Aiel überquerten das Rückgrat der Welt, aber sie betrachteten sich als Verfolger eines Verbrechers oder als Henker, nachdem König Laman von Cairhien das Verbrechen begangen hatte, Avendoraldera zu fällen. Für die Aiel war es kein Krieg, sondern eine Hinrichtung.«

Avendoraldera war Verins Vorträgen nach ein Sproß des Lebensbaumes selbst gewesen, der vierhundert Jahre zuvor als völlig unerwartetes Friedensangebot der Aiel nach Cairhien gebracht worden war. Mit dem Baum hatten die Bürger Cairhiens das Recht erhalten, die Wüste zu durchqueren. Das war bis dahin nur Händlern, Gauklern und den Tuatha'an erlaubt gewesen. Viel vom Reichtum Cairhiens beruhte seither auf dem Handel mit Elfenbein, Parfum, Gewürzen und vor allem Seide aus den Ländern jenseits der Wüste. Nicht einmal Verin hatte eine Ahnung, woher die Aiel einen Sproß von Avendesora hatten. Zum einen stand in den alten Büchern ganz eindeutig, daß der Baum des Lebens keine Samen abwarf, und zum anderen wußte niemand, wo er sich überhaupt befand. Lediglich ein paar Legenden, die aber offensichtlich falsch waren, brachten ihn mit den Aiel in Zusammenhang. Was sollte die Tatsache damit zu tun haben, daß die Aiel die Menschen von Cairhien als Wasserbrüder bezeichneten und darauf bestanden, daß die Wagenzüge der Kaufleute aus Cairhien die Flagge mit dem dreifingrigen Blatt von Avendesora mit sich führen mußten?

Egwene mußte zerknirscht zugeben, daß sie sich nun vorstellen könne, warum die Aiel einen Krieg angefangen hatten, auch wenn sie ihn nicht für einen solchen hielten, wenn König Laman ihr Geschenk hatte fällen lassen, um sich daraus einen Thron anfertigen zu lassen, der auf der ganzen Welt einmalig war. ›Lamans Sünde‹ hatte man das später genannt. Verin zufolge hatte das nicht nur Cairhiens Handel durch die Wüste abrupt beendet, nein, alle Cairhienianer, die sich seither in die Wüste gewagt hatten, waren spurlos verschwunden. Verin behauptete, man sage, sie würden in den Ländern jenseits der Wüste als ›Tiere‹ verkauft, aber nicht einmal ihr war klar, wie ein Mann oder eine Frau überhaupt verkauft werden konnten.

»Egwene«, sagte Elayne, »du weißt doch, wer Er, Der Mit Der Morgendämmerung Kommt sein muß, oder?«

Sie blickte Nynaeves Rücken an, der sich immer noch ein gutes Stück vor ihnen befand, und schüttelte den Kopf. Will sie ein Wettrennen nach Jurene veranstalten? Dann wäre sie fast stehengeblieben. »Du meinst doch nicht etwa...?«