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Sie schob sich etwas hoch, so daß sie auf Händen und Knien ruhte, und dann war sie überrascht darüber, daß man sie überhaupt nicht gefesselt hatte. Die anderen Wände außer der aus ungeschältem Holz waren aus rohem Stein gebaut. Das durch die Ritzen fallende Licht reichte aus, um Nynaeve und Elayne zu erkennen, die hilflos im Schmutz lagen. Auf dem Gesicht der Tochter-Erbin klebte Blut. Sie rührten sich nicht. Nur ihre Oberkörper hoben und senkten sich leicht beim Atmen. Egwene zögerte. Sollte sie die beiden sofort wecken oder lieber erst nachsehen, was sich auf der anderen Seite der Wand befand? Nur ein kurzer Blick, sagte sie sich. Ich kann genausogut erstmal sehen, was uns da bewacht, bevor ich sie aufwecke.

Sie redete sich ein, es sei nicht deswegen, weil sie fürchtete, gar nicht in der Lage zu sein, sie aufzuwecken. Als sie ein Auge an eine der Ritzen in der Nähe der Tür preßte, dachte sie an das Blut auf Elaynes Gesicht und bemühte sich, sich genau daran zu erinnern, was Nynaeve im Falle Dailins getan hatte.

Der angrenzende Raum war groß — er mußte die ganze übrige Fläche des Blockhauses einnehmen, das sie gesehen hatte — und fensterlos. Goldene und silberne Lampen hingen an Wandhaken und an den Balken der hohen Decke und erleuchteten den Raum strahlend hell. Es gab keinen Kamin. Auf dem blanken Erdboden mischten sich Tische und Stühle aus Bauernhäusern mit vergoldeten und mit Elfenbein eingelegten Schatztruhen. Ein mit Pfauenmuster geschmückter Webteppich lag neben einem riesigen Himmelbett, das reichlich mit schmutzigen Decken und Kissen gepolstert war. Die Bettpfosten waren mit feinen, vergoldeten Schnitzereien bedeckt.

Ein Dutzend Männer saß oder stand im Raum herum, doch aller Augen waren auf einen hochgewachsenen, blonden Mann gerichtet, der sicher mit gewaschenem Gesicht gut ausgesehen hätte. Er stand mit einer Hand am Griff seines Schwertes über einem Tisch mit geschwungenen Beinen und vergoldeten eingelegten Runen. Ein Finger der anderen Hand schob etwas, das sie nicht sehen konnte, in kleinen Kreisbewegungen auf der Tischfläche umher.

Die Haustür öffnete sich. Die Nacht zeigte sich in der Öffnung, und dann trat ein schlaksiger Mann ein, dem das linke Ohr fehlte. »Er ist noch nicht gekommen«, sagte er grob. An seiner linken Hand fehlten auch zwei Finger. »Ich habe nicht gern mit denen zu tun.«

Der große Blonde achtete nicht auf ihn und schob immer noch irgend etwas auf dem Tisch hin und her. »Drei Aes Sedai«, murmelte er und dann lachte er auf. »Es gibt einen guten Preis für Aes Sedai, falls Ihr den Mut habt, mit dem richtigen Käufer zu verhandeln. Man muß halt riskieren, daß einem der Bauch durch das Maul gezogen wird, falls man versucht, ihm die Katze im Sack zu verkaufen. Nicht so risikolos, wie den Besatzungsmitgliedern auf einem Handelsschiff die Kehlen durchzuschneiden, eh, Coke? Nicht ganz so einfach, oder was meinst du?«

Nervosität machte sich unter den Männern breit, und der angesprochene, ein stämmiger Bursche mit unstetem Blick, beugte sich ängstlich vor. »Sie sind doch wohl Aes Sedai, Adden?« Sie erkannte diese Stimme. Es war der Mann, der diese unfeinen Andeutungen gemacht hatte. »Sie müssen, Adden. Die Ringe beweisen es, sage ich dir!« Adden nahm etwas in die Hand, das auf dem Tisch gelegen hatte — einen kleinen Reif, der im Laternenschein golden glitzerte.

Egwene schnappte nach Luft und befühlte ihre Hand.

Sie haben meinen Ring weggenommen!

»Es gefällt mir nicht«, sagte der schlaksige Mann, dem das Ohr fehlte. »Aes Sedai. Jede einzelne von ihnen könnte uns alle töten. Glück stich mich! Du bist wirklich ein Narr mit Pferdehirn, Coke, und ich sollte dir besser die Kehle durchschneiden. Was ist, wenn eine davon aufwacht, bevor er kommen?«

»Sie wachen noch stundenlang nicht auf.« Das war ein fetter Mann mit heiserer Stimme und einem schiefen Lachen, das seine Zahnlücken gut zur Geltung brachte. »Meine Oma hat mir das mit dem Zeug beigebracht, das wir ihnen eingeflößt haben. Sie schlafen bis Sonnenaufgang, und er wird lange vorher kommen.«

Egwene prüfte den Geschmack nach saurem Wein und das Bittere in ihrem Mund mit der Zunge. Was es auch war, deine Oma hat dich angelogen. Sie hätte dich lieber in der Wiege erdrosseln sollen! Bevor dieser ›er‹ kam, dieser Mann, der glaubte, Aes Sedai kaufen zu können — wie ein verdammter Seanchan! —, würde sie Nynaeve und Elayne auf die Beine bringen. Sie kroch zu Nynaeve hinüber.

Soweit sie sagen konnte, schien Nynaeve tief zu schlafen. Also begann sie erst einmal damit, sie leicht zu schütteln. Zu ihrer Überraschung öffnete Nynaeve wie auf Kommando die Augen.

»Wa...?«

Sie legte gerade noch rechtzeitig ihre Hand über Nynaeves Mund, um zu verhindern, daß sie laut sprach. »Wir sind Gefangene hier«, flüsterte sie ihr ins Ohr. »Auf der anderen Seite dieser Wand befindet sich ein Dutzend Männer, und weitere sind draußen. Sehr viele weitere. Sie haben uns etwas eingegeben, damit wir schlafen, aber das war ziemlich erfolglos. Erinnerst du dich wieder?«

Nynaeve schob Egwenes Hand beiseite. »Alles klar.«

Ihr Stimme klang leise und verbissen. Sie verzog das Gesicht und den Mund und lachte dann fast lautlos auf. »Schlafkraut. Diese Narren gaben uns Schlafkraut in Wein. So, wie es schmeckt, war der Wein schon beinahe Essig. Schnell, erinnerst du dich an das, was ich dir beigebracht habe? Was löst Schlafkraut aus?«

»Es vertreibt Kopfschmerz, damit man schlafen kann«, sagte Egwene genauso leise. Und beinahe genauso grimmig, bis ihr klar wurde, was sie ausgesprochen hatte. »Es macht einen ein wenig schläfrig, aber das ist auch alles.« Der fette Mann hatte bei seiner Oma nicht gut aufgepaßt. »Alles, was sie taten, war, uns dabei zu helfen, unsere Kopfschmerzen zu bekämpfen.«

»Genau«, bekräftigte Nynaeve. »Und sobald wir Elayne wach haben, werden wir uns so bei ihnen bedanken, daß sie es nicht mehr vergessen.« Sie stand auf und kauerte neben der goldhaarigen Frau nieder.

»Ich glaube, daß mehr als hundert Mann da draußen waren, als sie uns hereinbrachten«, flüsterte Egwene Nynaeves Rücken zu. »Ich bin sicher, du hast nichts dagegen, wenn ich diesmal die Macht wieder als Waffe verwende. Und irgend jemand will uns offensichtlich kaufen. Ich habe vor, diesem Burschen eine Lehre zu erteilen, die ihn dazu bringt, bis zum Ende seiner Tage im Licht zu wandeln!« Nynaeve beugte sich nach wie vor über Elayne, aber keine von beiden rührte sich. »Was ist los?«

»Sie ist schwer verletzt, Egwene. Ich glaube, sie hat einen Schädelbruch. Sie atmet kaum noch. Egwene, sie wird ebenso sicher sterben wie Dailin.«

»Kannst du nichts tun?« Egwene versuchte, sich an all die verschiedenen Machtströme zu erinnern, die Nynaeve verwoben hatte, um die Aiel-Frau zu retten, aber mehr als jeden dritten Fluß konnte sie sich nicht ins Gedächtnis zurückrufen. »Du mußt!«

»Sie haben mir meine Kräuter abgenommen«, jammerte Nynaeve mit zitternder Stimme. »Ich kann nicht! Nicht ohne die Kräuter!« Egwene stellte erschrocken fest, daß Nynaeve beinahe die Tränen kamen. »Seng sie alle, ich kann nicht ohne...!« Plötzlich packte sie Elayne bei den Schultern, als wolle sie die bewußtlose Frau anheben und schütteln. »Seng dich, Mädchen«, keuchte sie, »ich habe dich nicht so weit gebracht, um dich sterben zu sehen! Ich hätte dich in der Küche bei den Töpfen lassen sollen! Ich hätte dich in einen Sack stecken und Mat mitgeben sollen, damit er dich zu deiner Mutter schleppt! Ich lasse dich nicht einfach so sterben! Hörst du mich? Ich erlaube es nicht!« Mit einem Mal umgab das Glühen Saidars Nynaeve, und Elayne riß gleichzeitig Augen und Mund auf.