»Na ja, diesmal jedenfalls hast du etwas eingefangen«, sagte Perrin heiser. »Was hast du denn gemacht?«
Rand blickte auf, als sehe er alles zum erstenmaclass="underline" das umgestürzte Lederblatt und die abgebrochenen Äste. Es hatte, wie Perrin überrascht feststellte, wenig Schaden gegeben. Er hatte klaffende Risse in der Erde erwartet. Die Wand der Bäume wirkte beinahe unberührt.
»Ich wollte das nicht tun. Es war, als wolle ich einen Wasserhahn öffnen, und statt dessen zog ich den ganzen Hahn aus dem Faß. Es... erfüllte mich. Ich mußte es irgendwohin ableiten, um nicht zu verbrennen, aber ich... wollte das nicht tun.«
Perrin schüttelte den Kopf. Was nützt es, wenn ich ihm sage, er solle so was nicht wieder tun? Er weiß ja kaum mehr über all das als ich. Er beließ es dabei, zu sagen: »Es gibt schon genug, die dir und uns allen den Tod an den Hals wünschen — denen mußt du die Arbeit nicht noch abnehmen!« Rand schien ihm gar nicht zuzuhören. »Wir sollten besser zum Lager zurückkehren. Es wird bald dunkel, und ich weiß wohl nicht, wie es mit dir steht, aber ich habe Hunger.«
»Was? Ach, geh nur schon vor, Perrin. Ich komme nach. Ich möchte noch ein wenig allein sein.«
Perrin zögerte und wandte sich dann unwillig dem Riß in der Felswand zu. Er blieb stehen, als Rand wieder etwas sagte: »Hast du auch Träume, wenn du schläfst? Gute Träume?«
»Manchmal«, meinte Perrin mißtrauisch. »Ich erinnere mich selten an meine Träume.« Er hatte gelernt, den Inhalt seiner Träume zu hüten.
»Sie sind immer da, diese Träume«, sagte Rand so leise, daß ihn Perrin kaum hörte. »Vielleicht sagen sie uns etwas? Wahrheiten.« Er schwieg wieder und grübelte.
»Das Abendessen wartet«, sagte Perrin, aber Rand war ganz in Gedanken versunken. Schließlich wandte sich Perrin ab und ließ ihn dort allein.
3
Neues von der Ebene
Ein Teil des Risses war in Dunkelheit gehüllt, denn an einer Stelle hatten die Erschütterungen hoch oben einen Teil der Felswand gelöst, und er hatte sich zwischen den beiden Steilwänden verklemmt. Er blickte mißtrauisch nach oben in die Schwärze hinein, doch die Steinplatte schien ganz festgeklemmt zu sein. Das Jucken in seinem Hinterkopf war wieder da, aber stärker als zuvor. Nein, seng mich! Nein! Es verging wieder.
Als er über dem Lager heraustrat, war die Mulde von eigenartigen Schattengebilden bedeckt, die von der untergehenden Sonne geworfen wurden. Moiraine stand vor ihrer Hütte und blickte zu dem Riß hinauf. Er blieb abrupt stehen. Sie war eine schlanke, dunkelhaarige Frau, die ihm kaum bis zur Schulter reichte, und sie war hübsch auf diese alterslose Weise aller Aes Sedai, die lange Zeit über mit der Macht gearbeitet hatten. Er hätte nicht sagen können, wie alt sie sei, denn ihre Gesichtshaut war zu straff, um sehr alt zu sein, und ihre dunklen Augen blickten zu weise drein für eine junge Frau. Ihr tief dunkelblaues Seidenkleid war verrutscht und staubbedeckt, und aus ihrem normalerweise wohlgeordneten Haar standen einzelne Strähnen hervor. Auf ihrem Gesicht bemerkte er einen Hauch von Staub.
Er senkte den Blick. Sie wußte alles über ihn — von allen im Lager wußten nur sie und Lan Bescheid —, und ihm gefiel das Wissen in ihrem Blick nicht, wenn sie ihm in die Augen sah. In seine gelben Augen. Eines Tages würde er es vielleicht fertigbringen, sie zu fragen, was sie alles wußte. Die Aes Sedai wußte sicher einiges mehr als er selbst. Aber dies war nicht der richtige Zeitpunkt. Irgendwie schien nie Zeit dafür zu sein. »Er... er wollte es nicht. Es war ein... Unfall.«
»Ein Unfall, so«, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme. Dann schüttelte sie den Kopf und verschwand wieder in der Hütte. Die Tür schlug ein wenig lauter als üblich zu.
Perrin atmete tief durch und ging weiter hinunter zu den Lagerfeuern. Am Morgen, wenn nicht schon während der Nacht, würde es wieder Krach zwischen Rand und der Aes Sedai geben. An den Hängen der Mulde lagen ein halbes Dutzend umgestürzte Bäume, deren Wurzeln mitsamt der an ihnen festhängenden Erde aus dem Boden gerissen worden waren. Eine Schleifspur führte hinunter zum Bach und einem Felsblock, der sich vorher nicht dort befunden hatte. Eine der Hütten am gegenüberliegenden Hang war im Beben eingestürzt, und dort befanden sich die meisten der Schienarer. Sie bauten sie wieder auf. Der Ogier war in der Lage, einen Baumstamm aufzuheben, den vier Männer kaum tragen konnten. Gelegentlich hörte man von oben einen Fluch Unos.
Min stand an einem der Feuer und rührte mit aufgebrachter Miene in einem Topf herum. Auf ihrer Wange war ein kleiner Kratzer zu sehen, und in der Luft hing der schwache Geruch nach angebranntem Eintopf. »Ich hasse Kochen«, verkündete sie und spähte mit zweifelndem Blick in den Topf. »Wenn etwas damit nicht stimmt, dann ist es nicht meine Schuld. Rand hat die Hälfte davon über das Feuer gekippt mit seinem... Mit welchem Recht wirft er uns wie die Getreidesäcke durch die Gegend?« Sie rieb sich über die Sitzfläche und verzog das Gesicht vor Schmerz. »Wenn ich ihn in die Finger kriege, dann brate ich ihm eins über, daß ihm Hören und Sehen vergeht.« Sie schwenkte den Holzlöffel in Richtung Perrins, als wolle sie gleich mit ihm beginnen. »Wurde jemand verletzt?«
»Nur, wenn du Schrammen als Verletzungen betrachtest«, sagte Min zornig. »Natürlich waren alle zuerst ganz schön aufgeregt. Dann sahen sie, wie Moiraine hoch zu Rands Unterschlupf ging, und da waren sie sicher, daß er es angerichtet hatte. Wenn der Drache den Berg über unseren Köpfen zusammenbrechen lassen will, dann muß der Drache einen guten Grund dafür haben. Falls er sich entschließt, ihnen die Haut abzuziehen, und sie dann tanzen läßt, würden sie es auch in Ordnung finden.« Sie schnaubte und klopfte mit dem Löffel an die Kante des Topfes.
Er sah hoch zu Moiraines Hütte. Falls Leya verletzt oder gar getötet worden wäre, wäre die Aes Sedai nicht einfach wieder hineingegangen. Das Gefühl, abwarten zu müssen, war immer noch da. Was es auch sei, es ist jedenfalls noch nicht geschehen. »Min, vielleicht solltest du weggehen. Als erstes gleich am Morgen. Ich habe ein wenig Silber, das ich dir geben kann, und ich bin sicher, Moiraine würde dir genug geben, daß du die Fahrt auf einem Händlerwagen aus Ghealdan heraus bezahlen kannst. Du könntest im Nu wieder in Baerlon sein.«
Sie sah ihn so lange an, bis er sich schon fragte, ob er etwas Falsches gesagt habe. Schließlich antwortete sie: »Das ist sehr nett von dir, Perrin. Aber — nein, danke.«
»Ich dachte, du wolltest weg. Du beklagst dich doch immer so darüber, daß wir hier herumhocken.«
»Ich kannte einst eine alte Frau aus Illian«, sagte sie bedächtig. »Als sie jung war, arrangierte ihre Mutter für sie eine Heirat mit einem Mann, den sie noch nie gesehen hatte. Das machen sie unten in Illian manchmal. Sie sagte, sie habe die ersten fünf Jahre damit verbracht, sich gegen ihn aufzulehnen, und die nächsten fünf damit, zu planen, wie sie ihm das Leben schwer machen könne. Erst Jahre später, als er starb, wurde ihr klar, daß er in Wirklichkeit die große Liebe ihres Lebens gewesen war.«
»Ich weiß nicht, was das mit dem allen hier zu tun haben soll.«
Ihr Blick sagte aus, daß er sie offensichtlich nicht verstehen wolle, und ihre stimme klang nun aufreizend geduldig. »Nur, weil das Schicksal etwas für dich bestimmt hat und nicht du selbst, muß es nicht schlecht sein. Auch wenn es etwas ist, von dem du weißt, daß du es niemals von selbst angestrebt hättest. ›Besser zehn Tage Liebe als Jahre voller Reue‹«, zitierte sie.
»Das verstehe ich noch weniger«, sagte er. »Du mußt doch nicht bleiben, wenn du nicht willst.«
Sie hängte den Löffel an eine Astgabel, die in den Boden gesteckt worden war, und überraschte ihn damit, daß sie sich neben ihm auf die Zehenspitzen stellte und ihm einen Kuß auf die Wange gab. »Du bist ein sehr netter Mann, Perrin Aybara. Auch wenn du überhaupt nichts verstehst.«