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Perrin ließ Traber näher aufrücken und faßte hoch, um Loial auf die Schulter zu klopfen. Es war ein langer Weg für seine Hand — bis über Kopfhöhe. Da er sich Zarines Gegenwart in seinem Rücken nur zu bewußt war, wählte er seine Worte sorgfältig. »Loial, ich glaube nicht, daß Moiraine das zulassen würde. Du warst schon so lange bei uns, und sie scheint zu wünschen, daß du bei uns bleibst. Sie wird dich nicht von ihnen mitnehmen lassen, Loial.« Warum nicht? fragte er sich auf einmal. Sie hält mich hier, weil sie glaubt, ich sei für Rand wichtig, und vielleicht auch, damit ich niemanden etwas von dem erzähle, was ich weiß. Vielleicht will sie ihn aus demselben Grund hierbehalten.

»Natürlich würde sie es verhindern«, sagte Loial mit leicht gestärkter Stimme, und seine Ohren stellten sich auf. »Ich bin schließlich auch sehr nützlich. Es kann sein, daß sie wieder die Kurzen Wege benützen will, und das könnte sie nicht ohne mich.« Zarine rührte sich wieder an Perrins Rücken, und er schüttelte den Kopf, um Loial auf sie aufmerksam zu machen. Aber der schaute gar nicht her. Er schien gerade erst selbst begriffen zu haben, was er gesagt hatte. Die Haarbüschel an seinen Ohren sanken wieder ein wenig herunter. »Ich hoffe, es liegt nicht nur daran, Perrin.« Der Ogier blickte sich in der Stadt um, und seine Ohren sanken nun wieder ganz herab. »Mir gefällt dieser Ort nicht, Perrin.«

Moiraine ritt näher an Lan heran und sprach leise auf ihn ein, aber Perrin konnte verstehen, was sie sagte. »Irgend etwas an dieser Stadt stimmt nicht.« Der Behüter nickte.

Perrin juckte es zwischen den Schulterblättern. Die Aes Sedai hatte sich ernst angehört. Erst Loial und nun sie. Bin ich etwa blind? Die Sonne strahlte auf die funkelnden Dachziegel herunter, und ihr Licht wurde von den blassen Mauern reflektiert. Die Gebäude wirkten, als müsse ihr Inneres angenehm kühl sein. Sie strahlten Sauberkeit aus, diese Gebäude. Und auch die Menschen. Die Menschen.

Zuerst bemerkte er nichts Außergewöhnliches. Männer und Frauen gingen zielbewußt ihren Geschäften nach, wenn auch etwas langsamer, als er es vom Norden her gewohnt war. Er glaubte, das müsse an der Hitze und dem grellen Sonnenschein liegen. Dann entdeckte er einen Bäckerjungen, der ein großes Tablett mit frischen Broten auf dem Kopf balancierte und so die Straße herunterlief. Der junge Bursche hatte einen Gesichtsausdruck, der schon fast bösartig wirkte. Eine Frau vor einer Weberei sah aus, als wolle sie den Mann, der ihr die bunten Garnspulen zeigte, am liebsten beißen. Ein Jongleur an einer Ecke biß die Zähne zusammen und betrachtete die Leute, die ihm Münzen in die vor ihm liegende Kappe warfen, als hasse er sie alle. Nicht jeder wirkte so, aber ihm schien, daß zumindest jeder fünfte Zorn oder Haß im Gesicht geschrieben trug. Und er glaubte nicht, daß sie sich dessen bewußt waren.

»Was ist los?« fragte Zarine. »Du bist plötzlich so verkrampft. Es ist, als halte man sich an einem Felsblock fest.«

»Etwas stimmt hier nicht«, sagte er zu ihr. »Ich weiß nicht, was, aber es stimmt wirklich irgend etwas nicht.« Loial nickte traurig und murmelte etwas davon, daß sie ihn zurückbringen würden.

Der Baustil in ihrer Umgebung veränderte sich im Weiterreiten. Sie überquerten noch mehr Brücken zur anderen Seite Illians hin. Die Mauern waren nun häufig unverputzt. Die Türmchen und Paläste verschwanden und machten Schenken und Lagerhäusern Platz. Viele der Männer auf der Straße und auch einige der Frauen gingen mit eigenartig rollenden Bewegungen einher. Sie alle waren barfuß wie die Seeleute. In der Luft lag ein starker Geruch nach Pech und Hanf und vor allem nach Holz — frisch gehacktem und auch lackiertem, und sauer riechender Schlamm überlagerte das alles noch. Auch die von den Kanälen ausgehenden Gerüche waren hier anders. Er rümpfte die Nase. Nachttöpfe, dachte er. Nachttöpfe und alte Sickergruben hinter den Klos. Ihm wurde ein wenig übel davon.

»Die Brücke der Blumen«, verkündete Lan, als sie wieder über eine der niedrigen Brücken ritten. Er atmete tief ein. »Und nun befinden wir uns im Parfümierten Viertel. Die Illianer sind ein Volk von Poeten.«

Zarine unterdrückte offensichtlich das Lachen, indem sie sich an Perrins Rücken drückte.

Als habe er mit einem Mal die Geduld verloren, sich dem langsamen Rhythmus der Illianer anzupassen, führte Lan sie nun schnell durch die Straßen zu einer Schenke. Zwei Stockwerke waren aus rauhem, grüngeädertem Stein erbaut, und obenauf thronten blaßgrüne Dachplatten. Der Abend nahte, und mit dem Sinken der Sonne wurden ihre Strahlen erträglicher. Das brachte ein wenig Erleichterung von der Hitze, aber eben nicht viel. Ein paar Jungen saßen auf den kurzen Steinpfosten vor der Schenke, und nun hüpften sie herunter und nahmen ihre Pferde in Empfang. Ein schwarzhaariger Bursche von vielleicht zehn Jahren fragte Loial, ob er ein Ogier sei, und als Loial das bejahte, sagte der Junge: »Ich das gedacht haben.« Er grinste selbstgefällig und nickte dabei. Dann führte er Loials großes Pferd weg und warf im Gehen die Kupfermünze hoch, die ihm Loial gegeben hatte. Er fing sie ebenso geschickt wieder auf.

Perrin blickte mit gerunzelter Stirn zu dem Schild hoch, das über dem Eingang hing. Ein weiß gestreifter Dachs tanzte auf den Hinterbeinen mit einem Mann, der etwas wie eine silberne Schaufel zu tragen schien. ›Zum fröhlichen Dachs‹ stand darauf. Das muß aus irgendeiner Geschichte stammen, die ich noch nie gehört habe.

Im Schankraum lagen Sägespäne auf dem Fußboden und Tabaksrauch in der Luft. Es roch außerdem noch nach Wein und Fisch aus der Küche und nach einem schweren, blumigen Parfum. Die freiliegenden Deckenbalken waren roh behauen und dunkel vom Alter. So früh am Abend waren nur etwa ein Viertel der Stühle und Bänke besetzt. Da saßen vor allem Arbeiter in einfachen Jacken und Westen, und einige davon zeigten die schwieligen bloßen Füße von Seeleuten. Alle saßen so nahe wie möglich zusammengedrängt um einen Tisch herum. Dort tanzte mit wirbelndem Rock auf der Tischfläche ein hübsches, dunkeläugiges Mädchen — von ihr ging der Parfumduft aus — und sang, begleitet von einer zwölfseitigen Zither. Ihre lose weiße Bluse war auffallend tief ausgeschnitten. Perrin erkannte die Melodie — ›Die Tänzerin‹ —, aber der Text des Mädchens war ganz anders als der, den er kannte.

»Ein Mädel aus Lugard kam in die Stadt, um was zu erleben.

Sie lachte und blinzelte jedem gleich zu, die Herzen der Jungs bracht' sie zum Beben. Ihre Beine so schlank, die Haut so zart, so fing sie 'nen Käpten sich ein im Nu. Mit jedem Mann, ob sanft oder hart, war sie bereit, einen zu heben.«

Sie fing die nächste Strophe an, und als Perrin begriff, was sie da sang, lief er knallrot an. Er hatte geglaubt, nachdem er die Kesselflickermädchen hatte tanzen sehen, könne ihn nichts mehr aus dem Gleichgewicht bringen, aber die hatten nur angedeutet, was dieses Mädchen offen heraussang.

Zarine nickte im Rhythmus der Musik und lächelte. Als sie ihn anblickte, grinste sie schließlich breit. »Na, Bauernjunge, ich habe ja noch nie einen Mann in deinem Alter kennengelernt, der immer noch rot wird.« Er funkelte sie an und hätte beinahe etwas Dummes gesagt. Diese verdammte Frau bringt mich aus der Ruhe, bevor ich auch nur denken kann. Licht, ich wette, sie glaubt, ich hätte noch nie ein Mädchen geküßt! Er bemühte sich, nicht mehr auf den Text des Liedes zu hören, den das Mädchen sang. Wenn er die Röte nicht schleunigst aus seinem Gesicht vertrieb, würde Zarine garantiert noch mehr auf ihm herumhacken.