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Der Gaukler humpelte herüber zu der Frau und fegte mit dem Fuß ihren Umhang zur Seite. Der Dolch war halb aus ihrer Hand gerutscht. Seine Klinge war so breit wie Mats Daumen und zwei Handbreiten lang. »Hätte ich lieber warten sollen, bis du den da zwischen den Rippen hast, Junge?« Er zog sein eigenes Messer heraus und wischte die Klinge an ihrem Umhang ab.

Mat wurde bewußt, daß er das Lied ›Sie trug eine Maske, die ihr Gesicht verbarg‹ summte, und er hörte sofort auf damit. Er bückte sich und zog den Umhang über ihr Gesicht. »Am besten reiten wir weiter«, sagte er leise. »Ich möchte das nicht den Gardesoldaten erklären müssen, falls welche vorbeikommen.«

»Und sie trägt solche Kleider?« sagte Thom. »Ich würde sagen, sie haben die Frau eines Kaufmanns ausgeraubt oder die Kutsche irgendeiner Adligen.« Sein Tonfall wurde sanfter. »Wenn wir schon gehen, Junge, solltest du am besten dein Pferd satteln.«

Mat fuhr zusammen und riß seinen Blick von der toten Frau los. »Ja, sollte ich, nicht wahr?« Er sah sie nicht noch einmal an.

Solche Hemmungen hatte er in bezug auf die Männer nicht. Soweit es ihn betraf, verdiente jemand den Tod, der sich entschlossen hatte, zu rauben und zu morden, wenn er dieses Spiel verlor. Er hielt sich nicht lang mit ihnen auf, aber er wandte den Blick auch nicht ab, wenn er auf einen der Räuber fiel. Nachdem er seinen Hengst gesattelt und seine Sachen festgeschnallt hatte, ertappte er sich dabei, wie er den Mann mit der Armbrust betrachtete. An dessen Gesichtszügen war etwas Vertrautes. Es lag daran, daß durch das Flackern des Feuers ein Schatten auf das Gesicht fiel. Glück, sagte er sich. Immer wieder Glück.

»Der Armbrustschütze war ein guter Schwimmer, Thom«, sagte er, während er in den Sattel kletterte.

»Was für einen Unsinn quatscht du denn jetzt wieder zusammen?« Auch der Gaukler saß auf seinem Pferd und war viel mehr mit der Sicherheit seiner Instrumentenbehälter hinter dem Sattel beschäftigt als mit den Toten. »Wie kannst du wissen, ob er überhaupt schwimmen konnte?«

»Er hat es geschafft, aus einem kleinen Boot mitten auf dem Erinin und mitten in der Nacht heil ans Ufer zu kommen. Ich schätze, damit hat er wohl all sein Glück aufgebraucht.« Er überprüfte noch einmal die Riemen, die die Rolle mit Feuerwerkskörpern hielten. Wenn dieser Narr schon glaubte, einer davon sei von den Aes Sedai hergestellt, was hätte er dann gedacht, wenn alle auf einmal losgegangen wären?

»Bist du sicher, Junge? Unwahrscheinlich, daß es der gleiche Mann... Also, selbst du würdest bei einer solchen Wette nicht dagegenhalten.«

»Ich bin sicher, Thom.« Elayne, ich dreh dir den Hals um, wenn ich dich wieder in die Hände bekomme. Und auch den von Egwene und den von Nynaeve. »Und ich bin sicher, daß ich diesen verfluchten Brief loswerden will, bevor wir uns auch nur eine Stunde lang in Caemlyn aufhalten.«

»Ich sage dir, an dem Brief ist nichts weiter dran, Junge. Ich habe Daes Dae'mar schon gespielt, als ich jünger war als du, und ich erkenne einen Code oder eine Chiffre, selbst wenn ich nicht weiß, was sie zu bedeuten hat.«

»Also, ich habe dein Großes Spiel niemals gespielt, Thom, dein verfluchtes Spiel der Häuser, aber ich weiß, wenn jemand hinter mir her ist. Und sie würden mich nicht so lange und so weit jagen, nur um an das Gold in meinen Taschen zu kommen. Nicht einmal für eine ganze Truhe voll Gold. Es muß an dem Brief liegen.« Seng mich, hübsche Mädchen bringen mich immer wieder in Schwierigkeiten. »Ist dir nach all dem hier heute nacht noch nach Schlafen zumute?«

»So, wie ein unschuldiges Kind, Junge. Aber wenn du reiten willst, mache ich mit.«

Das Gesicht einer hübschen Frau ging Mat durch den Kopf, einer hübschen Frau mit einem Dolch im Hals. Du hattest kein Glück, hübsche Frau. »Also, reiten wir los!« sagte er energisch.

45

Caemlyn

Mat erinnerte sich noch vage an Caemlyn, aber als sie sich der Stadt in den frühen Morgenstunden kurz nach Sonnenaufgang näherten, war ihm, als sei er noch nie hier gewesen. Seit dem ersten Morgengrauen waren sie auf der Straße nicht mehr die einzigen Reisenden gewesen, und auch jetzt bewegten sie sich inmitten anderer Reiter, Wagenzüge und Fußgänger... Alles strömte auf die große Stadt zu.

Sie erstreckte sich über mehrere Hügel und war mindestens so groß wie Tar Valon. Eine riesige Mauer schützte sie: fünfzig Fuß hoch, aus hellem, grauem Stein erbaut, in dem unzählige weiße und silberne Äderchen im Sonnenschein funkelten, und in regelmäßigen Abständen mit hohen, runden Türmen bewehrt, auf denen die Flagge mit dem Löwen von Andor flatterte, weiß auf rot. Außerhalb dieser Mauer schien es, daß man eine weitere große Stadt erbaut hatte, die jene andere schützend umgab. Dort sah man rote Backsteine, grauen Naturstein und weißgetünchte Wände, Schenken, Wand an Wand mit schönen drei- und vierstöckigen Häusern, die offensichtlich reichen Kaufleuten gehörten, Läden mit unter Markisen ausgelegten Waren direkt neben breiten, fensterlosen Lagerhäusern. Zu beiden Seiten der Straße zog sich ein offener Markt unter roten und purpurnen Ziegeldächern dahin. Jetzt schon priesen Frauen und Männer ihre Waren dort an, feilschten mit größtmöglicher Lautstärke, und eingesperrte Kälber und Schafe und Ziegen und Schweine, Gänse und Hühner und Enten in Käfigen vollführten einen ohrenbetäubenden Lärm. Er erinnerte sich dunkel daran, daß ihm bei seinem ersten Aufenthalt in Caemlyn der Lärm schon auf die Nerven gegangen war. Nun erschien ihm das Ganze wie der Herzschlag der Stadt, der unaufhörlich Reichtum fließen ließ.

Die Straße führte zu zwanzig Fuß hohen Torbögen, wo Soldaten der königlichen Garde in roten Röcken und glänzenden Brustpanzern die geöffneten Torflügel aufmerksam bewachten. Sie musterten Thom und ihn aber nicht mißtrauischer als alle anderen; nicht einmal der Bauernspieß, den er vor sich über den Sattel gelegt hatte, erregte ihre besondere Aufmerksamkeit. Es schien, daß sie nur den Strom der Menschen in Bewegung halten wollten.

Dann waren sie drinnen. Schlanke Türme erhoben sich hier, die noch höher waren als die an der Stadtmauer, und große Kuppeln schimmerten weiß und golden über von Menschen wimmelnden Straßen. Gleich hinter dem Stadttor teilte sich die Straße in zwei Parallelstraßen, die durch einen breiten Grünstreifen mit Gras und Bäumen voneinander getrennt wurden. Die Hügel der Stadt stiegen in sanften Stufen zu einem Gipfel hinauf, der von einer weiteren Mauer, weiß leuchtend wie die Tar Valons, umgeben war. Dahinter erhoben sich wieder Kuppeln und Türme. Das war, wie sich Mat erinnerte, die Innere Stadt, und auf dem höchsten Hügel stand der königliche Palast.

»Hat keinen Zweck, zu warten«, sagte er zu Thom. »Ich bringe den Brief auf schnellstem Weg hin.« Er betrachtete die Sänften und Kutschen, die sich durch die Menge schoben, und die Läden mit all ihren ausgestellten Waren. »In dieser Stadt kann ein Mann durchaus zu ein wenig Gold kommen, Thom, wenn er mit Würfeln oder Karten umgehen kann.« Mit den Karten hatte er nicht soviel Glück wie beim Würfelspiel, aber außer Adligen und Reichen spielte sowieso niemand mit Spielkarten. Und die sollte ich aufspüren.

Thom gähnte ihn an und zog seinen Gauklerumhang wie eine Decke hoch. »Wir sind die ganze Nacht geritten, Junge. Laß uns wenigstens zuerst etwas zum Essen finden. In ›Der Königin Segen‹ gibt es gute Speisen.« Er gähnte wieder. »Und gute Betten.«

»Daran erinnere ich mich auch«, sagte Mat bedächtig. Das stimmte, zumindest halbwegs. Der Wirt war ein fetter Mann mit ergrautem Haar — Meister Gill. Dort hatte Moiraine Rand und ihn vorgefunden, als sie geglaubt hatten, sie seien sie endlich losgeworden. Jetzt ist sie weg und spielt ihr Spielchen mit Rand. Hat mit mir nichts mehr zu tun. Jetzt nicht mehr. »Ich treffe dich dann dort, Thom. Ich sagte, ich wolle diesen Brief spätestens eine Stunde nach meiner Ankunft los haben, und daran werde ich mich halten. Reite du inzwischen dorthin.«