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Thom nickte und ließ sein Pferd abbiegen. Er rief dann noch gähnend nach hinten zu: »Verirre dich nicht, Junge! Caemlyn ist eine große Stadt!«

Und eine reiche. Mat trieb sein Pferd mit den Fersen weiter die belebte Straße hinauf. Verirren! Ich finde mich, verflucht noch mal, zurecht! Die Krankheit schien Teile seines Erinnerungsvermögens ausgelöscht zu haben. Er sah beispielsweise eine Schenke, deren oberes Stockwerk nach allen Seiten über das untere hinausragte, und deren Schild im Wind knarrte, und er wußte, daß er sie früher schon gesehen hatte, aber was man nun wieder von hier aus sehen konnte, war ihm vollkommen aus dem Gedächtnis verschwunden. Es konnte sein, daß er sich an ein hundert Schritt langes Straßenstück mit einemmal ganz klar erinnerte, während alles andere so geheimnisvoll wirkte wie die Würfel im geschlossenen Becher.

Doch bei all diesen Gedächtnislücken war er vollkommen sicher, nie die Innere Stadt und den königlichen Palast besucht zu haben. Das könnte ich nicht vergessen! Der Weg war allerdings nicht zu verfehlen. Die Straßen der Neustadt — an diese Bezeichnung erinnerte er sich mit einem Schlag; das war der Teil Caemlyns, der weniger als zweitausend Jahre alt war — führten zwar in alle möglichen Richtungen, doch die Hauptstraßen verliefen alle ins Zentrum. Die Wächter am Tor machten keine Anstalten, irgend jemand aufzuhalten.

Innerhalb dieser weißen Mauer standen Gebäude, die auch nach Tar Valon gepaßt hätten. Die sich dahinwindenden Straßen führten auf Hügelkämme und gaben den Blick frei auf immer neue Türmchen, deren gekachelte Mauern den Sonnenschein in hundert verschiedenen Farben reflektierten, und auf Parks, deren geometrische Anlagen nur von hier oben zu sehen waren. Manchmal konnte man auch einen Blick quer über die ganze Stadt erhaschen, und man sah weit dahinter die hügelige Ebene und die Wälder Andors. Es spielte eigentlich gar keine Rolle, welche Straße er hier benützte. Alle zogen sich in Spiralen um die Hügel auf ein Ziel zu, den Königspalast.

Im Nu befand er sich auf dem riesigen, ovalen Platz vor dem Palast und ritt auf das hohe, vergoldete Tor zu. Der blendend weiße Königspalast von Andor hätte ganz sicher auch als eines der Wunder Tar Valons gegolten, hätte er sich dort befunden. Seine schlanken Türme und goldenen Kuppeln leuchteten in der Sonne über hochgelegenen Balkonen mit kunstvollen Steingittern davor. Das Blattgold auf einer dieser Kuppeln hätte gereicht, um ihn ein Jahr lang im Luxus leben zu lassen.

Auf dem Vorplatz befanden sich weniger Menschen als in der übrigen Stadt, so, als sei er nur für besondere Anlässe vorgesehen. Ein Dutzend Gardesoldaten stand steif vor dem geschlossenen Tor. Alle hielten ihre Bögen in exakt gleichem Winkel vor den schimmernden Brustpanzern. Ihre Gesichter waren hinter den Gitterstäben ihrer auf Hochglanz polierten Helmvisiere verborgen. Ein wuchtiger Offizier, dessen roter Umhang zurückgeworfen war, um einen Knoten aus Goldschnur freizulegen, den er auf der Schulter trug, marschierte wichtigtuerisch vor ihnen auf und ab und beäugte jeden Mann, als suche er nach einem Staubkörnchen oder einem Rostfleck an seiner Rüstung.

Mat ließ sein Pferd anhalten und setzte ein Lächeln auf. »Einen guten Morgen, Hauptmann!«

Der Offizier drehte sich zu ihm um und starrte ihn durch das Visiergitter hindurch mit tiefliegenden Knopfaugen an — wie eine fette Ratte in einem Käfig. Der Mann war älter, als er angenommen hatte, bestimmt alt genug, um mehr als einen Rangknoten an der Uniform zu tragen, und eher fett als kräftig. »Was wollt Ihr, Bauer?« fragte er grob.

Mat holte tief Luft. Jetzt heißt es, alles richtig zu machen. Ich muß diesen Affen beeindrucken, damit er mich nicht den ganzen Tag warten läßt. Ich will nicht ständig das Dokument der Amyrlin herumreichen, um nicht vor Langeweile sterben zu müssen. »Ich komme aus Tar Valon von der Weißen Burg und bringe eine Botschaft von... «

»Ihr kommt aus Tar Valon, Bauer?« Der Bauch des fetten Offiziers bebte, als er lachte, aber dann brach sein Lachen abrupt ab, und er starrte ihn bösartig an. »Wir brauchen keine Botschaften aus Tar Valon, Schurke, falls Ihr überhaupt so was habt! Unsere gute Königin — möge das Licht sie erleuchten! — will keinen Kontakt mit der Weißen Burg, bevor nicht die Tochter-Erbin zu ihr zurückgekehrt ist. Ich habe auch noch nie von einem Kurier der Weißen Burg gehört, der Bauernkleidung trägt. Es ist ganz klar, daß Ihr nichts Gutes im Schilde führt. Vielleicht glaubt Ihr, ein paar Münzen verdienen zu können, indem Ihr vorgebt, Briefe zu befördern, aber Ihr müßt schon Glück haben, wenn Ihr nicht statt dessen in einer Gefängniszelle landen wollt! Wenn Ihr wirklich aus Tar Valon kommt, dann reitet zurück und richtet der Burg aus, sie sollen die Tochter-Erbin herausgeben, bevor wir kommen und sie uns holen! Wenn Ihr aber bloß auf Betrug und Silber aus seid, dann geht aus meinen Augen, oder ich lasse Euch verprügeln, bis Euch das Lebenslicht ausgeht! Wie auch immer, Bauerntölpel, haut jetzt ab!«

Mat hatte von Beginn an versucht, ein Wort einzuwerfen, und nun sagte er schnelclass="underline" »Von ihr ist der Brief ja, Mann! Er ist von... «

»Habe ich Euch nicht gesagt, Ihr sollt Euch trollen, Schurke?« brüllte der fette Mann. Sein Gesicht färbte sich beinahe so rot wie sein Mantel. »Hebt Euch fort aus meinen Augen, Ihr Gossenunrat! Wenn Ihr nicht weg seid, bis ich auf zehn gezählt habe, werde ich Euch verhaften, weil Ihr den Platz mit Eurer Anwesenheit verunreinigt! Eins! Zwei!«

»Könnt Ihr wirklich bis zehn zählen, Ihr fetter Narr?« fauchte Mat. »Ich sage Euch, Elayne hat... «

»Wachen!« Jetzt war das Gesicht des Offiziers purpurrot. »Verhaftet diesen Mann als Schattenfreund!«

Mat zögerte einen Moment lang, da er glaubte, so etwas könne ja wohl niemand ernst nehmen, aber die gesamte Wache, ein Dutzend Männer in roten Röcken, Brustpanzern und Helmen, rannte auf ihn zu, und so riß er sein Pferd herum und galoppierte davon, die empörten Schreie des fetten Mannes im Ohr. Der Hengst war zwar kein Rennpferd, aber die Männer zu Fuß ließ er dennoch schnell hinter sich. Leute sprangen zur Seite, als er die gewundene Straße hinabjagte, und sie drohten ihm mit geballten Fäusten und mit ebensolchen Flüchen wie der Offizier zuvor.

Narr, dachte er und meinte damit den fetten Offizier, aber dann bedachte er sich selbst mit dem gleichen Wort. Alles, was ich hätte tun müssen, war, ihren blutigen Namen gleich von Anfang an zu erwähnen. »Elayne, Tochter-Erbin von Andor, schickt diesen Brief an ihre Mutter, Königin Morgase.« Licht, wer konnte vorhersehen, daß sie Tar Valon auf einmal so feindselig gegenüberstehen? Wie er sich von seinem letzten Besuch her erinnerte, waren die Aes Sedai und die Weiße Burg in der Wertschätzung der Wachsoldaten gleich nach Königin Morgase gekommen. Seng sie, Elayne hätte mir das sagen können. Zögernd fügte er hinzu: Ich hätte auch ein paar Fragen stellen können.

Bevor er das Bogentor zur Neustadt erreichte, zügelte er seinen Hengst. Er glaubte nicht, daß ihn die Palastwache noch verfolgte, aber es brachte nichts, wenn er die Blicke aller am Tor auf sich zog, indem er im Galopp hindurchpreschte. Jetzt, in gemächlichem Schritt, widmeten sie ihm nicht mehr Aufmerksamkeit als zuvor.

Als er den breiten Torbogen passierte, lächelte er plötzlich und wäre beinahe umgekehrt. Er hatte sich nämlich gerade an etwas erinnert, und diese Vorstellung gefiel ihm bedeutend besser, als einfach durchs Palasttor hineinzuspazieren. Es hätte ihm wohl sogar dann noch besser gefallen, wenn der fette Offizier nicht am Tor auf Wache gestanden hätte. Er verirrte sich zweimal auf der Suche nach ›Der Königin Segen‹, aber schließlich fand er das Schild mit dem Mann, der vor einer Frau mit rotgoldenem Haar und einer Krone aus goldenen Rosen kniete, ihre Hand auf seinem Kopf. Es war ein breiter, dreistöckiger Steinbau mit großen Fenstern bis hinauf unter das rote Ziegeldach. Er ritt hinten herum zum Stallhof, wo ihm ein Bursche mit Pferdegesicht und einer Lederweste, die kaum zäher als seine Haut sein konnte, die Zügel des Pferdes abnahm. Er glaubte, sich an den Burschen erinnern zu können. Ja — Ramey.