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Ein kurzer Blick zeigte ihm, daß er im Augenblick auf der kurvenreichen Straße der einzige Passant war. Er würde sich beeilen müssen. Der Biegungen wegen konnte er nicht weit sehen; jeden Moment konnte jemand erscheinen. Er krabbelte auf allen vieren den Hang hoch. Es war ihm gleich, daß er mit den Stiefeln Büschel roter und weißer Blüten losriß. Am rauhen Stein der Mauer fand er genügend Halt, und Rillen und Vorsprünge boten sogar seinen Stiefeln noch Halt.

Wie unvorsichtig von ihnen, einem das so leicht zu machen, dachte er. Die Kletterei brachte ihm Erinnerungen zurück an die Heimat und an Rand und Perrin. Damals waren sie bis jenseits der Sandhügel gewandert, zum Fuß der Verschleierten Berge. Als sie nach Emondsfeld zurückkehrten, hatte sich der vereinte Zorn aller über sie entladen. Er hatte am meisten abbekommen, denn jeder nahm an, es sei seine Idee gewesen. Aber sie waren drei Tage lang in den Klippen herumgeklettert, hatten unter freiem Himmel geschlafen, hatten Eier gegessen, die sie den Rotkämmen stahlen, und dazu selbst geschossene fette, graue Moorhühner. Mit Pfeil und Bogen und mit der Steinschleuder hatten sie sich ernährt, oder mit Hilfe von Kaninchenfallen. Die ganze Zeit hatten sie sich lachend versichert, daß sie sich nicht vor dem angeblichen Pech fürchteten, das das Betreten der Berge bringen sollte, und daß sie vielleicht einen Schatz finden würden. Von dieser Expedition hatte er einen eigenartigen Stein mitgebracht, in dem sich scheinbar das Skelett eines recht großen Fisches abgedrückt hatte, und dazu eine lange, weiße Schwanzfeder von einem Schneeadler, und schließlich noch ein handgroßes Stück weißen Steins, der beinahe so aussah wie ein menschliches Ohr. Jedenfalls hatte er gemeint, es sehe aus wie ein Ohr, und Tam al'Thor hatte ihm bestätigt, das könne durchaus sein, obwohl Rand und Perrin anderer Meinung waren.

Seine Finger rutschten aus einer flachen Rinne. Dadurch verlor auch sein linker Fuß den Halt, und er hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Keuchend konnte er gerade noch die Mauerkrone packen und sich das restliche Stück hinaufziehen. Einen Augenblick lang lag er dort oben und atmete schwer. Es wäre wohl kein tiefer Sturz gewesen, aber doch genug, sich dabei das Genick zu brechen. Narr. So in Gedanken versunken klettern zu wollen. Genauso hätte ich mich damals schon beinahe umgebracht in diesen Felsklippen. Aber das war alles vor so langer Zeit. Wahrscheinlich hatte seine Mutter all diese Andenken längst weggeworfen. Er warf einen letzten Blick zurück, um zu sehen, ob ihn auch wirklich niemand beobachtet hatte. Die Straße war bis zur nächsten Biegung noch immer menschenleer. Dann ließ er sich in den Schloßgarten hinunterfallen.

Der Garten war groß. Geplättete Wege führten durch Grasflächen zwischen den Bäumen, und Efeu rankte sich an torförmigen Gittern über diese Wege. Und überall wuchsen Blumen. Weiße Blüten bedeckten die Birnbäume, und die Apfelbäume waren von weißen und rosa Blüten übersät. Rosen in jedem Farbton, dazu leuchtend goldene Sonnenblumen und purpurne Emondspracht und viele, die er nicht kannte. Bei manchen wußte er gar nicht, ob sie Wirklichkeit sein konnten. Der eine Baum hatte ganz seltsame hochrote und goldene Blüten, die beinahe wie Vögel geformt waren, während andere Blüten wie die von Sonnenblumen aussahen, nur waren sie mehr als zwei Fuß im Durchmesser und wuchsen an Stengeln in der Größe von Ogiern.

Stiefel knirschten auf den Steinplatten, und er duckte sich hinter einen Busch an der Mauer, während zwei Wachsoldaten vorbeimarschierten. Ihre langen weißen Kragenenden hingen ihnen über die Brustpanzer. Sie blickten nicht zu ihm herüber, und er grinste in sich hinein. Glück. Wenn ich bloß ein bißchen Glück habe, erwischen sie mich nicht, bis ich das verfluchte Ding Morgase in die Hand drücke.

Er glitt wie ein Schatten durch den Garten, als wolle er Kaninchen auflauern, und dann erstarrte er wieder hinter einem Busch oder einem Baum, wenn er Stiefeltritte hörte. Zwei weitere Paare von Gardesoldaten marschierten die Pfade entlang. Das zweite kam ihm so nahe, daß er sie mit zwei Schritten hätte erreichen können. Als sie zwischen den Blüten und Bäumen verschwanden, pflückte er eine dunkelrote Sternenscheinblüte und steckte sie sich grinsend ins Haar. Das machte genausoviel Spaß wie am Sonnentag Apfelkuchen stehlen. Und es war leichter. Die Frauen bewachten ihre Kuchen immer höllisch gut, während die Soldaten den Blick kaum von den Platten der Wege hoben.

Nicht lange, und er befand sich an der weißen Wand des Palastes selbst und schob sich hinter einer langgestreckten Rabatte mit weißen Rosen an der Wand entlang, immer auf der Suche nach einer Tür. Gerade über seiner Kopfhöhe befanden sich zwar breite Bogenfenster, aber er hielt es für schwieriger, eine Ausrede zu finden, wenn man ihn beim Einsteigen durch ein Fenster erwischte, als wenn er lediglich durch einen Flur spazierte. Zwei weitere Soldaten erschienen, und er erstarrte wieder. Sie würden keine drei Schritt von ihm entfernt vorbeikommen. Aus dem Fenster über ihm hörte er Stimmen, zwei Männer, die gerade laut genug sprachen, daß er sie verstehen konnte.

»... auf dem Weg nach Tear, großer Meister.« Der Mann klang verängstigt und unterwürfig.

»Laßt sie ihm doch die Pläne durchkreuzen, wenn sie das schaffen.« Diese Stimme war tiefer und kräftiger, ein Mann, der das Befehlen gewohnt war. »Das geschieht ihm recht, wenn drei ungeschulte Mädchen ihn hereinlegen können. Er war schon immer ein Narr, und das ist er auch jetzt noch. Gibt es irgendeine Neuigkeit über den Jungen?

Er ist derjenige, der uns alle vernichten kann.«

»Nein, Großer Meister. Er ist verschwunden. Aber Großer Meister, eines der Mädchen ist Morgases Herzblättchen!«

Mat hätte sich beinahe umgedreht, fing sich aber rechtzeitig. Die Soldaten näherten sich. Zum Glück schienen sie seine Bewegungen hinter den dichten Rosenrabatten nicht bemerkt zu haben. Auf, ihr Narren! Lauft vorbei, damit ich sehen kann, wer dieser verfluchte Kerl ist! Er hatte einen Teil der Unterhaltung verpaßt.

»... ist viel zu ungeduldig gewesen, seit er wieder in Freiheit ist«, sagte die tiefere Stimme. »Er hat nicht begriffen, daß die besten Pläne Zeit benötigen, um zu reifen. Er will die Welt an einem Tag erobern und Callandor nebenher auch noch bekommen. Der Große Herr soll ihn holen! Er soll das Mädchen einfangen und versuchen, daraus Nutzen zu gewinnen. Und das könnte meine eigenen Pläne auch noch gefährden.«

»Wie Ihr meint, Großer Meister. Soll ich den Befehl geben, daß man sie aus Tear wegbringt?«

»Nein. Der Narr würde das als Akt gegen ihn betrachten, falls er es erfährt. Und wer kann schon sagen, was er außer dem Schwert sonst noch im Auge hat? Sieh zu, daß sie ohne Aufsehen stirbt, Comar. Ihr Tod darf überhaupt keine Aufmerksamkeit erregen.« Sein Lachen klang wie ein hallendes Grollen. »Diese unwissenden Schlampen in ihrer Burg werden es schwer haben, sie nach diesem Verschwinden wieder herbeizuzaubern. Das kann nur gut für uns sein. Es muß aber schnell geschehen. Schnell, bevor er die Gelegenheit hat, sie selbst in die Finger zu bekommen.«

Die beiden Soldaten befanden sich jetzt beinahe auf seiner Höhe. Mat bemühte sich, mit seinen Gedanken ihre Füße dazu zu bringen, sich schneller zu bewegen.

»Großer Meister«, sagte der andere Mann nervös, »das könnte schwierig werden. Wir wissen, daß sie auf dem Weg nach Tear ist, und man hat das Schiff, auf dem sie reiste, in Aringill gefunden, doch alle drei hatten es bereits vorher verlassen. Wir wissen nicht, ob sie auf einem anderen Schiff sind oder nach Süden reiten. Und es kann auch Schwierigkeiten geben, sie in Tear aufzuspüren, wenn sie erst einmal dort ist, Großer Meister. Wenn Ihr vielleicht... «

»Gibt es denn jetzt nur noch Narren auf der Welt?« fragte die tiefe Stimme ungehalten. »Glaubst du, ich könnte mich in Tear bewegen, ohne daß er es bemerkt? Ich will nicht gegen ihn kämpfen, nicht jetzt, noch nicht Bring mir den Kopf des Mädchens, Comar. Bring mir alle drei Köpfe, oder du wirst mich auf Knien anflehen, deinen Kopf entgegenzunehmen!«