»Dann schätze ich, daß all jene, die sich für Rand erklärt haben, entweder tot oder überallhin versprengt sind«, murmelte Perrin. »Oder es bald sein werden. Ihr hattet recht, Moiraine.« Ihm gefiel der Gedanke an Weißmäntel überhaupt nicht. Er mochte aus gutem Grund die Kinder des Lichts nicht.
»Das ist auch eigenartig«, sagte Moiraine. »Oder zumindest der zweite Teil der Geschichte. Die Kinder haben verkündet, sie befänden sich dort, um den Frieden zu bringen, und das ist bei ihnen nichts Ungewöhnliches. Was aber ungewöhnlich ist, das ist die Tatsache, daß sie wohl die Taraboner und die Domani über ihre jeweiligen Grenzen zurückzudrängen versuchen, aber gleichzeitig nicht mit Gewalt gegen die Anhänger des Drachens vorgehen.«
Min gab einen Laut der Überraschung von sich. »Ist sie da sicher? Das klingt nicht nach dem, was ich bisher von den Weißmänteln gehört habe.«
»Es können sich nicht mehr viele verd... oh... viele Kesselflicker auf der Ebene befinden«, sagte Uno. Seine Stimme krächzte ein wenig, da er sich so vor der Aes Sedai zusammennehmen mußte, um nicht ständig zu fluchen. Sein echtes Auge blickte genauso finster drein wie das aufgemalte auf der anderen Seite. »Sie halten sich nicht gern auf, wo es irgendwelche Auseinandersetzungen gibt, besonders gewaltsame. Es können nicht genug sein, um alles herauszufinden.«
»Für meine Zwecke sind es genug«, sagte Moiraine bestimmt. »Die meisten sind fort, aber einige blieben, weil ich sie darum bat. Und Leya ist sich ganz sicher. O ja, die Kinder haben einige der Drachenanhänger geschnappt, wo es eben nur eine Handvoll davon gab. Aber obwohl sie erklären, daß sie diesen falschen Drachen stürzen werden, obwohl sie angeblich tausend Mann auf ihn angesetzt haben, vermeiden sie jeden Kontakt mit seinen Anhängern, sobald mehr als fünfzig davon auf einem Haufen zu finden sind. Nicht offen, versteht sich, aber es gibt immer irgendeine Verzögerung, die den Gejagten die Flucht gestattet.«
»Dann kann sich Rand doch zu ihnen hinunter begeben, wie er das möchte.« Loial blinzelte die Aes Sedai unsicher an. Das ganze Lager wußte von ihren Auseinandersetzungen mit Rand. »Das Rad webt einen Weg für ihn.«
Uno und Lan öffneten gleichzeitig den Mund, doch der Schienarer gab Lan durch eine leichte Verbeugung das Zeichen, das Wort zu ergreifen. »Wahrscheinlicher«, sagte der Behüter, »ist eine List der Weißmäntel, obwohl ich mir, Licht noch mal, nicht vorstellen kann, um was es geht. Aber wenn mir die Weißmäntel ein Geschenk geben, suche ich zuerst nach einer darin verborgenen Giftnadel.« Uno nickte grimmig. »Außerdem«, fügte Lan hinzu, »geben die Domani und die Taraboner immer noch ihr Bestes, die Anhänger des Drachens genauso umzubringen wie sich gegenseitig.«
»Und da ist noch etwas«, sagte Moiraine. »Drei junge Männer sind in Dörfern gestorben, als Frau Leyas Wagen dort vorbeikam.« Perrin bemerkte, daß Lans Augenlid zuckte. Bei dem Behüter war dies ein ebenso großes Zeichen der Überraschung wie ein Aufschrei bei einem anderen Mann. Lan hatte nicht erwartet, daß sie das erzählen würde. Moiraine fuhr fort: »Der eine starb durch Gift, die beiden anderen durch das Messer. Jeder starb unter Umständen, als sich niemand in der Nähe zu befinden schien. So war es tatsächlich.« Sie blickte in die Flammen. »Alle drei jungen Männer waren größer als üblich und hatten helle Augen. Helle Augenfarben sind auf der Ebene von Almoth etwas Ungewöhnliches. Ich glaube, es bringt im Moment Unglück, als junger Mann mit heller Augenfarbe dort zu leben.«
»Wie?« fragte Perrin. »Wie konnte man sie töten, wenn niemand in der Nähe war?«
»Der Dunkle König hat Attentäter, die du nicht bemerkst, bis es zu spät ist«, sagte Lan ruhig.
Uno schauderte. »Die Seelenlosen. Ich habe aber noch nie davon gehört, daß einer südlich der Grenzlande auftauchte.«
»Genug solcher Reden«, sagte Moiraine streng.
Perrin hatte Fragen auf der Zunge — Was zum Licht sind die Seelenlosen? Sind sie etwas wie ein Trolloc oder ein Blasser? Was? —, aber er schluckte sie herunter. Wenn Moiraine entschied, daß man genug über ein Thema geredet hatte, dann sprach sie auch nicht mehr davon. Und wenn sie den Mund hielt, konnte man auch Lans Mund nicht mit der Brechstange öffnen. Auch die Schienarer folgten ihrem Beispiel. Keiner wollte sich mit einer Aes Sedai anlegen.
»Licht!« knurrte Min. Sie spähte unruhig in die sie umgebende Dunkelheit. »Man bemerkt sie nicht? Licht!«
»Also hat sich nichts geändert«, sagte Perrin trübsinnig. »Nichts Wesentliches. Wir können nicht hinunter auf die Ebene, und der Dunkle König will uns töten.«
»Alles verändert sich«, sagte Moiraine gelassen, »und wird in das Muster eingewebt. Wir müssen auf dem Muster reiten und nicht auf den Veränderungen des Augenblicks.« Sie sah einen nach dem anderen an und sagte dann: »Uno, seid Ihr sicher, daß Eure Kundschafter nichts Verdächtiges übersehen haben? Nicht einmal etwas sehr Kleines?«
»Die Wiedergeburt des Drachenlords hat die Bande der Sicherheit gelöst, Moiraine Sedai, und es gibt nirgends Sicherheit, wenn Ihr gegen Myrddraal kämpft. Aber ich gebe Euch mein Ehrenwort, daß die Kundschafter genauso gute Arbeit leisten wie ein Behüter.« Das war eine der längsten Reden Unos gewesen, in denen Perrin keinen Fluch gehört hatte. Auf der Stirn des Mannes stand denn auch Schweiß von dieser Anstrengung.
»Das müssen wir alle«, sagte Moiraine. »Was Rand angerichtet hat, könnte für jeden Myrddraal auf zehn Meilen Entfernung wie ein Leuchtfeuer auf dem Berggipfel gewirkt haben.«
»Vielleicht...«, begann Min zögernd. »Vielleicht solltet Ihr Talismane aussetzen, die sie von uns abhalten.« Lan sah sie abweisend an. Er stellte gelegentlich Moiraines Entscheidungen in Frage, wenn auch selten in Hörweite Dritter, doch es paßte ihm nicht, wenn andere dasselbe taten. Min erwiderte seinen finsteren Blick. »Also, Myrddraal und Trollocs sind schlimm genug, aber wenigstens kann ich sie sehen. Ich hasse den Gedanken daran, daß einer dieser... dieser Seelenlosen sich hier einschleichen und mir die Kehle durchschneiden könnte, bevor ich ihn überhaupt bemerke.«
»Die Wächter, die ich draußen aufgestellt habe, schützen uns vor den Seelenlosen genau wie vor anderen Wesen des Schattens«, sagte Moiraine. »Wenn man — so wie wir — schwach ist, dann ist es oftmals am besten, sich zu verstecken. Wenn einer der Halbmenschen nahe genug ist, um... Also, Talismane anzubringen, die sie töten, wenn sie ins Lager eindringen wollen, ist jenseits meiner Fähigkeiten, und selbst wenn ich das könnte, würde uns das lediglich hier wie in einen Pferch einsperren. Da es unmöglich ist, zwei verschiedene Arten von Wächtern gleichzeitig aufzustellen, überlasse ich es den Kundschaftern und den Wachen und natürlich Lan, uns zu verteidigen, und benütze die eine Art von Abschirmung, die uns ein wenig helfen kann.«
»Ich könnte eine Runde um das Lager drehen«, meinte Lan. »Falls da draußen etwas ist, was die Kundschafter übersehen haben, werde ich es finden.« Das war keine Drohung, sondern einfach eine Tatsache. Selbst Uno nickte zustimmend.
Moiraine schüttelte den Kopf. »Wenn Ihr heute abend gebraucht werdet, mein Gaidin, dann hier.« Ihr Blick wanderte hoch zu den düsteren Bergen, die sie umgaben. »Es liegt so etwas in der Luft.«
»Warten.« Perrin rutschte das Wort heraus, bevor er sich zurückhalten konnte. Als Moiraine ihn daraufhin ansah — in ihn hineinsah —, wünschte er, sich beherrscht zu haben.
»Ja«, sagte sie. »Warten. Überzeugt Euch davon, daß Eure Wachen heute nacht besonders aufmerksam sind, Uno.« Es war nicht nötig, vorzuschlagen, daß die Männer ihre Waffen auch im Schlaf zur Hand behalten sollten, denn die Schienarer taten das sowieso immer. »Schlaft gut«, fügte sie zu allen gewandt hinzu, als sei das noch möglich, und dann ging sie zurück zu ihrer Hütte. Lan blieb noch lang genug, um drei Löffel Eintopf zu schlürfen, und dann eilte er ihr hinterher. Die Nacht verschluckte ihn schnell.