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Tallanvor führte ihn durch so viele Gänge und über so viele Innenhöfe, daß er sich schon zu fragen begann, ob er den Weg hinaus noch ohne Hilfe finden könne, da plötzlich trafen sie auf einem dieser Höfe mehr als nur Diener an. Ein Säulengang zog sich um den Hof herum, und in der Mitte befand sich ein rundes Wasserbecken, in dem sich unter breiten, auf dem Wasser schwimmenden Blättern und blühenden Wasserlilien weiße und gelbe Fische tummelten. Männer in farbenfrohen, mit Gold oder Silber verzierten Mänteln und Frauen in weiten, noch kunstvolleren Kleidern, standen vor einer Frau mit rotgoldenem Haar, die am Rand des Beckens saß, eine Hand ins Wasser hängen ließ und traurig auf die Fische blickte, die sich in der Hoffnung auf Futter ihren Fingerspitzen näherten. Am Mittelfinger ihrer linken Hand steckte ein Ring mit der Großen Schlange. Ein hochgewachsener, dunkler Mann stand neben ihrer Schulter. Die Seide seines Mantels verschwand beinahe unter den vielen Goldblättern und Litzen, die darauf aufgenäht waren. Aber es war die Frau, die Mats Blick fesselte.

Er mußte nicht erst den Kranz aus kunstvollen goldenen Rosen in ihrem Haar bemerken oder die über und über mit den Löwen von Andor bestickte Stola, die über ihrem weißen, rotgestreiften Kleid hing, um zu wissen, daß er Morgase vor sich hatte, durch die Gnade des Lichts Königin von Andor, Verteidigerin des Reichs, Beschützerin des Volkes, Hochsitz des Hauses Trakand. Sie besaß Elaynes Gesichtszüge und Schönheit, aber so, wie Elayne eines Tages aussehen würde, wenn sie gereift war. Ihre bloße Gegenwart ließ jede andere Frau im Hof in den Hintergrund treten.

Mit der würde ich tanzen und ihr im Mondschein einen Kuß stehlen, ganz gleich, wie alt sie ist. Er gab sich einen Ruck. Denk daran, wer sie ist, mein Junge!

Tallanvor fiel auf ein Knie nieder und drückte eine Faust auf die weißen Steinplatten des Hofes. »Meine Königin, ich bringe Euch einen Boten, der einen Brief der Lady Elayne bei sich trägt.«

Mat betrachtete die Haltung des Mannes und ließ es dann doch mit einer tiefen Verbeugung bewenden. »Von der Tochter-Erbin... äh... meine Königin.« Er hielt ihr bei der Verbeugung den Brief hin, so daß das goldgelbe Siegelwachs sichtbar war. Wenn sie ihn erst gelesen hat und weiß, daß es Elayne gutgeht, werde ich es ihr sagen. Morgase wandte ihm ihre tiefblauen Augen zu. Licht! Sobald sie bessere Laune hat.

»Ihr bringt mir einen Brief von meinem mißratenen Kind?« Ihre Stimme klang kalt, doch lag darin etwas, das ihm sagte, wie hitzig sie reagieren konnte. »Das muß bedeuten, daß sie zumindest noch am Leben ist! Wo ist sie?«

»In Tar Valon, meine Königin«, brachte er mühsam heraus. Licht, ich möchte mal sehen, wenn sie und die Amyrlin sich gegenüberstehen und gegenseitig anfunkeln. Bei näherer Betrachtung allerdings war er doch nicht neugierig darauf. »Wenigstens war sie dort, als ich abreiste.«

Morgase machte eine ungeduldige Handbewegung, und Tallanvor erhob sich und nahm Mat den Brief aus der Hand, um ihn ihr zu reichen. Einen Augenblick lang blickte sie mit gerunzelter Stirn das Liliensiegel an, bevor sie es mit einer kurzen Drehung der Hand erbrach. Beim Lesen bewegte sie ihre Lippen und schüttelte bei jeder zweiten Zeile den Kopf. »Sie kann nicht mehr sagen, oder?« murmelte sie. »Wir werden ja sehen, ob sie sich daran hält... « Plötzlich erhellte sich ihre Miene. »Gaebril, sie ist zur Aufgenommenen erhoben worden. Weniger als ein Jahr in der Burg und bereits befördert.« Das Lächeln verflog, so schnell es gekommen war, und sie preßte die Lippen aufeinander. »Wenn ich dieses mißratene Kind in meine Finger bekomme, wird sie sich wünschen, wieder Novizin zu sein.«

Licht, dachte Mat, kann denn nichts ihre Laune aufbessern? Er beschloß, es trotzdem einfach auszusprechen, aber er wünschte, sie würde nicht so dreinblicken, als wolle sie jemandem den Kopf abhacken. »Meine Königin, ich habe zufällig gehört... «

»Schweigt still, Junge«, sagte der Mann in dem goldverkrusteten Mantel gelassen. Es war ein gutaussehender Mann, beinahe so gutaussehend wie Galad und fast genauso jugendlich, trotz der grauen Schläfen, aber er war viel stärker gebaut, fast so groß wie Rand und so breitschultrig wie Perrin. »Wir werden gleich hören, was Ihr zu sagen habt.« Er faßte Morgase über die Schulter und nahm ihr den Brief aus der Hand. Ihr böser Blick wandte sich ihm zu. Mat konnte förmlich fühlen, wie ihr Zorn wuchs. Aber der dunkle Mann legte ihr eine Hand auf die Schulter, wobei er den Blick nicht von dem Text des Briefes wandte, und Morgases Zorn schwand dahin. »Es scheint, sie hat die Burg schon wieder verlassen«, sagte er. »Im Auftrag der Amyrlin diesmal. Diese Frau überschreitet schon wieder ihre Grenzen, Morgase.«

Mat fiel es nicht weiter schwer, seinen Mund zu halten. Glück. Seine Zunge klebte ihm am Gaumen. Manchmal weiß ich nicht, ob es gut oder schlecht ist. Der dunkle Mann war die Quelle jener tiefen Stimme, der ›Große Meister‹, der Elaynes Kopf rollen sehen wollte. Sie hat ihn Gaebril genannt. Ihr Ratgeber will Elayne ermorden? Licht! Und Morgase blickte zu ihm hoch wie ein Hündchen, das von der Hand seines Herrn gekrault wird.

Gaebril wandte den zwingenden Blick seiner nahezu schwarzen Augen Mat zu. Der Mann schien einiges zu wissen. »Was könnt Ihr uns darüber erzählen, Junge?«

»Nichts... äh... Lord.« Mat räusperte sich. Der Blick des Mannes war schlimmer als der der Amyrlin. »Ich ging nach Tar Valon, um meine Schwester zu besuchen. Sie ist Novizin. Else Grinwell. Ich heiße Thom Grinwell, Lord. Lady Elayne erfuhr, daß ich auf dem Heimweg Caemlyn besuchen wollte... Ich komme aus Comfrey, Lord, einem kleinen Dorf nördlich von Baerlon, und ich hatte noch nie eine größere Stadt als Baerlon gesehen, bevor ich nach Tar Valon kam. Und dann hat sie — Lady Elayne, meine ich — mir diesen Brief mitgegeben.« Er glaubte, daß Morgase ihn prüfend angeblickt habe, als er sagte, er käme aus der Gegend nördlich von Baerlon, aber er wußte, daß es dort ein Dorf namens Comfrey gab. Er hatte gehört, wie das einmal erwähnt worden war.

Gaebril nickte, sagte aber: »Wißt Ihr, wohin Elayne ging, Junge? Oder was sie tun sollte? Sagt die Wahrheit, und Ihr habt nichts zu befürchten. Lügt, und ihr werdet verhört werden.«

Mat mußte seinen besorgten Gesichtsausdruck nicht heucheln. »Lord, ich habe die Tochter-Erbin nur einmal gesehen. Sie gab mir den Brief — und eine Goldmark! — und sagte mir, ich solle ihn der Königin bringen. Ich weiß nicht mehr über den Inhalt als das, was ich hier gehört habe.« Gaebril schien darüber nachzudenken. Sein dunkles Gesichts sagte nicht aus, ob er ihm ein Wort glaubte oder nicht.

»Nein, Gaebril«, sagte Morgase plötzlich. »Zu viele sind schon verhört und gefoltert worden. Ich kann die Notwendigkeit einsehen, die Ihr mir bewiesen habt, aber in diesem Falle nicht. Nicht ein Junge, der nur einen Brief überbrachte, dessen Inhalt er nicht kannte.«

»Wie meine Königin befiehlt, so soll es geschehen«, sagte der dunkle Mann. Der Tonfall war respektvoll, doch dann berührte er ihre Wange auf eine Weise, daß sie errötete und die Lippen halb öffnete, als erwarte sie einen Kuß.

Morgase holte zittrig Luft. »Sagt mir, Thom Grinwell, sah meine Tochter gesund aus, als Ihr sie getroffen habt?«

»Ja, meine Königin. Sie lächelte und lachte und zeigte eine lose Zunge — ich meine... «

Morgase lachte leise über seinen Gesichtsausdruck. »Habt keine Angst, junger Mann. Elayne hat wirklich eine lose Zunge, zu lose, als gut für sie wäre. Ich bin froh, daß sie wohlauf ist.« Diese blauen Augen durchdrangen ihn mit ihrem Blick. »Ein junger Mann, der sein Dorf verlassen hat, findet es oftmals schwierig, wieder dorthin zurückzukehren. Ich glaube, Ihr werdet noch weit reisen, bevor Ihr wieder nach Comfrey kommt. Vielleicht werdet Ihr sogar wieder nach Tar Valon reisen. Falls Ihr das tut und meine Tochter wiederseht, sagt ihr, daß man oft bereut, was man im Zorn gesagt hat. Ich werde sie nicht vor ihrer Zeit aus der Weißen Burg zurückholen. Sagt ihr, daß ich oft an meine Zeit dort zurückdenke und die ruhigen Gespräche mit Sheriam in ihrem Arbeitszimmer vermisse. Sagt ihr das genau mit meinen Worten, Thom Grinwell.«