Perrins Augen leuchteten golden, als sie dem Behüter auf seinem Weg durch die Dunkelheit folgten. »Schlaft gut«, murmelte er. Der Geruch gekochten Fleisches machte ihn plötzlich nervös. »Ich habe doch die dritte Wache, Uno?« Der Schienarer nickte. »Dann will ich versuchen, ihrem Ratschlag zu folgen.« Andere kamen an die Feuer, und Fetzen ihrer Unterhaltung folgten ihm den Hang hinauf.
Er hatte eine Hütte für sich, ein kleines Blockhaus, das kaum groß genug war, um aufrecht drin zu stehen. Die Ritzen waren mit getrocknetem Lehm verschmiert. Ein roh gezimmertes Bett mit Kiefernnadeln als Polster unter einer Decke nahm mehr als die Hälfte des Raumes ein. Wer immer sein Pferd abgesattelt hatte, hatte auch seinen Bogen gleich innen neben die Tür gestellt. Er hängte seinen Gürtel mit Axt und Köcher an einen Haken und zog sich vor Kälte zitternd bis auf die Unterwäsche aus. Die Nächte waren noch kalt, doch die Kälte hielt ihn davon ab, zu tief zu schlafen. Im Tiefschlaf träumte er Dinge, die er dann nicht mehr einfach abschütteln konnte.
Eine Weile lang lag er zitternd und nur von einer dünnen Decke bedeckt da und starrte die Deckenbalken an. Dann kam der Schlaf, und mit ihm kamen Träume.
4
Schlafende Schatten
Der Schankraum des Wirtshauses war kalt, obwohl in dem langen gemauerten Kamin ein Feuer prasselte. Perrin rieb sich die Hände vor den Flammen, aber davon wurden sie auch nicht wärmer. Trotzdem wirkte die Kälte auf ihn eigenartigerweise beruhigend, als sei sie ein Schutzschild. Er wußte allerdings nicht, wogegen sie ihn schützen solle. Etwas murmelte leise in seinem Hinterkopf. Es war nur ein ganz verschwommener Laut, als kratze einer an der Tür, weil er hereinkommen wollte.
»Also gebt Ihr auf. Das ist auch das beste für Euch. Kommt. Setzt Euch, und wir reden miteinander.«
Perrin drehte sich um und musterte den Sprecher. Die im Raum verteilten runden Tische waren leer bis auf einen in einer Ecke, an dem der Mann in Schatten gehüllt saß. Der übrige Raum lag wie in feinem Dunst, wirkte mehr wie eine Ahnung denn ein wirklicher Ort. Alles, was er nicht direkt ansah, verschwamm ins Unwirkliche. Er blickte zurück zum Feuer. Jetzt brannte es auf einem Unterbau aus Backstein. Aber irgendwie störte ihn das alles nicht. Es sollte eigentlich. Aber er wußte nicht, warum.
Der Mann winkte ihn heran, und Perrin ging hinüber zu ihm. Er saß an einem viereckigen Tisch. Alle Tische waren viereckig. Mit gerunzelter Stirn streckte er einen Finger aus, um die Tischplatte zu berühren, zog aber dann doch die Hand zurück. In dieser Ecke des Raums gab es keine Lampen, und trotz der übrigen Beleuchtung waren der Mann und sein Tisch beinahe völlig verborgen, verschwammen mit der Dämmerung.
Perrin hatte das Gefühl, er kenne den Mann, aber das war genauso vage wie alles, was er aus den Augenwinkeln sah. Der Bursche war von mittleren Jahren, sah gut aus und war für eine Landschenke zu gut gekleidet. Er trug dunkle, beinahe schwarze Samtkleidung und am Kragen sowie an den Manschetten weiße Spitzen. Er saß steif da und preßte manchmal die Hand auf seine Brust, als schmerze ihn jede Bewegung. Seine dunklen Augen waren starr auf Perrin gerichtet. Sie erschienen ihm wie glitzernde Punkte im Schatten.
»Was aufgeben?« fragte Perrin.
»Das natürlich.« Der Mann nickte in Richtung von Perrins Hüfte. Er hörte sich überrascht an, als hätten sie schon vorher über dieses Thema diskutiert, als sei das ein alter Streitpunkt zwischen ihnen.
Perrin war gar nicht bewußt gewesen, daß seine Axt am Gürtel hing. Er hatte ihr Gewicht nicht gespürt. Er fuhr mit der Hand über die halbmondförmige Schneide und den dicken Schaft. Der Stahl fühlte sich... real an. Realer als alles um ihn herum. Vielleicht sogar realer als er selbst. Er behielt die Hand dort, um sich daran zu klammern.
»Ich habe daran gedacht«, sagte er, »aber ich glaube nicht, daß ich kann. Noch nicht.« Noch nicht? Die Schenke schien zu flimmern, und wieder war da dieses Rumoren in seinem Kopf. Nein! Es verschwand wieder.
»Nein?« Der Mann lächelte. Es war ein kaltes Lächeln. »Ihr seid doch Schmied, Junge. Und danach zu schließen, was ich hörte, seid Ihr ein guter Schmied. Eure Hände wurden für den Hammer geschaffen und nicht für die Axt. Geschaffen, Dinge herzustellen, und nicht, um damit zu töten. Kehrt um, bevor es zu spät ist.«
Perrin wurde bewußt, daß er nickte. »Ja. Aber ich bin ta'veren.« Er hatte das noch nie laut ausgesprochen. Aber er weiß es doch schon. Da war er sicher, auch wenn er nicht sagen konnte, warum.
Einen Moment lang verzog sich das Lächeln des Mannes zur Grimasse, doch dann war es wieder da und noch breiter als vorher. Eine kalte Kraft schien von ihm auszugehen. »Es gibt Möglichkeiten, so etwas zu ändern, Junge. Wege, um sogar das Schicksal zu überlisten. Setzt Euch und wir reden darüber.« Die Schatten schienen sich zu verschieben und zu verdichten. Sie griffen nach ihm.
Perrin trat einen Schritt zurück ins hellere Licht hinein. »Lieber nicht.«
»Dann trinkt wenigstens mit mir. Auf die vergangenen Jahre und auf die kommenden. Hier, danach werdet Ihr die Dinge klarer sehen.« Der Becher, den der Mann über den Tisch schob, war einen Moment vorher noch nicht dagewesen. Er glänzte hellsilbern und war bis zum Rand mit dunklem, blutrotem Wein gefüllt.
Perrin musterte das Gesicht des Mannes. Selbst seinen scharfen Augen fiel das schwer, denn die Schatten verbargen das Gesicht des Mannes ähnlich wie der Umhang eines Behüters. Die Dunkelheit umspielte den Mann zärtlich. Da war etwas in den Augen des Mannes... Wenn er sich nur bemühte, würde er sich bestimmt daran erinnern. Das Rumoren kehrte wieder.
»Nein«, sagte er. Er sprach das leise Rumoren in seinem Kopf an, doch als sich der Mund des Mannes zornig verzog, da er sich angesprochen fühlte — wobei er diesen kurzen Wutausbruch sofort wieder unterdrückte —, entschied Perrin, daß seine Ablehnung auch dem Wein gelten werde. »Ich habe keinen Durst.«
Er drehte sich um und ging Richtung Tür. Der Kamin bestand aus abgerundeten Flußsteinen. Im Raum standen ein paar lange Tische mit Bänken daran. Plötzlich wollte er nur nach draußen und weg von diesem Mann.
»Ihr werdet nicht viele Chancen bekommen«, sagte der Mann hinter ihm mit harter Stimme. »Drei miteinander verwobene Fäden teilen sich das gleiche Verhängnis. Wenn einer durchschnitten wird, dann zerreißen alle. Das Schicksal kann Euch töten oder noch Schlimmeres mit Euch machen.«
Perrin fühlte plötzlich Hitze in seinem Rücken. Sie wurde intensiver und verklang dann aber auch schnell, als hätten sich die Türen eines riesigen Schmelzofens geöffnet und wieder geschlossen. Überrascht wandte er sich um. Der Raum war leer.
Nur ein Traum, sagte er sich vor Kälte zitternd, und damit verschob sich alles.
Er blickte in den Spiegel. Ein Teil seiner selbst verstand nicht, was er da sah, während ein anderer Teil es hinnahm. Er trug wie selbstverständlich einen vergoldeten Helm in Form eines Löwenkopfes. Auf seinem gehämmerten Brustpanzer waren goldene Blätter zu sehen, und auch die Kettenärmel und Beinschützer waren mit Gold verziert. Nur die Axt an seiner Seite war die gleiche. Eine Stimme — seine eigene — flüsterte ihm im Geist zu, daß er diese Waffe lieber als jede andere trüge, daß er sie tausendmal getragen hatte in hundert Schlachten. Nein! Er wollte sie aus der Schlaufe ziehen und wegwerfen. Ich kann nicht! In seinem Kopf erklang eine Stimme, lauter als das übliche Gemurmel, beinahe so, daß er sie verstehen konnte.
»Ein Mann, der zum Ruhm geboren wurde.« Er wirbelte herum und sah sich der schönsten Frau gegenüber, die er je gesehen hatte. Er sah überhaupt nichts, was den Raum betraf, in dem er sich befand. Er hatte nur Augen für sie. Ihre Augen waren Mitternachtsseen, ihre Haut blaß und sicherlich zarter noch als ihr Kleid aus weißer Seide. Als sie auf ihn zukam, trocknete sein Mund aus. Ihm wurde klar, daß jede andere Frau, die er jemals gesehen hatte, dagegen plump und formlos wirken mußte. Er schauderte und fragte sich, woher die Kälte kam.