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Er ließ die Würfel auf die Tischfläche rollen. Sie sprangen irgendwie eigenartig auf. Er fühlte, wie sich etwas... änderte. Es war, als sei sein Glück verstärkt zurückgekehrt. Der Raum schien sich um ihn herum zu verzerren und wie mit Fäden an den Würfeln zu ziehen. Aus irgendeinem Grund wollte er zur Tür hinsehen, behielt aber die Würfel statt dessen im Blick. Sie lagen still. Fünf Kronen. Comar fielen fast die Augen aus dem Kopf.

»Ihr habt verloren«, sagte Mat leise. Wenn er in diesem Maße Glück hatte, war es vielleicht an der Zeit, es noch etwas zu strapazieren. Eine Stimme in seinem Hinterkopf sagte ihm, er solle gefälligst nachdenken, aber er war zu müde, um darauf zu hören. »Ich denke, Eure Glückssträhne ist vorüber, Comar. Falls Ihr diesen Mädchen etwas zuleide getan habt, ist es endgültig um Euch geschehen.«

»Ich habe sie noch nicht einmal...«, begann Comar, der noch immer die Würfel anstarrte. Dann riß es ihm den Kopf hoch. Sein Gesicht war totenblaß. »Woher kennt Ihr meinen Namen?«

Er hatte sie noch nicht gefunden. Glück, süßes Glück, steh mir weiter bei. »Geht zurück nach Caemlyn, Comar. Sagt Gaebril, daß Ihr sie nicht finden konntet. Sagt ihm, was Ihr wollt, aber verlaßt Tear noch heute nacht. Wenn ich Euch jemals wiedersehe, töte ich Euch.«

»Wer seid Ihr?« fragte der große Mann unsicher. »Wer...?« Im nächsten Moment hielt er sein Schwert in der Hand und sprang auf.

Mat stieß den Tisch gegen ihn. Der Tisch stürzte um, aber er hatte den Bauernspieß in den Händen. Er hatte jedoch vergessen, wie groß Comar war. Der Bärtige stieß den Tisch zurück. Mat stürzte mitsamt seinem Stuhl um; konnte aber gerade noch seinen Stock festhalten. Comar wuchtete den Tisch aus dem Weg und stach zu. Mat trat mit beiden Füßen nach dem Unterleib des Mannes, um dessen Ansturm aufzuhalten, und schwang ungeschickt den Stock. Doch es reichte, um das Schwert abzulenken. Aber dabei wurde ihm der Stock aus den steifen Fingern geschlagen. Statt dessen packte er Comars Handgelenk. Die Klinge des Mannes befand sich nur eine Handbreit vor seinem Gesicht. Ächzend rollte er sich nach hinten ab und stieß mit seinen Beinen so fest zu, wie er nur konnte. Comar riß die Augen auf, als er über Mat hinwegsegelte und mit dem Gesicht nach oben auf einen Tisch krachte. Mat faßte schnell nach seinem Stock, aber als er ihn wieder in Händen hatte, rührte sich Comar immer noch nicht.

Der große Mann lag mit gespreizten Beinen auf dem Tisch. Der Rest seines Körpers hing schlaff herunter, und der Kopf lag auf dem Boden. Die Männer, die an diesem Tisch gesessen hatten, standen ein sicheres Stück entfernt, rangen die Hände und warfen sich nervöse Blicke zu. Ein leises, besorgtes Gemurmel hing im Schankraum anstatt des Geschreis, das Mat erwartete.

Comars Schwert lag innerhalb seiner Reichweite. Doch er rührte sich nicht. Er starrte Mat an, als der das Schwert wegtrat und neben ihm auf ein Knie herabsank. Licht! Ich glaube, sein Rückgrat ist gebrochen! »Ich sagte Euch doch, Ihr solltet gehen, Comar. Eure Glückssträhne ist vorbei!«

»Narr«, hauchte der große Mann. »Glaubt Ihr... daß ich der einzige bin... der sie jagt? Sie leben... nicht... bis... « Seine Augen blickten Mat glasig an, und er sagte nichts mehr. Er würde auch nie wieder etwas sagen.

Mat erwiderte den Blick, als wolle er weitere Worte aus dem Toten herauszwingen. Wer noch, seng dich? Wer? Wo sind sie? Mein Glück. Seng mich, was ist mit meinem Glück geschehen? Ihm wurde bewußt, daß der Wirt ihn verzweifelt am Arm zog.

»Ihr müßt weg. Ihr müßt. Bevor die Verteidiger kommen. Ich werde ihnen die Würfel zeigen. Ich werde ihnen sagen, es sei ein Fremder gewesen, aber ein großer Mann mit rotem Haar und grauen Augen. Keinem wird etwas passieren. Keinem wirklichen Menschen. Nur ein Mann, von dem ich letzte Nacht geträumt habe. Keine echte Person. Niemand wird mir widersprechen. Er hat jeden mit seinen Würfeln ausgenommen. Aber Ihr müßt weg! Schnell!«

Alle anderen im Raum sahen betont weg. Mat ließ sich von dem Toten wegziehen und aus der Schenke schieben. Thom wartete schon draußen im Regen. Er packte Mat am Arm und hinkte mit ihm im Schlepptau hastig die Straße hinunter. Mats Kapuze hing auf seinem Rücken. Der Regen durchnäßte ihm die Haare und ergoß sich über sein Gesicht, rann an seinem Hals hinab, aber er bemerkte es nicht. Der Gaukler blickte sich immer wieder um, ob sie schon verfolgt würden.

»Schläfst du, Junge? Dort hinten hast du nicht so ausgesehen, als ob du schläfst. Komm schon, Junge. Die Verteidiger werden jeden Fremden auf zwei Straßen im Umkreis verhaften, gleich, welche Beschreibung ihnen der Wirt gibt.«

»Es ist das Glück«, murmelte Mat. »Ich habe es herausgefunden. Die Würfel. Mein Glück ist dann am größten, wenn die Dinge... dem Zufall überlassen sind. Wie beim Würfeln. Nicht so gut beim Kartenspiel. Beim Brettspiel wirkt es nicht. Zuviel von einem Muster. Es muß Zufall sein. Selbst, Comar zu finden. Ich habe nicht mehr jede Schenke abgesucht. Ich bin nur zufällig in diese hineingegangen. Thom, wenn ich Egwene und die anderen rechtzeitig finden will, darf ich nicht mehr systematisch suchen.«

»Wovon sprichst du eigentlich? Der Mann ist tot. Falls er sie bereits getötet hat... Na ja, dann hast du sie gerächt. Wenn nicht, hast du sie gerettet. Wirst du jetzt endlich, verdammt noch mal, schneller laufen? Es wird nicht lange dauern, bis die Verteidiger kommen, und sie sind nicht so rücksichtsvoll wie die Königliche Garde.«

Mat riß sich los und ging, etwas unsicher auf den Beinen, weiter. Den Bauernspieß schleifte er hinter sich her. »Ihm ist entschlüpft, daß er sie noch nicht gefunden hatte. Aber er sagte, er sei nicht der einzige. Thom, ich glaube ihm. Ich habe ihm in die Augen gesehen, und er sagte die Wahrheit. Ich muß sie trotzdem finden, Thom. Und nun weiß ich nicht einmal, wer hinter ihnen her ist. Ich muß sie finden.«

Thom unterdrückte mit der Hand ein eindrucksvolles Gähnen und zog Mat die Kapuze zum Schutz vor dem Regen über den Kopf. »Nicht mehr heute nacht, Junge. Ich brauche Schlaf und du auch.«

Naß. Mein Haar trieft. Mein Gesicht auch. Sein Kopf schien zu schwimmen. Ihm wurde langsam klar, daß es der Mangel an Schlaf war. Und daran, daß er darüber nachdenken mußte, um es überhaupt zu bemerken, erkannte er, wie müde er tatsächlich war. »In Ordnung, Thom. Aber bei Tagesanbruch suche ich sofort weiter.« Thom nickte und hustete, und sie gingen durch den Regen zum ›Weißen Halbmond‹ zurück.

Es war nicht lang bis zur Morgendämmerung, aber Mat hievte sich mühsam aus dem Bett und machte sich mit Thom daran, jede Schenke innerhalb der Mauern Tears abzusuchen. Er ging dorthin, wo es ihm gerade in den Sinn kam, hielt dabei überhaupt nicht nach Schenken Ausschau und warf eine Münze hoch, um zu entscheiden, ob er eine Schenke betreten solle oder nicht. Drei Tage und Nächte lang hielt er durch, und es regnete drei Tage und Nächte lang ohne Unterlaß. Manchmal donnerte es auch, manchmal blieb es ruhig, aber es goß immerzu in Strömen.

Thoms Husten wurde schlimmer. Er mußte mit dem Flötespielen und Geschichtenerzählen aufhören, und die Harfe schleppte er bei solchem Wetter gar nicht erst ins Freie. Aber er bestand darauf mitzukommen, und die Menschen unterhielten sich immer noch gern mit einem Gaukler. Mats Glück beim Würfeln schien sich noch verstärkt zu haben, seit er ziellos herumzulaufen begonnen hatte, aber er hielt sich nicht lange genug in irgendeiner Schenke oder Taverne auf, um mehr als ein paar Münzen zu gewinnen. Keiner von beiden erfuhr etwas Brauchbares. Gerüchte über einen Krieg mit Illian. Gerüchte über eine Invasion in Mayene. Gerüchte über einen Angriff aus Andor, über eine Handelsblockade des Meervolks, über das Heer Artur Falkenflügels und seine Rückkehr aus dem Reich der Toten. Gerüchte über die bevorstehende Ankunft des Drachen. Die Männer, mit denen Mat spielte, reagierten auf ein Gerücht genauso bedrückt wie auf das andere. Sie schienen ihm immer nach dem schlimmsten dieser Gerüchte zu suchen, aber allen so halbwegs Glauben zu schenken. Doch er fand keine noch so kleine Spur von Egwene und den anderen. Kein einziger Wirt hatte Frauen gesehen, die seiner Beschreibung entsprachen.